# taz.de -- Nachruf Schlagersänger Jürgen Marcus: „… wie ein neues Leben�… | |
> Jürgen Marcus stand auf der Bühne wie auf einer Erlösungsplattform. Nun | |
> gab sein Lebensgefährte bekannt, dass er Mitte Mai verstorben ist. | |
Bild: Jürgen Marcus im Jahr 1975 beim Vorentscheid zum Grand Prix d'Eurovision… | |
Ende der 1990er Jahre wurde auch er, besser: wurden seine Lieder, ins | |
Fahrwasser des Schlagerrevivals gesogen. Dieter Thomas Kuhn grölte in | |
Mitschunkelhallen oder auf Schlagermoves „Eine neue Liebe ist wie ein neues | |
Leben“. Derjenige, der das Original zum Pop gemacht hatte, segelte auf den | |
Wogen der ästhetischen Nostalgiebewegung mit, Auftritt ist Gage. | |
Und berufstätig musste er ja sein: Jürgen Marcus, eine der wichtigsten Pop- | |
und Schlagersänger der 1970er Jahre, hatte die Lieder seines Erfolgs weder | |
getextet noch komponiert, er konnte sich auf Tantiemenausschüttungen nicht | |
verlassen. | |
Was ihn von den allermeisten seiner Schlagerkolleg*innen unterschied, war | |
ein unverwechselbarer Stil, der in Deutschland eher nicht geläufig war: Ein | |
Mann, der auf der Bühne wie auf einer Erlösungsplattform steht, den Körper | |
zu den operettenhaften Pompinszenierungen leicht schaukelnd, das Publikum | |
mit ausgreifenden Armbewegungen dirigierend – und dies mit glücklich | |
aussehender Miene. | |
„Ein Festival der Liebe“, „Schmetterlinge können nicht weinen“ oder �… | |
Lied zieht hinaus in die Welt“ sind bis heute seine Marken in der | |
Geschichte der Alltagskultur der Bundesrepublik. | |
Schwuler Ruhrpottjunge macht „sein Ding“ | |
Marcus, bürgerlich Jürgen Beumer, stammt aus dem Ruhrpott, ein Herner | |
Jung', der allen Bühnensehnsüchten zum Trotz erst mal etwas „Ordentliches“ | |
lernen musste, in diesem Fall das Handwerk des Betriebsschlossers. Danach | |
machte er sein Ding, mit verschiedenen Beatbands, mit einem Engagement im | |
Hippiemusical „Hair“, dann wurde er, seiner gewaltigen, | |
buffohaft-schmetternden Stimme wegen, vom Produzenten Jack White unter | |
Vertrag genommen. | |
Was folgte war eine dauerprominente Performance in allen Jugendmedien wie | |
der Bravo, in der ZDF-„Hitparade“, bei Ilja Richters ZDF-„Disco“ – und | |
einmal auch, das war seine Traumerfüllung schlechthin, 1976 für Luxemburgs | |
Sender RTL beim Eurovision Song Contest, wenngleich er mit „Chanson pour | |
ceux qui s’aiment“ auf dem 14. Platz enttäuschend erfolglos war. | |
Dass Jürgen Marcus schwul war, durfte damals natürlich nicht offen gesagt | |
werden – auch wenn seinen Performances in jeder Hinsicht anzusehen war, | |
dass da nicht ein Mann um eine Frau neckisch buhlt, sondern eher ein | |
Einsamer, Alleingelassener um Kontakt zur coolen Mehrheitskultur sucht – | |
ein Mann, der anders war als all die Michael Holms und Chris Roberts‘, kein | |
Gröler und Aufreißer, sondern ein, auch wenn es klischeehaft klingt, | |
Empfindsamer mit den ganz großen Gefühlen. | |
Galas, Betriebsfeste, spätes Outing | |
Anfang der 1990er, weit entfernt von allen Charterfolgen, auf Galas und | |
Betriebsfesten Geld verdienend, outete er sich endlich. Was er sagte, | |
musste Respekt ernten: Dass er, Jürgen Marcus, immer vor Aids Angst gehabt | |
habe, etwa. Dass er, so musste man dies zwischen diesen Zeilen lesen, | |
Furcht überhaupt vor Bloßstellung hatte und vor Beschämung. | |
Die Bild am Sonntag-Überschrift „Die Beichte des Jürgen Marcus. Ich konnte | |
nie eine Frau richtig lieben. Alkohol. Männerliebe. AIDS-Angst“ verweist | |
noch heute auf die politischen Verhältnisse: Schwules wird gebeichtet, | |
Schwules als Mangel an Fähigkeit, das biologisch andere Geschlecht zu | |
begehren. | |
Sein Lebensgefährte und Manager Nikolaus Fischer gab nun bekannt, dass | |
Jürgen Marcus Mitte Mai an den Folgen einer ihn seit langem plagenden | |
Lungenkrankheit verstorben ist, im Alter von 69 Jahren. | |
29 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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