# taz.de -- Neue Alben von Sleaford Mods und Shame: Mal schön auf dem Teppich … | |
> Sie setzen No-Bullshit-Haltung gegen den Brexit-Größenwahn: Neue Alben | |
> von Sleaford Mods und Shame verpassen dem Inselreich eine | |
> Realitätsklatsche. | |
Bild: Die Sleaford Mods aus Nottingham verteidigen ihren Ruf als Stimme der Str… | |
Wie man ein Land kleiner macht? Indem man versucht, ihm seine alte Größe | |
zurückzugeben, schrieb der irische Kolumnist Fintan O’Toole anlässlich des | |
Brexit-Vollzugs vor Kurzem in der Wochenzeitung Zeit. Je stärker die | |
Bedeutung Englands schwindet, desto verzweifelter appellieren die | |
Machthaber:innen an den nationalistischen Größenwahn der Brit:innen. | |
Besonders in der Coronakrise fuhr Boris Johnsons Regierung trumpeske | |
Superlative auf, schreibt O’Toole: So wurden Maßnahmen nicht nur als | |
„angemessen“ bezeichnet, sondern gleich als „weltweit beste“. | |
Im Mutterland des Punk weiß man, dass gegen diesen Heroismus keine linke | |
Heldenerzählung hilft – sondern nur eine beinharte Realitätsklatsche. Und | |
wahrscheinlich klingt gerade keine Band so brutal nach Realität wie das Duo | |
Sleaford Mods aus Nottingham, das kommende Woche mit „Spare Ribs“ sein | |
neues, elftes Album veröffentlicht. | |
Sänger Jason Williamson und Produzent Andrew Fearn brauchten nicht mehr als | |
einen Drumcomputer, ein paar dürre Bassläufe und Williamsons heiseren | |
Sprechgesang, um sich eine unwahrscheinliche Gefolgschaft auf der ganzen | |
Welt zu erschimpfen. Ihr von allem von Ballast befreiter Postpunk klingt | |
sehnig und knochig, ihre Bühnenperformance grenzt an Arbeitsverweigerung: | |
Williamson bellt das Publikum an, Fearn drückt kopfnickend Knöpfe an seinem | |
Laptop. | |
Sleaford Mods sind eine der wenigen zeitgenössischen Bands, die Mark E. | |
Smith, der 2018 verstorbene Sänger der Postpunk-Minimalisten The Fall und | |
notorischer Lästerbruder, in sein grantiges Herz geschlossen hatte – | |
vielleicht weil er Williamson als legitimen Erben betrachtet hat: Wie Smith | |
gibt er das gute Gewissen der britischen Subkultur, den unbestechlichen | |
No-Bullshit-Typ, der den Eliten des Landes die Hölle heiß macht. | |
Seine Geschichten über die Verlierer:innen der Gesellschaft trägt | |
Williamson im starken Akzent der Midlands vor, eine Gegend, auf dessen | |
Bewohner:innen vor allem viele Londoner:innen herabschauen. | |
## Verlässlich angepisst wie eh und je | |
Sleaford Mods stehen für eine Working-Class-Authentizität, die nicht nur | |
der Working Class gefällt – sondern auch der Kunstwelt, gegen deren | |
Vereinnahmungsversuche Williamson seinen Nimbus als Stimme der Straße immer | |
wieder verteidigt. Notfalls auch mit Distinktionsgepöbel: 2016 flog er aus | |
der Labour-Partei, weil er einen Abgeordneten als „prätentiöse Muschi“ | |
bezeichnet hatte, die genderbewegte britische Gitarrenband Idles nannte er | |
„so beschissen wie den Brexit“. | |
Auf „Spare Ribs“ klingt Williamsons gut gebellte Kitchen-Sink-Lyrik | |
verlässlich angepisst wie auf bislang jedem seiner Alben – und manchmal so | |
gut wie nie. „Mork n Mindy“ ist ein garstiges, bedrückendes, fast | |
psychedelisches Stück aus Perspektive eines Heranwachsenden, der keine | |
Perspektive hat. | |
„I live on a really depressing cul de sac“, rappt Williamson seltsam | |
gedämpft: Er lebe in einer Sackgasse, an einem trostlosen Ort, wo alle | |
Paare sich scheiden lassen. Fremde dringen in seine Privatsphäre ein wie | |
kalter Zigarettendunst, der durch alle Ritzen kriecht, Freude bieten nur | |
Lager-Bier und YouPorn. | |
Man riecht geradezu den Mief hinter vergilbten Gardinen und spürt im | |
psychedelischen Synthesizerwabern die schale Verheißung verdrogter, | |
verlorener Tage, während die Newcomerin Billy Nomates im Refrain das | |
