| # taz.de -- Neue Tanzmusik aus Detroit: Popowackeln ist Klassenkampf | |
| > Vorzüglich ist ein Mix des House-Produzenten Moodymann. Nervennahrung | |
| > gegen Stress kommt von Tadd Mullinix und Daniel Meteo. | |
| Bild: DJ und House-Produzent Moodymann beim Cruisen durch die Nacht. | |
| Über den afroamerikanischen DJ und House-Produzenten Moodymann alias Kenny | |
| Dixon Jr. nachzudenken, bedeutet immer auch, seine Heimatstadt Detroit zu | |
| betrachten. Ihren Mythos, aber auch ihren Ruin, beides verkörpert Moodymann | |
| in seiner Künstlerpersona. | |
| Seine Silhouette auf allen Plattencovern ist den Emblemen von Automarken | |
| nachempfunden. Von den blühenden Landschaften der florierenden | |
| US-Autoindustrie und des konfektionierten Motown-Soulsounds der Sechziger | |
| wurde Detroit zum Krisengebiet mit kaputter Infrastruktur, bankrotter | |
| Verwaltung und einer Diaspora von Techno-Produzenten, die in Europa | |
| bekannter sind als in den USA. „Detroit ist auf ewig in zwei Konflikte | |
| verstrickt: The class struggle and the ass struggle“, hat Coleman A. Young, | |
| der erste schwarze Bürgermeister Detroits (und der USA überhaupt) seine | |
| Kommune einst charakterisiert. | |
| Klassenkampf und Popowackeln begegnet man in „DJ-Kicks“, Moodymanns nun | |
| veröffentlichtem DJ-Mix zuhauf. Die darauf versammelte Musik, aber auch die | |
| Haltung von Moodymann ist ein Appell: Alle sind eingeladen, niemand wird | |
| wegen Hautfarbe, Herkunft oder sexueller Orientierung ausgeschlossen. | |
| ## Wie die Laune einer Nacht | |
| Moodymanns Mix funktioniert wie eine Blockparty, es ist kein Ravesound, zu | |
| dem nur diejenigen Zugang haben, die am Türsteher vorbeikommen. Wer sich | |
| also nur einmal in Leben einen DJ-Mix zulegen will, jetzt wäre die | |
| Gelegenheit dafür. | |
| Denn Moodymanns „DJ-Kicks“ ist eine superbe Montage, die sich gar nicht um | |
| Genrekonventionen und nur wenig um saubere Übergänge schert. Ob | |
| HipHop-Beats, Deephouse-Vocaltracks, oder der Slap-Bass eines Funksongs: | |
| Moodymann setzt die Klangdetails der 30 Stücke aus den verschiedensten | |
| Ecken zusammen wie ein Forensiker Beweisstücke am schwarzen Brett sortiert. | |
| Moodymanns Trackauswahl ist dabei so subjektiv wie spontan, sie verdankt | |
| sich der Laune einer Nacht: Vielleicht hat er sich die Inspiration dafür | |
| beim Cruisen mit seinem Chevrolet Impala geholt. Es sind Tracks, die in | |
| verschiedenen Phasen seiner gut 25-jährigen DJ-Karriere eine Rolle gespielt | |
| haben. | |
| ## Wenn es rumst... | |
| Auch die Geschichte spricht hier, aber es geht nicht um gemütliche | |
| Retrospektive, sondern darum, mit dem Material in der Gegenwart magische | |
| Momente zu erzeugen. Sie entstehen, wenn Moodymann vage Gefühle aus | |
| Songtexten in konkrete Grooves überführt, Hooklines mit Breakbeats | |
| fusioniert und eine Jazzimprovisation auf Soulsearching prallen lässt. | |
| Auch wenn es rumst, stets nimmt Moodymann als DJ die Hörer an die Hand, | |
| führt sie sachte auf die Tanzfläche, wo sie wenigstens für eine gewisse | |
| Zeit beim Ass Struggle vom Class Struggle befreit werden. | |
| Wenn Kenny Dixon Jr. emblematisch für das afroamerikanische innerstädtische | |
| Detroit steht, ist Tadd Mullinix das Gesicht der weißen Suburbs. Ein | |
| finsteres Bürschen, dessen Raubvogelfresse eigentlich Krimiserien zieren | |
| sollte, auch, weil Mullinix über den schattigen Raum, den er musikalisch | |
| durchmisst, ziemlich viel zu erzählen hat. Unter Pseudonymen wie Dabrye, | |
| James T. Cotton oder 2 AMFM veröffentlicht der Detroiter seit geraumer Zeit | |
| großartige, meist wenig beachtete elektronische Tanzmusik | |
| unterschiedlichster Couleur. Nun erscheint eines dieser hingepfefferten | |
| Meisterwerke auf Albumlänge, „GoodStar Dubs“. | |
| ## Abschweifung nach Jamaika | |
| Das Projekt steuert die vielbeschworene Achse Detroit–Berlin in eine völlig | |
| neue Richtung: MM Studio „Good Star Dubs“ ist Mullinix’ gemeinsame Session | |
| mit dem Berliner Produzenten Daniel Meteo betitelt. Die beiden Musiker sind | |
| dabei gedanklich nach Jamaika abgeschweift und haben sich vom digitalen | |
| Dub-Sound der mittleren achtziger Jahre die Kicks geholt. | |
| „Good Star Dubs“ ist getreu dem Album-Titel eine Sammlung von Instrumentals | |
| mit meditativ-zähflüssigen Beats im unteren Drehzahlbereich und | |
| sedierenden, subsonisch rollenden Bässen. Bass und Drums regieren und alle | |
| anderen Klangelemente sind mit Hall und Echo in den Schwindel getrieben. Es | |
| ist Musik, die das Raum-Zeit-Kontinuum außer Kraft setzt: Nervennahrung für | |
| den Ass Struggle. | |
| 26 Feb 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Julian Weber | |
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