| # taz.de -- Andreas Dorau über Musik: „Texte sind ein notwendiges Übel“ | |
| > Andreas Dorau hat ein neues Album veröffentlicht: „Die Liebe und der | |
| > Ärger der Anderen“. Das Ziel: die Charts. Das hat er erreicht, es stieg | |
| > auf Platz 56 ein. Ein Gespräch. | |
| Bild: „Ich finde es furchtbar, wenn sich die Musik dem Text unterordnet“, s… | |
| taz: Andreas Dorau, warum haben Sie für dieses Treffen in die Cafeteria | |
| eines großen Hamburger Kaufhauses geladen? | |
| Andreas Dorau: Ich finde es bei Interviews schön, wenn diese Termine etwas | |
| mit Reisejournalismus zu tun haben. So in der Art: „Ich traf ihn in einem | |
| mysteriösen Hotel.“ Bei der letzten Platte, „Aus der Bibliothèque“, hat… | |
| ich in die Zentralbibliothek der Hamburger Bücherhallen eingeladen, bei dem | |
| Album davor hatte ich eine Kneipe bei mir um die Ecke ausgewählt. Ein | |
| Fehler. Das führte automatisch zu Bezügen wie „Gemütlichkeit“ und | |
| „Alkohol“, die mir nicht passten. Karstadt steht für nichts Bestimmtes. Ein | |
| neutraler Ort. | |
| 20 Songs sind auf „Die Liebe und der Ärger der Anderen“ – wer soll das | |
| alles hören? | |
| Schon bevor eine einzige Note aufgenommen war, hatten mein Labelchef | |
| Maurice Summen und ich beschlossen, dass wir in die Album-Charts wollten. | |
| Da war ich noch nie, und das hat mich schon immer gewurmt. Nur: Die Idee | |
| des Doppelalbums kam mir prätentiös vor. Eine bescheuerte Angeberei, als ob | |
| es automatisch ein Werk mit Tiefe wäre. Aber es hilft beim Charts-Einstieg, | |
| denn es zählt doppelt. Also haben wir es gemacht. 20 Songs sind nur ein | |
| Vorschlag. Die soll man nicht wie einen Gottesdienst durchhören – eine | |
| unerträgliche Vorstellung. | |
| Sie haben sich ungefähr ein Dutzend bekannter Namen als Songwriter und | |
| Produzenten ausgesucht. | |
| Ich hab Stück für Stück gearbeitet, mit möglichst unterschiedlichen Leuten, | |
| ohne etwas so Schreckliches zu machen, hier eine Reggae- und dort eine | |
| Soul-Nummer einzustreuen. Es sollte sich schon alles zwischen Pop und Dance | |
| bewegen. Aber es gibt drei Kriterien für Leute, mit denen ich arbeite: | |
| Ideologisch muss es eine Verwandtschaft geben, ich muss deren Musik mögen, | |
| und sie dürfen kein Über-Ego haben. | |
| Carsten Friedrichs von Superpunk, Stereo Total, Zwanie Jonson und | |
| Tocotronic-Produzent Moses Schneider sind also ganz umgängliche Typen. | |
| Zufall, dass das allesamt angesagte Musiker der Hamburg-Berliner | |
| Pop-Intellektuellen-Szene sind? | |
| Ich wollte dabei nicht clever sein, habe mir keinen bestimmten Zirkel | |
| ausgesucht. Beim ersten Mitstreiter habe ich mich so weit weg bewegt, wie | |
| es nur ging. Das war Luka Anzilotti, der Produzent der Eurodance-Band Snap! | |
| Da gab es zum einen die räumliche Distanz. Ich musste nach Frankfurt, eine | |
| Stadt, die ich nicht ausstehen kann. Und die musikalische Entfernung, der | |
| hat ja quasi Milliarden verkauft. | |
| „Stadt aus Musik“ schrieben Sie mit dem sogenannten Vater des balearischen | |
| Beats, Alfredo Fiorito. Würden Sie auf dessen Stamminsel Ibiza singen, wenn | |
| man Sie einladen würde? | |
| In der Open-Air-Disco? Ich wäre dann vermutlich um 4 Uhr dran, total | |
| besoffen, müsste vorher im Hotel warten. Unschöne Vorstellung. Und dann | |
| wird man der bescheuerten Partymeute vorgeworfen. Da käme ich mir vor wie | |
| Grace Jones. Schaut mal, das wilde Tierchen! Nein, danke. | |
| Wie wichtig sind die Texte? | |
| Texte sind für mich bis heute ein notwendiges Übel. Ich finde es furchtbar, | |
| wenn sich die Musik dem Text unterordnet. Gezupfte Gitarre, schwebende | |
