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# taz.de -- Neues von Andreas Dorau zum 50.: Ohrwürmer und eine Vogelskulptur
> Wer „Happy Birthday“ singt, fliegt raus: Zum 50. Geburtstag gönnt sich
> der skurrile Hamburger Andreas Dorau gleich zwei neue Alben.
Bild: Bloß nicht zu viel Aufmerksamkeit, bitte: Andreas Dorau wird 50 - unauff…
Was sind die beliebtesten Sujets für Popsongs? An erster Stelle wäre die
Liebe zu nennen, und die Menschen, die sie entfachen. Gern wird auch das
Wetter besungen, oder eben einfach: der schnöde Alltag.
Alles bereits tausendfach vertextet und vertont. Aber das Flaschenpfand? Da
ist Andreas Dorau weltweit der Erste, der es gut gelaunt besingt: „Die
Kinder rufen im ganzen Land / Fli-Fli-Fla-Fla-Flaschenpfand.“
Man ahnt es schon, nie wieder wird man ohrwurmfrei vor einem Pfandautomaten
stehen können: „8, 15, 25 Cent / Ein jeder diese Zahlen kennt.“ Ginge es
nach Dorau, gäbe es überhaupt keinen Grund, ohne Ohrwürmer den Alltag zu
bewältigen.
Denn ebendiesem trotzt er in seiner unnachahmlichen Art Musik zu machen,
und das ziemlich konsequent seit 33 Jahren. Jetzt sitzt er im Café der
Bücherhalle genannten Hamburger Stadtbücherei am Hühnerposten.
## Wandelndes Archiv
Der Treffpunkt ist naheliegend, denn sein heute erscheinendes Album „Aus
der Bibliothèque“ ist diesem Ort gewidmet. Hier hat Andreas Dorau daran
gearbeitet, und auch die Ortswahl liegt nahe. Denn er ist selbst ein
wandelndes Archiv der Musikstile, kennt die Popgeschichte bestens und formt
seine Musik aus vorhandenem Material.
Die Melodien der Songs von „Aus der Bibliothèque“ sind aus Loops
zusammengebastelt, die Dorau von beliebig ausgewählten CDs aus der
Leihbücherei gewonnen hat.
„Ich habe die Alben nach ihren Covern ausgewählt“, erklärt Dorau. „Es g…
nur zwei Kriterien. Da musste etwas mit Gitarre und Allerweltsmelodie
sein.“ Die Loops bilden die Grundsteine für die Sunshine-Melodien der neuen
Songs auf „Aus der Bibliothèque“, die später mit Band eingespielt wurden.
## Trauriger Vogel
Elf Stücke sind so in der für Dorau – sonst vergehen gut und gern fünf bis
acht Jahre zwischen zwei Alben – rekordverdächtig kurzen Zeit seit Juni
letzten Jahres entstanden. Außerdem gesellen sich zu den neuen zwei bisher
unveröffentlichte Songs, „Stählerner Adler“ und „Sabelle fliegt“. Ihre
Wiederentdeckung ließ in Dorau überhaupt erst die Idee zum neuen Album
reifen.
„Stählerner Adler / wo willst du hin?“, besingt Dorau mit sentimentalem
Einschlag jene Vogelskulptur, die im Bundestag im Parlamentarierraum hinter
dem großen Plenarsaal ein Schattendasein fristet. Aussortiert, weil sie als
nicht vorzeigbar erachtet wurde, inspirierte sie Doraus Freund, den
Berliner Künstler Wolfgang Müller (Die Tödliche Doris) zu einem schönen
Text: „Traurig geht dein Blick dahin ins Nichts / Manchmal auch zurück in
bess’re Zeit.“
Songs über Beziehungen, Gefühle oder Lebenskrisen kommen Dorau dagegen
nicht in die Tüte. In der Popmusik haben die ohnehin nicht viel zu suchen,
findet er: „Man muss nicht versuchen, dieses leichte Medium künstlich mit
Bedeutung und Schwere zu beträufeln.“ 33 Jahre ist es her, dass Andreas
Dorau, damals noch im Teenageralter, mit „Fred vom Jupiter“ unverhofft
einen Hit landete, der die sogenannte Neue Deutsche Welle (NDW)
mitbegründen half.
Der Künstler selbst mag den Song nicht besonders. Aber wenn er heute auf
seine Anfangstage zurückblickt, sagt er: „Meine Grundeinstellung zur Musik
ist gleichgeblieben: gegen Klischees, gegen Rockismen, gegen peinliches
Pathos.“
## Befreit von Zwängen
Unschwer hört man hier Doraus Sozialisation im Westdeutschland der späten
Siebziger heraus, wo eine kleine Szene anfing, sich von den Vorgaben und
Zwängen der Musikindustrie zu befreien und Songs in Eigenregie zu
produzieren. Man hatte genug von supermännlichen und bierernsten Rockstars,
denen die besten Plätze der Plattenmultis reserviert blieben.
