# taz.de -- Neue Bürgermeisterin Franziska Giffey: Berlin wird Frauenhauptstadt | |
> Franziska Giffey ist Regierende Bürgermeisterin von Berlin und die erste | |
> Frau in diesem Amt seit 1948. Auch ihr rot-grün-roter Senat ist weiblich | |
> wie nie. | |
Bild: Die Neue Bürgermeisterin Franziska Giffey mit Bettina Jarasch am Diensta… | |
BERLIN taz | Es ist 11.11 Uhr am Dienstag, da meldet die Nachrichtenagentur | |
dpa etwas, was vor einem Jahr noch als Karnevalsscherz durchgegangen wäre: | |
Franziska Giffey (SPD) wurde vom Berliner Abgeordnetenhaus [1][zur neuen | |
Regierenden Bürgermeisterin gewählt.] Sie setzt die rot-grün-rote Koalition | |
fort, die die Hauptstadt bereits seit 2016 regiert. Die 43-Jährige hat | |
damit – wieder einmal – einen lange so unerwarteten wie beispiellosen | |
Karriereschritt hingelegt. | |
Als Giffey vor einem Jahr von der Berliner SPD zur Landeschefin und damit | |
indirekt zur Spitzenkandidatin gekürt wurde, lagen die Grünen in Umfragen | |
noch klar vorn; die SPD dümpelte, ähnlich wie im Bund, bei 16 Prozent, | |
meist auch noch hinter der CDU. Giffey war damals Bundesfamilienministerin | |
– ein Amt, das sie wegen der Aberkennung ihres Doktortitels aufgrund von | |
Plagiatsvorwürfen im Mai 2021 aufgeben musste. | |
Dessen ungeachtet, und beflügelt von der Pro-SPD-Stimmung im Bund, gelang | |
es Giffey mit einem offensiven, inhaltlich auch gegen die alten und nun | |
wieder neuen Koalitionspartner ausgerichteten Wahlkampf das Blatt zu | |
wenden. Sie holte bei den parallel zur Bundestagswahl abgehaltenen Wahlen | |
zum Abgeordnetenhaus zwar das schlechteste Ergebnis, das die SPD je in | |
Berlin erreichte. Aber mit 21,4 Prozent wurden die Sozialdemokraten | |
stärkste Partei. Giffeys Weg ins Rote Rathaus, wo zuletzt [2][ihr | |
Parteifreund Michael Müller] regierte, war gesichert. | |
Giffey leistete am Dienstag ihren Amtseid mit dem Zusatz „So wahr mir Gott | |
helfe“. Sie ist die erste Frau in diesem Amt – und das erste Stadtoberhaupt | |
aus der DDR seit der Wiedervereinigung. Allerdings ist Giffey, deren | |
politische Karriere 2010 im Berliner Bezirk Neukölln als Stadträtin und | |
später Bürgermeisterin begann, nicht die erste Frau, die die Stadtgeschicke | |
leitete: 1947/1948 amtierte die SPD-Politikerin Louise Schroeder | |
kommissarisch als Oberbürgermeisterin im Nachkriegsberlin. Auch Giffeys | |
Riege aus Senator*innen ist so weiblich wie nie: Sie besteht aus sieben | |
Frauen und vier Männern. | |
## In der Linken rumorte es | |
In Giffeys politischer Arbeit sind diese biografischen Aspekte wenig | |
sichtbar. Im Wahlkampf setzte sie auf konservative SPD-Politik – „SPD pur�… | |
wie Giffey es nannte – und damit auch den Ton für die | |
Koalitionsverhandlungen. Sie selbst hätte eine Ampelregierung bevorzugt. | |
In teils zähen Verhandlungen mit Grünen und Linken rangen sich alle drei | |
Parteien schließlich zur Fortsetzung des bisherigen Bündnisses durch. Der | |
Ende November vorgestellte Koalitionsvertrag stieß zwar bei SPD und Grünen | |
auf große Unterstützung. In der Linken aber rumorte es; in einem | |
Mitgliederentscheid votierten nur 75 Prozent dafür. Vor allem der Bereich | |
Mieten- und Wohnungspolitik sowie der Umgang mit dem erfolgreichen | |
Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ wurde von vielen an der | |
Basis kritisch gesehen. 57,6 Prozent der Berliner*innen hatten dafür | |
gestimmt, Wohnungsbestände großer Unternehmen zu vergesellschaften. | |
In Giffeys Senat sind daher auch einige klare inhaltliche Gegensätze zu | |
erkennen. Stadtentwicklungssenator wird der bisherige SPD-Innensenator | |
Andreas Geisel. Er hatte dieses Amt schon von 2014 bis 2016 inne und soll | |
das zentrale Wahlversprechen von Giffey umsetzen: den Bau von 20.000 | |
Wohnungen jährlich, um die Wohnungsnot in Berlin zu lindern. | |
Mieter*inneninitiativen und die Linke zweifeln indes daran, dass | |
allein mit Neubau genug Wohnungen auch für ärmere Menschen entstehen, die | |
besonders von den stark steigenden Mieten betroffen sind. Sie fordern | |
deswegen auch eine Politik für jene Klientel. Da zuletzt der vom Senat | |
eingeführte Mietendeckel gekippt und das kommunale Vorkaufsrecht vom | |
Bundesverwaltungsgericht kassiert wurde, bleibt nach Ansicht von vielen nur | |
noch die Umsetzung des Enteignenentscheids. Doch das will Giffey nicht. | |
## Auch Katja Kipping ist dabei | |
In den nächsten Monaten muss der Senat ein Gremium zusammenstellen, das | |
einen Gesetzentwurf erarbeiten soll – es werden konfliktträchtige Wochen. | |
Immerhin hat Giffey etwas Entgegenkommen signalisiert und Bausenator Geisel | |
eine Staatssekretärin ausschließlich für Mieter*innenschutz an die | |
Seite gestellt. | |
Die zweite mächtige Frau im Senat wird Bettina Jarasch, als grüne | |
Spitzenkandidatin im Wahlkampf direkte Gegnerin von Giffey. Jarasch | |
übernimmt mit Verkehr, Klima- und Verbraucherschutz ein Superressort. Sie | |
soll damit die in der vergangenen Legislatur nicht immer erfüllten hohen | |
Erwartungen der grünen Basis an eine Verkehrspolitik weg vom Auto erfüllen. | |
Auch hier sind Konflikte mit Giffey wahrscheinlich: Allzu radikale | |
Verschiebungen zuungunsten der Autofahrer*innen lehnt sie ab. | |
Mit im Senat dabei ist nun auch die frühere Linken-Chefin Katja Kipping als | |
Sozialsenatorin. Giffey erhebt derweil einen klaren Führungsanspruch, wie | |
sie am Montag bei der Vorstellung der SPD-Senator*innen deutlich machte: | |
Sie wolle für alle Themen Verantwortung übernehmen, auch die, für die grüne | |
oder linke Senator*innen verantwortlich sind. Eigentlich. | |
21 Dec 2021 | |
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## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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