# taz.de -- Nach dem Flüchtlingsgipfel: Schwenk nach rechts | |
> Die Grünen sind dabei, ihre Grundsätze in der Asylpolitik aufzugeben. Den | |
> Beschwichtigungen der Parteispitze ist nicht zu trauen. | |
Bild: Dieser Zaun in der spanischen Enklave Melilla trennt Afrika von Europa | |
Mehr Abschiebungen, weitere sichere Herkunftsstaaten, ausgeweitete | |
Befugnisse für die Behörden und Asylverfahren an der EU-Außengrenze: | |
[1][SPD-Kanzler Olaf Scholz verspricht den Bundesländern nicht nur eine | |
Milliarde Euro extra] für Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten, | |
sondern gleich dazu auch einen viel restriktiveren Kurs in der | |
Asylpolitik. Wird umgesetzt, worauf sich Bund und Länder beim | |
Flüchtlingsgipfel am Mittwoch geeinigt haben, dann vollzieht die | |
Ampelkoalition einen drastischen Schwenk nach rechts. | |
Dass SPD und FDP bereit sind, das Ziel einer menschlicheren und moderneren | |
Asylpolitik aufzugeben, ist erbärmlich, aber nicht überraschend. Wirklich | |
neu und deshalb erschreckend ist, dass auch Teile der Grünen zur Zustimmung | |
bereit scheinen. Zwar gab die Partei vor dem Gipfel zu verstehen, die | |
Vorschläge des Kanzleramts seien mit ihr nicht abgesprochen. | |
Und nach dem Gipfel war die Empörung unter vielen | |
Grünen-Politiker*innen riesig. [2][Der Abgeordnete Julian Pahlke] | |
etwa beklagte eine „weitgehende Aushöhlung des Rechtsstaats“. Und seine | |
Kollegin Karoline Otte sagte: „Für mich als grüne Abgeordnete wurden hier | |
entscheidend rote Linien überschritten.“ Nur stammen die beiden eher aus | |
der zweiten Reihe der Fraktion. Bei den Spitzen von Fraktion und Partei | |
kann man sich inzwischen nicht mehr sicher sein, dass sie es genauso sehen. | |
Das betrifft insbesondere die Ausweitung des Status „sicherer | |
Herkunftsstaat“ auf die EU-Beitrittskandidaten Georgien und Moldau, wie sie | |
am Mittwoch beschlossen wurde. Geflüchtete aus so deklarierten Staaten | |
erhalten in der Regel in Deutschland kein Asyl. Bisher blockten die | |
Landesregierungen mit grüner Beteiligung im Bundesrat sämtliche Vorstöße | |
zur Ausweitung des Status auf weitere Staaten ab. | |
Schon vor dem Gipfel befand der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour aber: | |
„Länder, die etwa den Status des EU-Beitrittskandidaten haben und | |
Fortschritte bei der Rechtsstaatlichkeit machen, werden sicherlich anders | |
behandelt werden müssen als Folterstaaten. Das ist im Falle Georgiens und | |
Moldaus sicher diskutabel.“ | |
Klingt einleuchtend, nur macht es Nouripour sich damit viel zu einfach. | |
Laut den aktuellsten Berichten von Amnesty International gibt es in Moldau | |
weiter Hinweise auf Folter. Und in Georgien wird die Opposition weiterhin | |
angegriffen und eingeschüchtert. | |
Ähnlich zynisch wie Nouripour zum Thema sichere Herkunftsstaaten äußern | |
sich grüne Spitzenpolitiker inzwischen, wenn es um das geplante | |
EU-Asylpaket geht. Beim Flüchtlingsgipfel hat die Bundesregierung den | |
Ländern zugesichert, sich für einen schnellen Beschluss der von der | |
EU-Kommission geplanten Regelungen einzusetzen. Die sehen weiterhin keinen | |
verpflichtenden Verteilungsmechanismus der Geflüchteten auf alle EU-Staaten | |
vor, beinhalten aber Schnellverfahren für bestimmte Geflüchtete direkt an | |
den EU-Außengrenzen. | |
Menschenrechtsorganisationen fürchten deshalb eine dramatische | |
Verschlechterung der Lage der Geflüchteten. Länder wie Griechenland könnten | |
sich außerdem weiter zu illegalen Pushbacks ermutigt fühlen. Die Grünen | |
hatten sich deswegen in der Vergangenheit vehement gegen solche Pläne | |
gewehrt. Jetzt haben die grünen Minister*innen aber wohl ihre | |
Zustimmung Innenministerin Nancy Faeser signalisiert, die die Pläne der | |
EU-Kommission im Grundsatz unterstützt. | |
## Bloß nicht noch mehr Ärger | |
Robert Habeck spricht von einem „pragmatischen“ Ansatz: „Niemand kann etw… | |
dagegen haben, dass wir genau wissen müssen, wer nach Europa einreist.“ Cem | |
Özdemir sekundiert: „Wir müssen an der europäischen Grenze wissen, wer | |
die EU betritt, wo die Menschen herkommen und wie hoch die | |
Bleibewahrscheinlichkeit ist.“ Es scheint, als seien die grünen Minister | |
unter dem Eindruck von Heizungsdesaster und Graichen-Affäre bereit, ihre | |
menschenrechtlichen Grundsätze kampflos aufzugeben. Bloß nicht noch mehr | |
Ärger. | |
Sicher: Habeck, Özdemir und Nouripour knüpfen ihre Position an Bedingungen: | |
Habeck will gleichzeitig für mehr „Humanität“ in der EU-Asylpolitik sorgen | |
und Özdemir die Verfahren an der EU-Außengrenze nur dann akzeptieren, wenn | |
gleichzeitig ein verbindlicher Verteilungsschlüssel kommt. Doch es wäre | |
falsch, allein darauf zu vertrauen. Zu oft sind die Grünen in dieser | |
Koalition schon eingeknickt, wenn es um Themen ging, die ihnen eigentlich | |
wichtig sein sollten. | |
Wäre es am Ende eine Bundesregierung unter grüner Beteiligung, die weitere | |
Länder zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt und Asylverfahren an den | |
Außengrenzen zulässt, wäre das mehr als peinlich für eine Partei, die sich | |
als links und fortschrittlich verstanden wissen will. Für viele Geflüchtete | |
wäre es eine Katastrophe. | |
12 May 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Fluechtlingsgipfel-im-Kanzleramt/!5933919 | |
[2] https://www.gruene-bundestag.de/abgeordnete/infos-zur-person/julian-pahlke | |
## AUTOREN | |
Frederik Eikmanns | |
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