Und bald besaß man auch die Technik, um sich davon unabhängig zu machen.
DiY war geboren. Und diese eckigen deutschen Texte und die in Heimarbeit
gebastelten Sounds klangen anders als der Mainstream-Rock, nicht so
straight, dafür viel humorvoller und origineller.
Dorau nennt die Zeit von 1979 bis 1981, in der er als leidender Teenager
sein Debütalbum produzierte, die erste Neue Deutsche Welle. Damit grenzt er
sich ausdrücklich gegen ihre spätere kommerzielle Vereinnahmung mit
„spaßiger, bunter, schrecklicher, leicht zu vermarktender Musik“ und den
damit assoziierten Blödelbarden wie Markus („Ich will Spaß“) ab. Diesen
müden Abklatsch zählt Dorau zur zweiten NDW. Als die Masse anfing, ihn und
Gleichgesinnte mit dem Kommerz in einen Topf zu werfen, hörte der Hamburger
mit dem Musikmachen auf.
Zeugnis von seinen Anfängen gibt die zeitgleich mit „Aus der Bibliothèque“
erscheinende Zusammenstellung „Hauptsache Ich!“ Neben den Hits und dem
Frühwerk enthalten sind darauf auch Songs seiner mittleren Phase: Gott sei
Dank fand Dorau Ende der Achtziger wieder Spaß am Musikmachen. Er lebte
damals als Filmstudent in München, noch heute verdient er sein Geld als
Video Consultant.
## Künstlerisch emanzipiert
Es folgten spannende Jahre für Dorau, der sich von dem ihm selbst
verhassten zweiten Album – „das war wirklich unter aller Kanone“ –
künstlerisch emanzipiert hatte. In der Zwischenzeit hatte sich Dorau auf
Flohmärkten eine beträchtliche Plattensammlung mit verschiedensten
Musikrichtungen zusammengekauft, die ihn mit genug Inspiration und Material
für ein neues Album versorgte.
1988 brachte er, wieder beim Düsseldorfer Label Ata Tak, sein drittes Album
„Demokratie“ heraus. Seinerzeit entdeckte Dorau die Technik des Sampling
für sich, die dank günstigerer Geräte erschwinglich wurde. „Als man ein
Stück in nur einer Stunde am Computer basteln konnte, war das ein
Riesenschritt“, erinnert sich Dorau. Gemeinsam mit seinem Freund Tommy
Eckhardt, der später mit 2raumwohnung bekannt wurde und damals in einer
Band namens Die alternativen Arschlöcher spielte, saß er stundenlang im
Wohnzimmer und bastelte an Songs.
1992 erschien Doraus Meisterwerk „Ärger mit der Unsterblichkeit“. Von den
unendlichen Möglichkeiten der neuen digitalen Technik und den Acid-House-
und Techno-Strömungen der frühen Neunziger inspiriert, setzte Dorau für
dieses und seine folgenden Alben auf digitale Klangerzeuger.
Nach geradlinigem Rave und Tanzfutter haben die allerdings nie geklungen,
zu sehr ist Dorau seinen skurrilen Texten und den Tüftelsounds mit einer
markanten Mischung aus kauzigem Humor und Alltagstrotz treu geblieben.
## Top-Ten-Hit in Frankreich
Völlig überraschend landete Andreas Dorau 1997 in Frankreich mit „Girls in
Love“ einen Top-Ten-Hit. Weitere drei Alben und ein paar Labelwechsel
später ist „Aus der Bibliothèque“ nun das erste Album seit 1988, das Dorau
wieder mit Band aufgenommen hat.
Er hat dafür Freunde wie Carsten Friedrichs, ex Superpunk, heute Liga der
gewöhnlichen Gentlemen, ins Boot geholt. Mit Friedrichs verbindet ihn außer
einer modernistischen Geisteshaltung, was Pop soll und darf, seine Liebe
zur Bücherhalle. Der Superpunksong „In der Bibliothek“ diente als Muse für
den Titel des Albums.
Noch einen Vorteil hat es für Dorau, wenn er an seinem heutigen 50.
Geburtstag in Hamburg mit Band auftritt: Dass er beim Konzert nicht allzu
sehr im Mittelpunkt stehen muss. Das wäre Dorau höchst zuwider. Mit ernster
Miene droht er: „Wer ’Happy Birthday‘ singt, fliegt raus.“
17 Jan 2014
## AUTOREN
Carla Baum
## TAGS
Pop
Hamburg
Hamburg
Miley Cyrus
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