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# taz.de -- Neue Spacemusik: Psychedelik im All
> Weltraum klingt nicht schlecht: neue Alben vom Seattler HipHop-Duo
> Shabazz Palaces, von King Britt und dem senegalesischen Musiker Ibaaku.
Bild: Ahnung von Brillen und Sound: das Duo Shabazz Palaces
Am 22. November 1968 flog das Raumschiff Enterprise schon zwei Jahre und 67
Folgen durch den Weltraum, und ihr Kapitän James T. Kirk hatte auf seiner
Reise schon einige Frauen geküsst. An diesem Tag war jedoch ein
Brückenmitglied der Enterprise das Ziel: Leutnant Uhura, die aus Afrika
stammende Kommunikationsoffizierin.
Der Kuss von Kirk und Uhura war der erste Kuss eines weißen und einer
schwarzen Amerikanerin in einer US-TV-Serie. Und es war kein Wunder, dass
er im All stattfinden musste.
Für viele afroamerikanische Künstler ist der Weltraum ein Fluchtraum vor
dem irdischen Rassismus, in dem die eigene Identität neu verhandelt werden
kann. Der Jazzexzentriker Sun Ra verwandelte sich in seiner Musik in ein
Alien vom Planeten Saturn, das wie der ägyptische Gott Ra auf die Erde
zurückkehrte, um die afrodiasporische Community vom irdischen Elend zu
erlösen, so wie er es in seinem einzigen Spielfilm „Space is the Place“
zeigt, der gerade wieder in deutschen Kinos läuft.
Das Sklavenschiff wird zum Raumschiff und dieses Motiv zieht sich seit
Jahrzehnten durch schwarze US-Popmusik. Funkmusiker George Clinton stellte
ab den siebziger Jahren ein UFO auf die Bühne, das Detroiter Technoduo
Drexciya imaginierte auf seinen Alben in den neunziger Jahren eine
futuristische Unterwasserwelt und Soulsängerin Janelle Monáe stilisiert
sich seit Ende der Nullerjahre zum weiblichen Mensch-Maschinen-Wesen auf
Weltraum-Tour.
„Für mich ist das keine Fiktion. Ich nehme Sun Ra beim Wort, ich nehme
George Clinton beim Wort. Was sie geleistet haben, geht über das
Menschliche hinaus“, sagt Ishmael Butler, 48-jähriger Rapper aus Seattle.
Gemeinsam mit Tendai Maraire bildet er das HipHop-Duo Shabazz Palaces, das
gerade zwei neue Alben, „Quazarz: Born on a Gangster Star“ und „Quazarz v…
The Jealous Machines“ veröffentlicht hat. Es sind Exkursionen in eine
Zukunft, vorgetragen in Raps mit dunklem Timbre, von einem Medium aus dem
Weltraum: Quazarz.
## Trump und der Quazarz
Quazars ist inspiriert von afroamerikanischer Science-Fiction-Literatur,
aber er ist kein Entdecker in utopischer Mission. Sein Reiseziel ist
„Amurderca“, eine Version der Vereinigten Staaten, in der Polizeigewalt
Alltag ist und die Unterhaltungsindustrie die Formate des politischen
Diskurses vorgibt.
„Die Idee des Quazars entstand, als Donald Trump im Wahlkampf versprach,
Amerika in eine Zeit zurückzuführen, in der die Weißen klar vorherrschend
waren“, erzählt Butler. „Auf einmal war ich wieder ein Fremder, ein Alien.…
Donald Trump und der US-HipHop haben eine enge Beziehung. Seit den späten
80er Jahren war der Immobilienverkäufer und Besitzer einer Luxushotelkette
für viele die Personifizierung des materialistischen Wohlstands auf Erden,
dessen Anziehungskraft sich selbst ein politischer Conscious-Rapper wie
Kendrick Lamar nicht entziehen konnte.
Erst mit seinem rassistischen Präsidentschaftswahlkampf wurde Trump zum
Lieblingsfeind von US-Rappern. Für Shabazz Palaces ist die Wahl Trumps
Anlass zu einem Metakommentar. „Trump ist nur das Ergebnis einer
Unterhaltungsindustrie, die wir in den USA seit Langem kultiviert haben und
in der jeden gegen jeden um den Preis kämpft“, erläutert Butler.
„Aber unsere Alben handeln nicht von Trump, auch wenn er das gerne hätte.
Sie handeln von uns und welche Entscheidungen wir getroffen haben, um an
diesen Punkt zu gelangen.“ Denn erratische Ausfälle gegen vermeintliche
Feinde und das permanente Überhöhen der eigenen Fähigkeiten, amplifiziert
durch die Echo-Effekte sozialer Medien, gehören auch zum
HipHop-Standardrepertoire der „Self-Made Follownaires“, wie Shabazz Palaces
sie nennen.
