# taz.de -- Album von The Bug und Dis Fig: Mit Kopfhörer durch den Tunnel | |
> Die beiden Künstler:innen The Bug und Dis Fig haben beim disruptiven | |
> Sound von „In Blue“ ihre Vorliebe für verstörenden Lärm gefunden. | |
Bild: Felicia Chen aka Dis Fig und Kevin Martin aka The Bug | |
Die Geschichte des Albums „In Blue“ beginnt 2019 nicht in einem | |
Aufnahmestudio, sondern bei Facebook Messenger. Dort tauschten der | |
britische Dubproduzent Kevin Martin alias The Bug und die in Berlin | |
ansässige US-Produzentin Felicia Chen, die sich Dis Fig nennt, Ideen aus. | |
Zum persönlichen Kennenlernen kommt es vorerst nicht, stattdessen senden | |
sich beide Songskizzen, Textnotizen und Samples zu. | |
Überhaupt war der Kontakt zwischen Dis Fig und The Bug auf digitalem Wege | |
zustande gekommen: Chen hatte eine Nachfrage bezüglich eines DJ-Mixes von | |
Martin, sie begeisterte sich für einige Tracks, im weiteren Chatverlauf | |
entstand die Idee zum gemeinsamen Musikmachen. | |
Die Pandemie hat diesen Austausch keineswegs gebremst. Das Duo-Album „In | |
Blue“ ist die gelungene Kollaboration zweier umtriebiger Elektronik-Geeks, | |
die schon vor Inkraftreten von Corona-Abstandsregelungen und | |
Lockdownbestimmungen für sich Social Distancing praktiziert haben, weil | |
dies ihrer Arbeitsweise entsprach. | |
Die Ausrichtung ihres Projekts beschreiben Martin und Chen folgerichtig als | |
„Tunnel-Sound“. Das minimalistische Artwork auf dem Cover greift dies auf: | |
Es zeigt eine Tunnelröhre mit diffusem Licht in Schwarz. Gemixt hat Martin | |
die Musik Anfang 2020 in seiner neuen Wahlheimat Brüssel, wohin er kurz | |
zuvor aus Berlin gezogen ist. | |
## Zusammenarbeit mit Inga Coopeland und Burial | |
Seit Anfang der neunziger Jahre nutzt Martin als The Bug und mit weiteren | |
Alter Egos unterschiedlichste Einflüsse von Dancehall über Dub bis hin zu | |
Industrial. Dafür arbeitete er mit [1][Künstler:innen wie Inga Copeland] | |
und Burial zusammen. Chen stammt hingegen aus New Jersey und strebte an, | |
erfolgreiche Jazz-Sängerin zu werden. | |
Stattdessen studierte sie Marketing, bis sie nach Berlin übersiedelte und | |
in der experimentellen Elektronik-Szene der Stadt ein Zuhause fand. 2019 | |
erschien ihr Debütalbum „Purge“, das mit seiner verstörenden Mischung aus | |
Ambient und Industrial auch außerhalb Berlins Wellen schlug. | |
Im Interview mit dem Fact-Magazine sagte die US-Künstlerin: „Ich möchte | |
Gesang aufnehmen, aber ich bin richtig schlecht beim Texten. Zeilen und | |
Worte klingen bei mir nie poetisch, ich arbeite damit tonal: Um zu singen, | |
zu schreien und zu heulen.“ Auf „In Blue“ gelingt Chen diesmal eine wärm… | |
Intonation ihrer Stimme. Sie säuselt, fleht, wirkt so eindringlich, als ob | |
sie die Zuhörer:innen hypnotisieren möchte. | |
Damit weckt Dis Fig Erinnerungen an die Chanteusen des TripHop, so | |
organisch klingt die Kombination ihres Gesangs in der Klangverfremdung von | |
The Bug. Vielmehr stammt Chens Vorliebe für vokale Improvisation aus ihrer | |
ersten musikalischen Leidenschaft Jazz. Mindestens genauso einprägsam ist | |
die Produktion von Martin. Schon beim atmosphärischen Auftakt „Around Me“ | |
wird eine Dub-Techno-Textur aufgetragen, die er auf den weiteren zwölf | |
Songs des Albums perfektioniert. | |
## Mantraartiger Gesang und peitschende Bässe | |
Das anschließende „Come“ ist gleichermaßen düster und mystisch. „Destr… | |
Me“ präsentiert hingegen einen treibenden Klangteppich, der wie eine | |
dystopische Neuinterpretation verschiedenster Halleffekte klingt. Mit dem | |
disruptiven „Blue to Black“ können The Bug und Dis Fig ihre Vorliebe für | |
verstörenden Lärm vereinen. „Levitating“ erinnert mit Chens mantraartigem | |
Gesang und Martins peitschenden Bässen gar an Soundeffekte eines | |
Videospiel-Wettrennens. | |
Am eindringlichsten klingt der Track „You“: Über knisternden Bässen und | |
klirrenden Perkussionsounds vibriert das Chen’sche Sonor. Das Finale „End | |
in Blue“ fadet hingegen beinahe meditativ aus. Auch wenn Martin das Album | |
als „Kopfhörer-Musik“ beschreibt, „In Blue“ passt mindestens genauso | |
[2][gut zu einem Clubsetting]. Dort würde es vor Stroboskop-Licht nur so | |
wimmeln. | |
Einen Vorgeschmack bietet das Video von „You“, gedreht im [3][Berliner | |
Club] Gretchen. Bis die Clubs wieder öffnen, kann es noch dauern, aber mit | |
der Musik von The Bug und Dis Fig lässt sich wenigstens das Tunnelgefühl | |
durchfeierter Nächte ersehnen. Denn „In Blue“ umweht trotz aller Düsternis | |
eine sanfte, beinahe versöhnende Atmosphäre, die von der Tristesse des | |
Corona-Alltags ablenkt. | |
11 Jan 2021 | |
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## AUTOREN | |
Louisa Zimmer | |
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