# taz.de -- Revolution im Hebbel-Theater: Etwas Besseres als den Tod ... | |
> Nichts muss so bleiben, wie es ist: Neue Stücke des Performancekollektivs | |
> Showcase Beat Le Mot verhandeln die Revolution, für Erwachsene und für | |
> Kinder. | |
Bild: Die französische Revolution auf der Bühne des Berliner Hebbel-Theater. | |
BERLIN taz | Es war einer der schändlichen Momente deutscher Geschichte, | |
als Bismarck mit den preußischen Truppen vor Paris stand. Die Pickelhaube | |
half den reaktionärsten Elementen der französischen Bourgeoisie dabei, die | |
Commune hinzumetzeln. Über die unwürdigen Details dieser Angelegenheit hat | |
Karl Marx berichtet. Er kam zum Schluss: "Das Paris der Arbeiter, mit | |
seiner Kommune, wird ewig gefeiert werden als der ruhmvolle Vorbote einer | |
neuen Gesellschaft. Seine Märtyrer sind eingeschreint in dem großen Herzen | |
der Arbeiterklasse. Seine Vertilger hat die Geschichte schon jetzt an einen | |
Schandpfahl genagelt, von dem sie zu erlösen alle Gebete ihrer Pfaffen | |
ohnmächtig sind." | |
An der Stresemannstraße in Berlin Kreuzberg, direkt gegenüber dem | |
Hauptquartier der deutschen Sozialdemokratie, liegt das [1][Hebbel am | |
Ufer]. Das Auditorium ist leer, die Zuschauer sitzen auf der Bühne. Sie | |
laben sich an Coq au Vin und Rotwein der Marke Le Filou, eigenhändig | |
serviert von den Kommunarden von Showcase Beat Le Mot. Die Premiere von | |
"Paris 1871 Bonjour Commune" beginnt bald darauf, da klappern noch einige | |
Nachzügler mit dem Geschirr. Das Publikum weiß: The revolution will not be | |
televised. Im Theater wird sie nicht stattfinden, auch an diesem Abend | |
nicht. | |
Die Wahrheit der vielen | |
Es gibt auch keine Geschichte mehr zu erzählen. Showcase Beat Le Mot machen | |
ein episodisches Theater der Körper und Bewegungen, der Wörter und Stimmen, | |
der Lieder und Beats, der Samples und Zitate, der Dinge und Apparaturen. | |
Eine Geschichte im herkömmlichen Sinn wird hier nicht erzählt, weil die | |
Tradition der Repräsentationskunst, die großen Gemälde von Delacroix et | |
al., uns nicht die Wahrheit der vielen erzählen können, die für die | |
Kommune, das heißt die Selbstverwaltung derer, die den gesellschaftlichen | |
Reichtum produzieren, gelebt haben und gestorben sind. | |
Es lässt sich auch nicht genau sagen, an wen sich Showcase Beat Le Mots | |
Theater der Ansprache richtet. An uns, die mit auf der Bühne sitzen wie in | |
einem Fernsehstudio? Oder an das Geisterpublikum eines nicht mehr | |
vorhandenen Bürgertums im dunklen Saal des Auditoriums? | |
Die Ansprache geht so: "Liebe Schreiber, liebe Pygmäen, liebe Eskimos, | |
liebe Mieter, liebe Kioskpächter, liebe Musik, liebe Kunst, liebes | |
Kleingeld, liebe Experten, liebe Hafenstraße, liebe Kanak Attak, liebe G-8- | |
und G-12-Gegner, liebe Mama, liebe Künstlersozialkasse, liebes Facebook, | |
liebe Dorothea, die in ihrer Theatergruppe untergeht, liebe Hospitanten, | |
liebe Digitaluhrenträger, lieber Hans, der aus seiner Beziehung nicht mehr | |
rauskommt, liebe Unentschlossene, liebe Kulturinteressierte" und so weiter | |
und so fort. Irgendwann fühlt sich jeder angesprochen, bei mir ist es diese | |
Stelle: "Lieber Thomas, der aus seiner Redaktion nicht mehr rauskommt." Wir | |
sind die Subjekte der Geschichte. Was aber, wenn diese Subjekte keine | |
Ahnung haben, welche Geschichte sie schreiben sollen? | |
Showcase Beat Le Mot sind vier Männer. In ihrem Kommunestück tragen sie | |
barfuß lange Unterhosen, die unterm Knie enden, und schwarze Sakkos. Mit | |
minimalsten Mitteln nähern sie sich so der Mode zu Kommunezeiten und geben | |
sich zugleich der Lächerlichkeit und Verletzlichkeit preis. Es ist eine | |
ideale Bühnenuniform, ein Maoanzug nach Mao. "Paris 1871 Bonjour Commune" | |
besteht aus Texten, die mehr deklamiert als gesprochen werden. Sie werden | |
auf die schwarzen Wände geworfen und erscheinen auf tragbaren | |
Papierschirmen. | |
Die Akteure bewegen sich zu meist elektronischer Musik auf Sitzbällen. Sie | |
interagieren mit schweren Gymnastikbällen. Sie stellen bewegliche Tableaus | |
her, die weder reiner Tanz noch reine Bilder sind. Sie stehen der bildenden | |
Kunst mindestens genauso nahe wie dem Theater. Es wird schnell deutlich, | |
dass Showcase Beat Le Mot keine ausgebildeten Tänzer sind. Das macht den | |
Charme ihrer Choreografien aus. Haben die Kommunarden von 1871 die | |
Revolution etwa an der Akademie gelernt? Wir lernen tanzen, wenn wir tanzen | |
wollen, indem wir tanzen. | |
Eine Gurke köpfen | |
Die Männer lassen eine Gurke von einer ferngesteuerten Miniguillotine | |
köpfen. Ein Monolog spricht uns an: "Meint Ihr nicht, wir könnten uns | |