In Kulturpessimismus verfällt Butler deshalb nicht. „Who came first, the
Rapper or the Trap?“, fragt er in „Georgeous Sleeper Cell“ und bezieht
damit Stellung in den Generationenkämpfen im HipHop.
Denn längst gilt der minimalistische, elektronische und drogeninduzierte
Trap aus den Südstaaten denjenigen als Verrat an den Communitywerten von
HipHop, die in der goldenen Ära des samplebasierten HipHops Anfang der 90er
aufgewachsen sind. Damals war es leicht, sich durch die afroamerikanische
Musikgeschichte zu samplen, weil die Rechtslage dafür oft unklar war. „Wir
empfinden meist etwas als ‚goldene Zeit‘ einer Kultur, weil es auch unsere
‚goldene Zeit‘ war“, erzählt Butler.
Auf den beiden „Quazarz“-Alben findet sich dementsprechend auch nur ein
Sample, ein Streicherpart eines obskuren Soulsongs. Stattdessen frönen sie
einem psychedelisch brütenden, futuristischen Minimalismus aus spärlich
eingesetzten Synthesizern und Beats, die HipHop mit südafrikanischer
Percussion vereinen.
## „Freude des Tagtraums“
Verwurzelt ist dieser Hybrid nicht nur im HipHop, sondern auch im
Lo-Fi-Psychedelic-Rock von Indie-Bands wie Animal Collective. Immer wieder
erzählt Butler, wie ihn beim Produzieren die „Freude des Tagtraums“
durchströmt. Die technologischen Utopien der Mensch-Maschine sind einer
psychedelischen Utopie gewichen, deren Ideal die Zeitlosigkeit ist.
Damit sind Shabazz Palaces nicht alleine. Der afrofuturistische
Elektronikproduzent King Britt hat unter seinem Pseudonym Fhloston Paradigm
gerade ein Album veröffentlicht, das sich die Zukunft zuerst in
psychedelischen Texturen ausmalt. „Mit Fhloston Paradigm will ich den rauen
Straßen Philadelphias, auf denen ich aufgewachsen bin, eine Vision voller
Liebe entgegensetzen“, erzählt King Britt. „Das Mittel dazu sind analoge
Synthesizer.“
Britt synthetisiert auf „Alter“ mit seinen Gästen verschlungene
Melodieläufe und weite Flächen. Es ist elektronische Weltflucht für eine
Zeit, in der Dystopie real geworden ist und unüberwindbar scheint. „Scheiße
wie die Polizeigewalt ist Alltag für Schwarze in Amerika. Eine Reaktion
darauf ist, sich zu fragen, was das für die Zukunft bedeutet“, erzählt er.
„Und meine musikalische Antwort ist: Es wird kein Happy End geben, es wird
einfach nur zu Ende gehen.“
Vielleicht ist es wirklich schwer, der Zukunft eine Alternative zum Jetzt
abzuringen, wenn die Kolonisierung des Weltalls Teil der Geschäftspläne von
Silicon-Valley-Kapitalisten wie Elon Musk geworden ist, deren
Zukunftsversprechen davon ausgeht, schon jetzt in der besten aller
politischen Welten zu leben.
## Afrika neu erfinden
Der Kulturtheoretiker Kodwo Eshun beobachtet daher, dass die Zukunft nicht
mehr in den afrikanischen Exilen in den USA und Europa, sondern auf dem
afrikanischen Kontinent selbst verhandelt wird. „Der Afrofuturismus fragt
heute, wie eine afrikanische Zukunft aussehen könnte“, erklärt Eshun.
„Hier zeigt sich ein Verlangen, das indigene, theoretische und politische
Wissen Afrikas neu zu erfinden.“ Gerade in dem Moment, in dem Teile Afrikas
einen Wirtschaftsboom erleben, fragen sich Künstler, wie eine Alternative
zur kapitalistischen Modernisierung denn aussehen könnte.
Für Ibaaku aus dem Senegal ähnelt diese Zukunft einem Wimmelbild. Auf
„Alien Cartoon“, seinem Debütalbum, speist sie sich in erster Linie aus der
Vergangenheit des afrikanischen Kontinents. Ibaaku samplet ethnografische
Feldaufnahmen von Percussionspielern aus dem Kongo und schneidet diese mit
Muezzinrufen und avancierten, ortlosen Bassmusikbeats gegeneinander.
So entwirft er ein Dakar, in dem Aliens wieder eine Heimat finden können –
ein Update des politischen Imaginären des Panfrikanismus mit den Mitteln
der Science-Fiction. Bei Ibaaku ist die Heimkehr der Stämme aus der
Diaspora das Versprechen auf eine bessere Zukunft. Der Weltraum ist für ihn
verloren.
2 Aug 2017
## AUTOREN
Christian Werthschulte
## TAGS
Afrofuturismus
Rap
Afrofuturismus
Musik
Krautrock
Pop
Pop
Berlin
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