# taz.de -- Neonazis im Internet: Rechtsextremer Problemfall Telegram | |
> Der Verfassungsschutz warnt in einer Analyse, wie vielfältig | |
> Rechtsextreme das Internet für sich nutzen. Vor allem Telegram bereitet | |
> ihnen Sorge. | |
Bild: Rechtsextreme können auf Telegram fast frei hetzen und sich vernetzen | |
Berlin taz | Die Warnung ist deutlich. Rechtsextremisten würden inzwischen | |
alle Kanäle im Internet nutzen – um für sich zu werben, sich zu vernetzen | |
oder sich bis hin zu Terrortaten aufzuputschen. So notiert es das Bundesamt | |
für Verfassungsschutz. Und vor allem der [1][Messengerdienst Telegram] | |
macht dem Geheimdienst Sorgen: Dieser sei inzwischen „die zentrale | |
Kommunikationsplattform des rechtsextremistischen Spektrums in Deutschland“ | |
– fast ohne dass die Betreiber hier einschreiten würden. | |
Die Warnung geht aus einer aktuellen Analyse des Bundesamts hervor, die der | |
taz vorliegt. Auf gut 50 Seiten wird darin ausgeführt, in welcher Breite | |
Rechtsextremisten inzwischen im Internet ihre Botschaften verbreiten: auf | |
Onlineportalen, Messengerdiensten, Gamingplattformen oder Imageboards, mit | |
Trollaktionen oder in Onlinegames. Das Internet eröffne „Rechtsextremisten | |
immer neue Möglichkeiten zu dessen Instrumentalisierung“, warnt der | |
Verfassungsschutz. Agitation und Radikalisierung fänden dabei „schon lange | |
nicht mehr“ in klassischen Onlineforen statt. Und das Internet sei der | |
zentrale Raum für rechtsextremistische Radikalisierung. | |
Allen voran Telegram sehen die Verfassungsschützer dabei als Problem. Für | |
Rechtsextreme sei der Messengedienst ein „[2][nahezu unmoderierter und | |
unregulierter digitaler Wirkungsraum]“, heißt es in der Analyse. Telegram | |
habe sich zur „Anker- und Sammelstelle verschiedener rechtsextremistischer | |
Szenen entwickelt“, mit [3][Großgruppen bis zu 200.000 Follower*innen] | |
oder [4][klandestinen, geschlossenen Kleingruppen]. Hier werde Ideologie | |
„ungefiltert verbreitet“, für rechtsextreme Veranstaltungen mobilisiert und | |
für die Szene rekrutiert. Selbst konkrete Tötungsabsichten blieben oftmals | |
unwidersprochen oder fänden gar Zustimmung. | |
Es finde ein starker „Echokammereffekt“ statt, eine Dynamik der permanenten | |
Selbstbestätigung, die wiederum Radikalisierung befeuere. Gerade weil es | |
nur selten zu Accountsperren oder anderweitigen Reglementierungen komme, | |
sei Telegram in der Szene sehr beliebt. | |
## Camouflage mit Lifestyle-Themen oder Fashwave | |
Aber auch andere Onlinephänomene besorgen den Verfassungsschutz. So nutzten | |
Rechtsextreme ebenso Tiktok, Instagram, X oder Facebook, dort vor allem, um | |
von den großen Reichweiten zu profitieren, um „in die Mitte der | |
Gesellschaft zu streuen“. Das wiederkehrende Schema: Auf komplexe Fragen | |
werden einfache Antworten geboten. Und gerade auf Tiktok oder Instagram | |
würden Ideologie mit [5][Lifestyle-Themen wie Ernährung, Sport oder Natur] | |
verknüpft und so Jugendliche erreicht, eine besonders vulnerable | |
Zielgruppe, so der Verfassungsschutz. | |
Komme es doch zu Accountsperrungen, weiche die Szene teils auf kleinere | |
Plattformen wie Gettr und Minds aus, wo uneingeschränkte Meinungsfreiheit | |
versprochen werde, deren Reichweite aber weit begrenzter sei. Oder auf | |
Videoportale wie BitChute, frei3 oder Odysee. | |
Beliebt in der Szene seien weiterhin auch die registrierungsfreien | |
Imageboards wie 4chan, Kohlchan oder 8kun, notiert das Bundesamt. Und hier | |
agiere die Szene besonders unverhohlen: Gewalt und Rechtsterror würden | |
