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# taz.de -- Telegram-Chef festgenommen: Gewaltige Dreckschleuder
> Telegram-Chef Pawel Durow wurde festgenommen. Er soll zu wenig gegen
> kriminelle Aktivitäten unternehmen. Endet die Narrenfreiheit für die
> Tech-Bosse?
Bild: Telegram-Gründer Pawel Durow
Kapital kennt keine Länder, Grenzen und Gefängnismauern.
Kapitalist*innen jedoch, egal wie viel Kapital sie angehäuft haben,
können nicht immer der Gravitation der von schnöden Sterblichen bewohnten
Welt entkommen. Am Samstagabend musste das Pawel Durow auf die harte Tour
erfahren. Der Gründer des Messengerdienstes Telegram wurde in Paris beim
Verlassen eines Privatjets in Gewahrsam genommen. Ihm wird eine bunter
Strauß an Beihilfen und Unterlassungen vorgeworfen.
Telegram nämlich ist in den vergangenen Jahren zu einer der wichtigsten
Plattformen zur unkontrollierten [1][Verbreitung von Desinformation,
extremistischer Propaganda und Gewaltaufrufen] geworden. Grund dafür ist
unter anderem die einfache Bedienung, inklusive der Möglichkeit über
unkompliziert einzurichtende Kanäle hundertausende Menschen zu erreichen.
Selbst die Social-Media-Abteilungen traditioneller Medien experimentierten
mit Telegram-Kanälen, um ihre Reichweiten zu erhöhen und neue Zielgruppen
anzusprechen.
Der lange vorgehaltene verhältnismäßig gute Ruf des Messengers gründete
noch auf die Konflikte Durows in Russland. Dort hatte er schon als Chef der
ebenfalls von ihm gegründeten Social-Media-Plattform VKontakte in
Auseinandersetzungen mit Putins Zensurbehörden wiederholt die Sperrung
Oppositioneller verweigert. Später dann warb Telegram als einer der ersten
Messenger mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung der Kommunikation. Dass diese
für die Massenkanäle gar nicht zur Verfügung steht, dazu nicht der
voreingestellte Standard ist und sie außerdem als nicht besonders sicher
gilt, tut der Populärität der App keinen Abbruch.
Durow und Telegram vertreten derweil eine Ideologie maximaler Redefreiheit
und verweigern jegliche Moderation oder Einflussnahme auf die Inhalte der
offenen Kanäle. Ob das tatsächlich aus Überzeugung oder einfach nur
Bequemlichkeit und Geiz geschieht, ist im Ergebnis egal. Der Messenger ist
eine Dreckschleuder von so gewaltigem Ausmaß, dass sich auch deutsche
Behörden, bis hin zur Ministerialebene, mit ihr zu befassen versuchten.
Ganz einfach gestaltete sich das nicht, lehnt Durow für gewöhnlich doch
nicht nur die Zusammenarbeit, sondern überhaupt die Kommunikation mit
staatlichen Institutionen ab.
## Signalwirkung für Musk und Zuckerberg
Selbst für die üblichen Lobbyisten in Brüssel und den wichtigeren
Hauptstädten der westlichen Welt war Durow offenbar das Geld zu schade. Von
größeren Investitionen zur Schaffung von Abhängigkeiten in der lokalen
Politik ganz abgesehen. Anders als beispielsweise Twitter/X-Chef Elon Musk
mit seiner Tesla-Fabrik bei Berlin hat Pawel Durow keine [2][Bilder mit dem
deutschen Bundeskanzler] im Fotoalbum.
Diese demonstrative Arroganz und auch die Tatsache, dass Durow seit 2021
französischer Staatsbürger ist, dürfte zu seiner aktuell etwas unpässlichen
Lage geführt haben. [3][Konsularische Hilfe] wird dem unnahbaren
Unternehmer, der noch einen Pass der Vereinigten Arabischen Emirate
besitzt, nun ausgerechnet aus seiner früheren Heimat Russland angeboten.
Nachdem die Versuche, Telegram dort zu sperren, wiederholt scheiterten,
folgte ein Strategiewechsel. Seit einigen Jahren wird der Messenger
außerordentlich wirksam vom russischen Propagandaapparat funktionalisiert.
Dass man Durow nun aus Moskau als Helden der Redefreiheit feiert, ist
deshalb eine so ironische wie folgerichtige Wendung der Geschichte. Der
Größenwahn, die narzisstische und zum Teil auch kriminelle Energie vieler
erfolgreicher Start-up-Eigner (praktisch alles Männer), sind perfekte
Andockpunkte für Geheimdienste, die ihren Einfluss auf neuen
Informationskanälen geltend machen wollen. Die absichtlich obskur
gehaltenen Eigentumsverhältnisse der größeren digitalen Plattformen helfen
dabei, Abhängigkeiten zu verschleiern. Auch die genauen Besitzverhältnisse
von Telegram bleiben bislang unklar.
Die Festnahme des Gründers kann deshalb auch dazu beitragen, mehr
Transparenz über die geschäftlichen Aktivitäten seines Unternehmens
herzustellen. Andererseits mag das Vorgehen der französischen Behörden auch
ein Signal sein, dass man bereit ist, generell robuster und vor allem
persönlich gegen die bisher kaum greifbaren Chefs der digitalen Plattformen
vorzugehen. Tatsächlich wird es spannend zu beobachten sein, wie lange der
Multimilliardär in Untersuchungshaft oder gar als Verurteilter im
Strafvollzug verbleiben muss.
Sollte ein französisches Gericht ihn der Vorwürfe der Billigung und
Förderung von Straftaten wie Hassrede und Gewaltaufrufen für schuldig
befinden, drohen Durow bis zu 20 Jahre hinter Gefängnismauern. Das wäre
keine schlechte Präzedenz als Strafe für fehlende Moderation, die auch Musk
und Facebooks Marc Zuckerberg aufmerksam zur Kenntnis nehmen dürften.
25 Aug 2024
## LINKS
[1] /Desinformation-auf-Messengerdienst/!6001327
[2] https://www.bundesregierung.de/breg-de/mediathek/2018720-2018720
[3] https://www.bbc.com/news/articles/ckg2kz9kn93o
## AUTOREN
Daniél Kretschmar
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