| Klänge – eine furchtbare Vorstellung. Meine ideale Welt ist refrainlastig | |
| und fordert dich musikalisch, weil sie dich auf eine emotionale | |
| Achterbahnfahrt mitnimmt. | |
| „Persönlichkeit entsteht durch Imitieren“, heißt es im Text von „Sybilla | |
| Maria Merian“. Was bedeutet das? | |
| Wenn man mich fragt, wo ich mit meiner Musik hinmöchte, habe ich keine | |
| Ahnung. Irgendwas zu machen und sich darüber zu finden – das ist’s! Bei den | |
| heutigen Pop-Stars gibt es die verlogene Idee einer eigenen Persönlichkeit. | |
| Dabei sind das doch nur Versatzstücke verschiedener anderer | |
| Persönlichkeiten. Man ist nie man selbst. Man ist das Puzzle der | |
| verschiedenen Dinge, die man imitiert. | |
| Wen haben Sie denn imitiert, als Sie ein Teenager waren? | |
| Ich war zu schlecht, um andere zu imitieren. Und zu faul, ein Instrument zu | |
| lernen. Gesanglich war das auch nichts. Der Wille war aber da. Wenn auch | |
| nicht der Wille, eigenständig zu sein. Make the most with the least. | |
| Wie war das eigentlich, als Sie Ende der siebziger Jahre anfingen, sich in | |
| der Hamburger Musikszene umzutun? | |
| Holger Hiller von Palais Schaumburg war mein neunter Gitarrenlehrer. Ich | |
| hatte nie geübt, bin überall rausgeflogen. Da hat Hiller, der improvisierte | |
| Musik studiert hatte, mir eine Vierspurmaschine vorgesetzt. Darauf habe ich | |
| die ersten Stücke gemacht, nur nach Gehör, ohne Ahnung von Tonarten. Das | |
| waren eher Miniaturen, keine Songs. Das ist eigentlich addierte Musik. Im | |
| Grunde mache ich das heute noch. | |
| Sind Sie viel unterwegs gewesen? Auf Punk-Konzerten? | |
| Das damalige Hamburger Publikum war, im Vergleich zu Düsseldorf oder | |
| Berlin, sehr konservativ. Die trugen alle Lederjacken. Sex Pistols, UK | |
| Subs, das waren die Bands, auf die man sich bezog. Es gab immer | |
| Massenschlägereien. Durch Punk entdeckte ich dann New Wave und trug Sakko, | |
| Hemd und kurze Haare. Ich war zehn Jahre jünger und trank keinen Alkohol, | |
| bin nie in Kneipen gegangen. | |
| Was hören Sie heute, wenn Sie nicht Musik machen? | |
| Andere Musik zu hören verunsichert mich. Da bekomme ich starke | |
| Minderwertigkeitskomplexe. Ich zweifele bis zum Schluss an mir: Braucht das | |
| überhaupt jemand? Ich finde es auch total lächerlich, wenn Leute in meinem | |
| Alter plötzlich meinen, es wäre jetzt angebracht, Klassik zu hören. Im Haus | |
| meiner Eltern lief nichts anderes, davon bin ich bis heute traumatisiert. | |
| Meine erste Kassette war Alice Cooper. Ich komme eigentlich vom Schockrock. | |
| Man hat Sie einmal als Deutschlands subversivster Schlagerstar bezeichnet. | |
| Da kotze ich. Was ist denn Schlager, abgesehen vom Wortstamm? Es geht um | |
| eine Dur-lastige Melodie, repetitiv, das ist okay, dagegen habe ich nichts. | |
| Die Produktion könnte geschmackvoller sein. Aber die Texte sind zum | |
| Davonlaufen. | |
| Ihre Texte wirken oft platt, aber bei genauerem Hinhören sind sie ziemlich | |
| schlau. | |
| Ich würde mich schämen, wenn ich den Zeigefinger heben würde: Jetzt hört | |
| mal zu, ich erzähle was Interessantes. Da habe ich lieber ein kleines | |
| Understatement. | |
| Die Frage hat Frank Zappa schon gestellt: Does Humor Belong in Music? | |
| Ich hasse Zappa. Diese Attitüde, dieses Überlegenheitsgefühl. Zappa-Humor | |
| ist clownesk, sehr amerikanisch, er hält den Leuten den Spiegel vor. Bei | |
| mir schimmert schon Humor durch. Aber ich achte darauf, dass das bei 20 | |
| Stücken auf einer Platte nicht zu oft vorkommt. | |
| 23 Jul 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Paersch | |
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