Dilemma seines Lebens auf eine knappe Formel bringt: „You go, too high, too | |
low/ It doesn't make a difference“. Ob er nun zu viel oder zu wenig will – | |
es macht in der Welt der Sackgassen ja doch keinen Unterschied. | |
## Unbehagen am Außenseitertum | |
Bei aller Eckig- und Bockigkeit haben die Songs auf „Spare Ribs“ eine | |
merkwürdige Groovyness, neben heißer Wut transportieren sie auch das | |
Unbehagen am Außenseitertum: In „All Day Ticket“ singt Williamson mit | |
unheimlich bebender Stimme wie einst Jello Biafra in „California Über | |
Alles“. Den exzellenzversessenen Nationalist:innen bescheinigt Williamson | |
in „Elocution“, dass sie mal schön auf dem Teppich bleiben können: Am Ende | |
seien Leute wie er auch nur „wankers just like you“ – Wichser wie ihr. | |
Auch die junge Band Shame aus Südlondon zeigte vor drei Jahren dem | |
Größenwahn mit Außenseitergeschichten den Mittelfinger: Er sei zwar ein | |
hässlicher Typ mit gelben Zähnen, erklärte Sänger Charlie Steen im Song | |
„One Rizla“ damals, das Portemonnaie sei leer und seine Lunge krankgeraucht | |
– aber die Bestätigung eines anderen durch Liebe brauche er deshalb noch | |
lange nicht. | |
Shame entstammen der vitalen Musikszene um den Brixtoner Pub The Windmill, | |
einen unscheinbaren Auftrittsort, dem man nachsagt, Mitte der Zehnerjahre | |
Spielwiese für so ziemlich jede aufregende Newcomer-Gitarrenband aus London | |
gewesen zu sein. Der infernalische Noise-Nachwuchs Black Midi, die | |
Gun-Club-Erbinnen Goat Girl oder die Folk und Noise fusionierenden Weirdos | |
Black Country, New Road, die im Februar ihr Debüt veröffentlichen werden, | |
begannen ihre Laufbahn in der Windmill. | |
Den geradlinigen Postpunk ihres gefeierten ersten Albums, „Songs Of | |
Praise“, haben Shame auf ihrem zweiten Album, „Drunk Tank Pink“, gegen | |
einen reicheren, experimentelleren Sound eingetauscht, der an alte | |
US-Punkhelden wie Fugazi anknüpft, ohne sich je zu retromanisch anzuhören: | |
Im Song „Nigel Hitter“ sind Shame nah am verdrehten Sound junger | |
UK-Gitarrenbands wie Squid. | |
## Jung und wütend im Post-Brexit-England | |
Obwohl ihre Songs voller Anspielungen auf die ernüchternde Lebensrealität | |
im Brexit-England stecken, finden Shame eine ganz eigene, beinahe | |
poetische, geradlinige Sprache für ihr Nichteinverstandensein. | |
„There is something/ In the hills/ Well I hear it lingers/ And I’ve seen it | |
kill“, singt Steen in „Water In The Well“: Das Gefühl der Bedrohung wird | |
zum Monster, das draußen in den Bergen sein Unwesen treibt. Wenn am Ende | |
von „Drunk Tank Pink“ das dissonante „Station Waggon“ verhallt ist, hat… | |
eine Ahnung davon bekommen, wie es sich anfühlen muss, im | |
Post-Brexit-England jung und wütend zu sein: irgendwie surreal, | |
elektrisierend und zugleich ermüdend. | |
Auch wenn Shame mit den polternden Sleaford Mods wenig gemein haben, eint | |
sie die musikalische Tradition, auf die sie sich beziehen. Punk, und | |
insbesondere Post-Punk, ist der Sound der Entmystifizierung, schreiben | |
Simon Reynolds und Joy Press in ihrem Buch „Sex Revolts“: Mit ihrem | |
demonstrativen Dilettantismus wollten Bands wie The Slits oder eben Mark E. | |
Smiths Band The Fall der Gitarrenmusik – zumindest in der Theorie – alles | |
Heroische, Virtuose und Rockistische austreiben. | |
Ihre Erben halten mit alten Mitteln und neuen Ideen gegen die Megalomanie | |
der Brexiteers: Sleaford Mods als grimmige Einzelkämpfer aus dem | |
englischen Nirgendwo, Shame als Gewächse einer neuen, vitalen Szene in | |
London. England mag im Alleingang nicht zur vielbeschworenen alten Größe | |
zurückfinden – der Punk-Geist hingegen scheint so lebendig wie lange nicht. | |
9 Jan 2021 | |
## AUTOREN | |
Julia Lorenz | |
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