beschworen, Attentäter gefeiert, der Nationalsozialismus werde | |
verherrlicht. International komme es auf den Boards immer wieder zu | |
Anschlagsankündigungen. [6][Auf einem Imageboard war etwa auch der | |
rechtsextreme Attentäter von Halle aktiv], der 2019 eine Synagoge und einen | |
Dönerimbiss angriff und zwei Menschen tötete – und seine Tat live ins | |
Internet übertrug. Auch die deutschen QAnon-Anhänger*innen seien auf dem | |
Imageboard 8kun aktiv. Verbreitet würden dort auch Memes, ironische Bilder, | |
welche die Szene aber mit menschenverachtenden Inhalten versehe – wie die | |
des „Moon Man“ oder „Pepe the frog“. | |
Gruppen wie „Reconquista Germanica“ sammelten sich dagegen auf | |
Gruppenchatdiensten wie Discord und organisierten von dort Shitstorms und | |
Trollaktionen gegen Andersdenkende. Andere Gruppen, wie das identitärennahe | |
„[7][Ein Prozent]“-Netzwerk, würden wiederum mit Onlinegames wie „Heimat | |
Defender“ um Nachwuchs buhlen. Auch in einigen Egoshootern könnten Spieler | |
etwa durch umprogrammierte „Mods“ die rechtsterroristische „Atomwaffen | |
Division“ als spielbare Gruppe auswählen und Rechtsterrortaten | |
nachzuspielen. | |
Auch Vaporwave, ein eigentlich unpolitisches Genre, das nostalgisch | |
Bildelementen der 1980er und 1990er Jahre aufgreift, wird in der Szene | |
instrumentalisiert – als „Fashwave“, den „fascism“ verherrlichend: Ge… | |
werden dann Wehrmachtssoldaten oder historische NS-Aufnahme in Neonfarben | |
oder mit Glitch-Effekt. | |
Das Bundesamt betont bei all dem, dass soziale Medien kein alleiniger | |
Auslöser für Radikalisierungen seien – aber ein zentraler Einflussfaktor. | |
Der Verfassungsschutz hält hier nach eigener Auskunft mit Aufklärungsarbeit | |
dagegen, überwacht online rechtsextreme Netzwerke und Radikalisierte, | |
versucht anonyme Hetzer zu identifizieren, auch zusammen mit | |
internationalen Partnerdiensten. Die Antwort aber müsse „eine | |
gesamtgesellschaftliche Reaktion“ sein, erklärt der Verfassungsschutz. Auch | |
die Onlinecommunity selbst müsse aktiv werden, zudem brauche es eine | |
„konsequente juristische Ahndung“ von Straftaten im Internet und eine | |
„nachhaltige“ Selbstregulierung der Plattformbetreiber. | |
## Das BKA setzte eine Telegram-Taskforce ein und wieder ab | |
Die Warnungen sind nicht neu. Schon im vergangenen Jahr erklärte auch der | |
Thinktank Cemas Telegram [8][„zur wichtigsten Bühne“ des Rechtsextremismus | |
im deutschsprachigen Raum.] Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) | |
hatte bereits 2022 in ihrem [9][ersten Aktionsplan gegen Rechtsextremismus] | |
angekündigt, „Hetze im Internet ganzheitlich bekämpfen“ zu wollen, expliz… | |
auch mit Verweis auf Telegram. Das BKA solle dafür seine Strukturen | |
ausbauen und Netzwerke beobachten. | |
Tatsächlich hatte das BKA Anfang 2022 eine Taskforce Telegram eingerichtet | |
– [10][die aber bereits Ende 2022 wieder eingestellt wurde], auch weil | |
Telegram immer wieder die Kooperation mit den Behörden verweigerte. Ende | |
August war allerdings [11][Telegram-Chef Pawel Durow in Frankreich | |
zwischenzeitlich festgenommen] worden. Auch dortige Ermittler werfen ihm | |
vor, nicht ausreichend mit Behörden bei der Bekämpfung von Straftaten zu | |
kooperieren. Er habe sich in Fällen von Drogenhandel, Geldwäsche und | |
weiterer Delikten mitschuldig gemacht. Durow weist die Vorwürfe zurück. | |
18 Sep 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Desinformation-auf-Messengerdienst/!6001327 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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