| # taz.de -- Oberbürgermeister zur Flüchtlingspolitik: „Wir können nicht me… | |
| > Das Bündnis „Städte Sicherer Häfen“ ist mit der solidarischen Aufnahme | |
| > von Geflüchteten an der Belastungsgrenze, sagt Potsdams | |
| > Oberbürgermeister. | |
| Bild: Notunterkunft in einer Turnhalle in Friedrichshafen für Geflüchtete | |
| taz: Herr Schubert, [1][vor dem Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt] ist keine | |
| Einigung in Sicht: Länder und Kommunen wollen mehr Geld, der Bund will | |
| nicht mehr zahlen. Wie diskutieren Sie im Bündnis „Städte Sicherer Häfen“ | |
| die aktuelle Lage? | |
| Mike Schubert: Unser Bündnis mit seinen aktuell 121 Mitgliedern versteht | |
| sich als Wertegemeinschaft mit der grundsätzlichen Bereitschaft, Menschen | |
| aufzunehmen, die aus Seenot gerettet wurden oder in überfüllten Lagern an | |
| den EU-Außengrenzen stranden. Und zwar auch zusätzlich zu den regulären | |
| Verteilungsschlüsseln. Zu dieser Haltung stehen wir: Wer Platz hat, soll | |
| mehr aufnehmen dürfen. Allerdings gibt es selbst in unserem Bündnis so gut | |
| wie keine Stadt mehr, die sagt: Ich könnte. | |
| Ist die Lage tatsächlich so prekär? | |
| Die solidarische Aufnahme ist die Gründungs-DNA unseres Bündnisses. Die | |
| aktuelle Situation ist deshalb äußerst schwierig für uns. Wir haben gesagt, | |
| dass wir helfen wollen, und müssen jetzt feststellen: Wir können es nicht | |
| mehr. Leider kommt das nicht ganz überraschend. | |
| Die Überlastung hat sich angekündigt? | |
| Bund und Länder haben seit den großen Fluchtbewegungen der Jahre 2015/16 | |
| keine Lösungen gefunden. Die Kommunen und auch unser Bündnis rufen seit | |
| Jahren nach gerechten Verteilungsschlüsseln und nach Unterstützung für | |
| echte Integrationsarbeit. Aber wir müssen das vom Katzentisch aus tun. Im | |
| Kanzleramt treffen sich der Bundeskanzler und die Länderchefs. Die | |
| kommunalen Spitzenverbände sitzen wieder nicht direkt am Tisch. Dabei | |
| kommen doch hier in den Kommunen die Menschen an, hier bauen sie sich eine | |
| neue Heimat auf. | |
| Was erwarten Sie von dem Treffen? | |
| Ich bin ehrlich gesagt ernüchtert, wie beide Seiten sich seit Tagen um die | |
| Ohren hauen, wer schon wie viel bezahlt hat. Wir brauchen pragmatische | |
| Lösungen. Ich fürchte, dass es wieder keine Einigung geben wird. Die Sache | |
| wird vertagt, und wir verlieren wieder Wochen. Auf Bund-Länder-Ebene wirkt | |
| das Thema noch ziemlich abstrakt. Bei uns vor Ort ist es schon seit Monaten | |
| sehr konkret und ernst. | |
| Können Sie das erläutern? | |
| Nehmen wir Potsdam: Von 2013 bis 2021 haben wir insgesamt 3.250 Geflüchtete | |
| aufgenommen. Allein im Jahr 2022 waren es 2.700. Das ist eine | |
| Verzehnfachung im Vergleich zum Vorjahr. Im April dieses Jahres hatten wir | |
| noch 500 freie Plätze – rechnen aber gleichzeitig mit 1.500 Menschen, die | |
| uns noch zugewiesen werden. Gerade stellen wir Container auf. Wir wollen | |
| keine Turnhallen fremd nutzen. | |
| Wie reagieren die Menschen? | |
| Allein in den vergangenen Wochen haben wir auf sechs Bürgerversammlungen | |
| über Standorte für neue Unterkünfte informiert. Die Menschen haben | |
| natürlich Fragen: Wie soll das funktionieren mit Kita, Schule und so | |
| weiter. Ich kann für Potsdam sagen: Die Diskussion ist ganz überwiegend | |
| geprägt vom Wunsch, gemeinsam Lösungen zu finden. Aber wir kommen mit | |
| unseren kommunalen Haushalten an Grenzen. Umso problematischer ist, dass | |
| die Debatte sich gerade ausschließlich um Unterkünfte dreht. | |
| Wieso? | |
| Weil damit noch lange keine Integration gelingt. Was ist mit den Kosten, | |
| wenn eine halbe Schulklasse mehr gebraucht wird, oder eine neue Gruppe in | |
| der Kita? Das hängt alles an den Kommunen. | |
| Die Organisation Seebrücke kritisiert, unionsgeführte Bundesländer würden | |
| das Engagement vieler Kommunen „strategisch“ ausblenden, „um ihre eigene | |
| Abschottungsagenda voranzutreiben“. Sehen Sie das auch so? | |
| Ich sehe durchaus viel Einigkeit quer durch die Parteienlandschaft der | |
| Länderchefs. Wir stehen nachdrücklich zum zivilgesellschaftlichen | |
| Engagement der Seebrücke: Niemand soll gezwungen sein, auf der Flucht über | |
| das Mittelmeer sein Leben zu riskieren. Allein in diesem Jahr sind schon | |
| 600 Menschen zu Tode gekommen. Als Oberbürgermeister in Potsdam stelle ich | |
| mich entschieden gegen die Legenden von irgendwelchen Pull-Faktoren. Aber | |
| im Bündnis lassen wir parteipolitische Differenzen außen vor. Wir haben | |
| eine große Aufgabe zu bewältigen, das schaffen wir nicht in der | |
| Konfrontation. Deswegen wirken wir zusammen, egal, wer welches Parteibuch | |
| hat. | |
| Deutschland will sich auf EU-Ebene für [2][Ankunftszentren an den | |
| Außengrenzen] und eine freiwillige Verteilung einsetzen. Richtig so? | |
| Als Bündnis werben wir seit unserer Gründung für eine solidarische | |
| Verteilung und gemeinsame Standards in Europa. Ich persönlich sehe aber | |
| nicht, warum wir gerade jetzt weiterkommen sollten. Wir erleben die gleiche | |
| Diskussion zum zwanzigsten Mal. Deswegen befasse ich mich mit diesen Plänen | |
| nur beschränkt. Ich bin da durchaus desillusioniert – wäre aber froh, wenn | |
| man mich an der Stelle positiv überrascht. | |
| 10 May 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Dinah Riese | |
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