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# taz.de -- Kritik an Flüchtlingsgipfel: Von Placebo bis Populismus
> Abgeordnete von Grünen und SPD kritisieren die geplanten
> Asylrechtsverschärfungen scharf. Einzelne sehen „rote Linien
> überschritten.“
Bild: Polizeibeamte begleiten 2019 einen Afghanen auf dem Flughafen Leipzig in …
Berlin taz | Eine Einmalzahlung für die Kommunen, gepaart mit einem ganzen
Katalog an Asylrechtsverschärfungen: Viele Bundestagsabgeordnete aus den
Reihen der Ampelfraktionen reagieren entsetzt auf das, was Bundeskanzler
Olaf Scholz (SPD) am Mittwochabend mit den Ministerpräsident*innen
der Bundesländer vereinbart hat. Die Beschlüsse stellten eine „weitgehende
Aushöhlung des Rechtsstaats dar“, sagte etwa der Grünen-Politiker Julian
Pahlke der taz.
Bund und Länder hatten in ihrem Beschlusspapier nach stundenlangen
Verhandlungen festgehalten, [1][Abschiebungen erleichtern und intensivieren
zu wollen] – etwa durch eine Ausweitung des Ausreisegewahrsams,
lageabhängige Grenzkontrollen und die Möglichkeit, Mobiltelefone von
Geflüchteten auszulesen und in Sammelunterkünften mehr Räume als nur die
des Abzuschiebenden zu betreten.
Außerdem unterstreicht das Papier der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK)
die deutsche Unterstützung für Pläne der EU-Kommission zur Reform des
europäischen Asylsystems. Dieses sieht für bestimmte Gruppen Asylsuchender
Verfahren im Schnelldurchlauf an den EU-Außengrenzen vor. Auch soll es mehr
als „sichere Drittstaaten“ deklarierte Länder geben – wer ein solches auf
dem Weg in die EU durchquert, soll ohne Asylverfahren dorthin
zurückgeschickt werden. Diese Pläne bezeichnete Pahlke als
„brandgefährlich“.
Dass der Bund die Unterbringung und Integration Geflüchteter mit einer
zusätzlichen Milliarde Euro fördern will, begrüßte Pahlke. „Aber die
Asylrechtsverschärfungen sind ein Placebo, das nichts zu suchen hat in
einer Debatte, in der es sehr konkret um mehr Unterstützung für Länder und
Kommunen ging.“
Ob all diese Pläne Wirklichkeit werden, darüber dürfte in der
Ampelkoalition in den kommenden Wochen und Monaten hitzig diskutiert
werden. Pahlke sagte: „Ich werde mir definitiv nicht zu eigen machen, was
der Kanzler auf der MPK verhandelt hat, und zwar in Absprache mit
Ministerpräsidenten wie Markus Söder oder Michael Kretschmer statt mit dem
Koalitionspartner.“
„Gesetzgeber ist und bleibt das Parlament“, sagte die
Grünen-Migrationsexpertin Filiz Polat der taz. Was im Papier völlig fehle,
sei die in der Ampel eigentlich fest vereinbarte „Integrationsoffensive“:
Sprachkurse von Anfang an, uneingeschränkter Zugang zum Gesundheitswesen,
Kita- und Schulplätze und die umfassende Abschaffung von Arbeitsverboten
für Geflüchtete.
„Der pauschale Ruf nach mehr Abschiebungen ist eine populistische Debatte“,
so Polat. Die Schutzquote unter den Asylsuchenden liege über 70 Prozent,
unter den Geduldeten seien zwei Drittel Kinder und Jugendliche, nicht
wenige seien Syrer oder Afghanen, die nicht abgeschoben würden. „Wir
brauchen eine politische Antwort, die Chancen bietet und Perspektiven
eröffnet – und keinen Nährboden für einen rechten Diskurs.“ „Der
MPK-Beschluss bedient das Race to the Bottom, bis vom Grundrecht auf Asyl
nichts mehr übrig ist“, kritisierte auch die Grünen-Abgeordnete Karoline
Otte. „Für mich als grüne Abgeordnete wurden hier entscheidend rote Linien
überschritten.“
Allein stehen die Grünen mit ihrer Kritik an den MPK-Beschlüssen aber nicht
da. Die Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal hatte die Pläne als „einer
sozialdemokratisch geführten Bundesregierung unwürdig“ bezeichnet. Auch der
SPD-Abgeordnete Hakan Demir begrüßte die zusätzliche Milliarde für die
[2][Unterstützung der Kommunen] – bezeichnete aber die
Abschiebehaftvorhaben als „unverhältnismäßige Verschärfungen“, die nich…
weniger Asylsuchenden führen würden.
Das MPK-Papier sieht vor, Georgien und Moldau als sogenannte sichere
Herkunftsstaaten einzustufen. Menschen aus diesen Ländern hätten dann kaum
noch Aussicht auf Asyl. Demir hingegen schlägt Abkommen mit diesen Ländern
vor, um Menschen von dort den Weg nach Deutschland über den Arbeitsmarkt zu
öffnen. „Wer sagt: Wir brauchen 400.000 Fach- und Arbeitskräfte jedes Jahr,
muss auch die Voraussetzungen dafür schaffen“, so Demir. Ein Gesetzentwurf
zur Fachkräftemigration befindet sich derzeit im parlamentarischen
Verfahren.
In der Opposition gehen die Meinungen auseinander. Er hoffe, dass die Ampel
ihre angekündigten Restriktionen „zügig“ umsetzen werde, sagte der
CDU-Innenpolitiker Alexander Throm. „Ein üppiges Asyl- und Sozialsystem und
ungeschützte Grenzen passen auf Dauer in unserer mobilen Welt nicht
zusammen.“
Die Linke ist da anderer Meinung. „Es müsste umfassend und langfristig in
Wohnungen, Kitas und Schulen investiert werden“, so die Linken-Abgeordnete
Clara Bünger. Asylrechtsverschärfungen hingegen spielten bloß „rechten
Hetzern in die Hände, die Migration zum Ursprung aller Probleme erklären.“
11 May 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Dinah Riese
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