erheben, von den Monitoren aufblicken und die Füße in die Hände nehmen, bis | |
der Spaziergang ein Aufstand wird? Meint Ihr nicht, wir könnten unsere | |
Blicke abwenden, von den Quoten und Prognosen, uns umblicken in der Welt, | |
um den qualvollen Bildern des Elends Einlass zu gewähren? Wir könnten, aber | |
…" Dann unterbricht lauter Lärm die Stimme. | |
Ein HipHop-Stück setzt ein. Zu ihm versuchen sich die vier Männer | |
nacheinander am Pole-Dance. Als seien sie junge Frauen, die ihre Körper in | |
einem Stripclub gegen Bezahlung zur Schau stellen. Am Ende der Szene sinken | |
sie nacheinander zu Boden und bilden einen Haufen von Körpern. Er erinnert | |
nun doch an die Niedergemähten, die die Erstürmung von Paris zurückließ. | |
Dann marschieren sie die Bühne auf und ab, bis das Ganze dem berüchtigten | |
Catwalk-Drill aus Heidi Klums Entblößungsshow "Germanys next Topmodel" | |
gleicht. Den Zwang zur ständigen Selbstverkaufe im neoliberalen Regime der | |
Deregulierung und des Hire and Fire decken Showcase Beat Le Mot in den | |
denkbar einfachsten, brechtianisch anmutenden Bildern auf. | |
Der permanente Guerillakampf mit sich selbst, den Gilles Deleuze forderte | |
und der in der Versuchsanordnung Showcase Beat Le Mot als Handlungsmaxime | |
immer wieder durchschimmert, ist notwendig, wird die Verhältnisse aber | |
nicht ändern. Schon allein, weil er womöglich längst ein Teil von ihnen | |
geworden ist. So bleibt "Paris 1871 Bonjour Commune" ein in seiner formalen | |
Radikalität schönes wie mutiges Stück. Der wissenden Ratlosigkeit seines | |
Publikums kann es aber, vielleicht notgedrungen, keinen Dreh geben, der | |
einen Möglichkeitsraum eröffnen würde. | |
Dass man diese Ratlosigkeit mit einem ironisch gebrochenen Pathos, mit | |
Zitaten aus unser an Zeichen und Geschichten überreichen Popkultur | |
produktiv selbst ins Trudeln bringen kann, zeigt aber ein anderes Stück der | |
Gruppe, ebenfalls in diesem Jahr herausgekommen. "Die Bremer | |
Stadtmusikanten" sind nicht weniger fragmentarisch als "Paris 1871 Bonjour | |
Commune". Aber sie transportieren den Kern ihrer Geschichte in jedem Song | |
und in jedem Dialog mit. Es geht hier um die Selbstbefreiung von vier | |
geknechteten, ausgebeuteten, armseligen Kreaturen, denen das (gute) Leben | |
vorenthalten wird. Sie wissen: Etwas Besseres als den Tod finden sie | |
überall. | |
"Die Bremer Stadtmusikanten" ist voller unglaublicher Einfälle, Zitate, | |
Witze und nicht zuletzt Songs aus der Feder Andreas Doraus und anderer. Es | |
ist Kindertheater, in dem sich kein Erwachsener langweilt. Man sieht und | |
hört sich das mit großen Augen und Ohren an und wünscht sich, das | |
Erwachsenentheater wäre öfter so intelligent und profund. Wenn der Hahn | |
singt: "Herr und Knecht, Mensch und Tier / Ich geh auf zwei Beinen genauso | |
wie ihr", dann ist das die Sprache eines Theaters im Geist der | |
Französischen Revolution. | |
Damit ist es aber nicht getan, und damit geben sich Showcase Beat Le Mot | |
auch nicht zufrieden. Wenn die Tiere am Ende ankündigen, "Das war erst der | |
Anfang / Wir haben uns befreit / Jetzt geht der Tanz erst richtig los / Der | |
Tod hat keine Zeit", dann zeigt sich in den denkbar simpelsten Worten der | |
religiöse Charakter jedes revolutionären Denkens. Die Unterdrückung von | |
Mensch und Tier ist schrecklich und daher abzuschaffen. Der Tod aber ist | |
der größte Skandal. | |
Und wenn die vier Musikanten über sich sagen, "Die Katze sagt wau / Der | |
Hund macht miau / Der Hahn singt iah / Der Esel ist schon da", dann lernen | |
die Kinder die vielleicht wichtigsten Lektionen. Erstens fängt die | |
Revolution mit dem Denken, also der Sprache an. Zweitens muss auch | |
außerhalb des eigenen Kopfs nichts so bleiben, wie es ist. | |
Die Performances von Showcase Beat Le Mot formulieren so eine | |
anarchistische Ethik, die der spielerischen Freiheit der Kunst verpflichtet | |
ist. Wenn man für dieses Programm einen Imperativ sucht, dann findet man | |
ihn im so radikal skeptischen wie optimistischen Denken des Kybernetikers | |
Heinz von Foerster. Seine Maxime lautete: "Heinz, handle stets so, dass die | |
Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer wird!" Das ist der krasseste denkbare | |
Gegensatz zur populistischen Logik. Diese will die Möglichkeit echter Wahl | |
nachgerade abschaffen: Jeder Mensch und jedes Ding bekommt durch die | |
populistischen Diskursdespoten einen festen Platz zugewiesen, den er, sie | |
und es gefälligst nicht mehr zu verlassen haben. | |
11 Oct 2010 | |
## LINKS | |
[1] http://www.hebbel-am-ufer.de | |
## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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