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# taz.de -- Mykki Blanco in Berlin: Venus in Fetzen
> Niemand bekommt, was ihm behagt: Performerin Mykki Blanco zeigt beim
> Konzert in Berlin, warum sie eine der spannendsten Figuren des Pop ist.
Bild: Mykki Blanco, 3. August 2017, Garderobe des Berghain
Berlin taz | Die Show kommt nach der Show. Zwei Menschen zieht es in den
Kreis, der sich auf der Tanzfläche des Berliner Berghain gebildet hat.
Rotgefärbte Augenbrauen zum roten Rock trägt der Gast, der nun in die Mitte
tritt, ein schwarzes Mini-Top der andere.
Beide wehen durch den Raum, als wären sie die Stars dieser Nacht. Und im
Grunde sind sie es auch. Nur wussten sie das nicht, als sie zwei Stunden
vorher vor dem Berghain gestanden und auf das Konzert von Mykki Blanco
gewartet hatten.
Blanco, die Bühnen-Identität des schwulen Performancekünstlers Michael
David Quattlebaum Jr, 31 Jahre alt, ist eine der spannendsten Figuren im
Pop. Einst erschaffen für ein Videokunstprojekt, hat sich Mykki Blanco
längst zur eigenständigen Person entwickelt: Blancos Outfits trägt
Quattlebaum auch privat, er lebte sogar eine zeitlang als Frau.
Mal zieht Blanco das Pronomen „sie“ vor, mal „er“, mal bezeichnet er/sie
sich als „non-binary“. Das bedeutet: Gerade so, wie Menschen nicht nur
blonde oder schwarze Haare haben, muss es nicht nur zwei Geschlechter
geben. Bleibt man bei diesem Bild, trägt die kalifornische Künstlerin ihr
Haar manchmal honigblond, dann wieder ebenholzbraun.
## Alles voller Lesben
Noch vor wenigen Jahren war Blanco ein Underground-Phänomen. Heute, an
diesem schwülen Augusttag, ist das Berghain ausverkauft. Und das Publikum
so vielfältig wie selten: laute Menschen, scheue, schräge und schöne.
„Alles voller Lesben“ steht auf Postkarten, die in den Toilettenräumen
ausliegen. Kann schon sein.
DJ Zakmatic, geladen als Blancos Support, spielt harten Techno, das
Publikum steigert sich hinein in eine fröhlich-aggressive Hochstimmung. Und
dann, ohne feierliche Applauspause, fegt Blanco in einer zerfetzten Corsage
auf die Bühne wie ein Panther. Sie verdreht und verbiegt sich, bellt die
Rhymes mit ihrer markanten Stimme. Tastend, durchdringend, suchend klingt
das. Alles dröhnt, strahlt, schwitzt. Die Moral dieser Performance? Keine.
Auch wenn Blanco klare Haltung in politischen Fragen zeigt, erteilt sie
ihren Fans keine Lektionen. Mykki Blanco ist auch keine freundliche
Aktivistin, die mit offenen Armen für Toleranz wirbt. Sondern eine
Performerin, die radikale Freiheit für alle fordert.
## Zu seinen „bitches“ sprechen
Und das heißt eben auch: ein Miststück zu sein, wenn man ein Miststück sein
will. Zu seinen „bitches“ zu sprechen, wie Blanco es im Berghain tut, wenn
sie einen Neonleuchtstab drohend wie eine Kriegerin schwingt.
Es wäre zu einfach, Blanco als „Drag Queen“ zu beschreiben, als queeren
Paradiesvogel in einer Welt, die von beinharten Kerlen regiert wird. Denn
dieses Bild – die Rapbranche als Sammelbecken für homo- und transfeindliche
Stumpfköpfe – macht Blanco wütend. Klar, dass viele Rapper_innen ein
gewaltiges Sexismusproblem haben – doch ob der Rest der Popbranche denn
weiter sei? Blanco stellt das immer wieder in Frage.
Und überhaupt: Wer seien die Leute, die Hip-Hop groß gemacht haben?
Schwarze Menschen, oft aus armen Verhältnissen stammend. Menschen, um deren
Bildung es schlecht steht. Und die deshalb nicht mitkommen, wenn
Kritiker_innen darüber brüten, ob sie Blanco nun als Transfemme oder
genderfluiden Performer bezeichnen sollen.
Nichts an Mykki Blancos Musik ist affirmativ. Und niemand kriegt von ihr,
was ihm behagt: nicht die traditionsvernarrten Hip-Hop-Fans, nicht die
queere Partyszene. Dennoch packt Blanco alle, wenn sie nach zwei Songs
plötzlich auf dem Treppenaufgang neben der Bühne erscheint. „Oh Romeo, oh
Romeo!“, ruft sie, räkelt und reibt sich am Geländer.
Wenn sie wieder hinabsteigt und vorbeigleitet an den Zuschauer_innen auf
der Treppe, dann erhascht man einen Blick auf die Tattoos auf ihren Armen.
Auf die Schleppe, mit der sie aussieht wie eine Venus in fiesen Fetzen.
## Beschützt die Trans-Frauen!
Blanco peitscht durchs Berghain, als wäre Berlins sakrosankte Feierhalle
schon immer ihr Terrain gewesen – sie tanzt und rappt auf der Bühne, isst
ein Melone, schüttet sich flaschenweise Wasser über den Kopf, peitscht die
ersten Reihen mit ihrer Schleppe, dann ist sie schon wieder ins Publikum
gesprungen.
Blanco und die Berliner Technoszene sind schon länger verbunden. Im Video
zu Blancos im letzten Jahr erschienenen Single „High School Never Ends“,
einer „Romeo und Julia“-Adaption in der ostdeutschen Provinz, tauchen
bekannte Gesichter aus der Berliner Clubszene auf. Die Story: Ein Neonazi
führt eine geheime Beziehung mit einer schwarzen Transgender-Femme.
Natürlich geht das genauso tragisch aus wie in der Vorlage. Blanco wird
„High School Never Ends“ auch an diesem Abend spielen. „We must protect
Trans Women. And we must protect Black Children!“, ruft sie, bevor der Beat
einsetzt, der an eine Spieluhr erinnert. Es ist der expliziteste politische
Appell des Abends. Im Hintergrund flimmert ein Video, der Blick gleitet
über Rapsfelder.
## Die Diva stirbt
Dann muss die Diva Mykki Blanco sterben. Beim letzten Song steigt Blanco
auf den höchsten Punkt der Bühne und zieht sich die Perücke vom Kopf. Mit
kurzen schwarzen Haaren und in engen Shorts steht die Person, die – ihres
Mykki-Outfits beraubt – theoretisch Michael Quattlebaum Jr ist, vor dem
Publikum, fasst sich in den Schritt, und stellt klar: „I’m Mykki Blanco!“
Wer hier spricht, ob die Kunstfigur oder ihr Erfinder, macht keinen
Unterschied mehr. Mykki Blanco ist zu allem geworden: zu jedem
schmerzhaften Kampf, zu jedem heißen Traum, den die Gäste des Abends je
hatten.
Blanco verlässt die Bühne, der DJ zündet ein Techno-Inferno. Ein paar
Minuten hämmert und bollert und knallt es noch, dann ist Ruhe. Aber nur
kurz. Nachdem die Musik verstummt ist, macht der Gast im roten Rock den
Anfang, andere folgen, und schließlich tanzen und singen alle: „Born This
Way“ von Lady Gaga. Mykki Blanco kommt dazu, zieht aber schnell weiter. Sie
wird es wohl wissen: All diese Energie hätte es ohne ihren Auftritt nicht
gegeben. Viel mehr kann Pop nicht leisten.
4 Aug 2017
## AUTOREN
Julia Lorenz
## TAGS
Pop
Queer
Queer
Pop-Underground
Afrofuturismus
Transgender
Noise
Performance
DIY
Pop
Berlin
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Hannover
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