# taz.de -- Hamburger Kulturfestival „Easterfield“: Erholung von der Pandem… | |
> Musik und Film, Performances, ein Skulpturenpark und Gespräche zu Themen, | |
> die die Stadt bewegen: das interdisziplinäre „Easterfield“-Festival. | |
Bild: Wer sich nah genug rantraut, sieht seine Tränen: Gerrit Frohne Brinkmann… | |
HAMBURG taz | Die Osterfeldstraße in Hamburg ist laut, aber es gibt noch | |
lautere, stärker befahrene in der Gegend. Die Gegend, das ist der äußerste | |
Ausläufer von Eppendorf, eines Stadtteils also, den die [1][örtliche | |
Boulevardpresse] selten ohne Zusätze wie „fein“ oder „nobel“ oder „s… | |
zu nennen hinbekommt. Aber hier im Eppendorfer Norden – ehe man sich | |
versieht, steht man auch schon im ganz anders beleumundeten Lokstedt – | |
fühlt sich das damit gemeinte Großbürgerliche, Societymeldungstaugliche | |
doch recht weit weg an. | |
Dafür dürfte die Gegend sein, wovon die Immobilienbranche träumt, in so | |
einer stetig teurer werdenden, mithin Rendite versprechenden Stadt. Denn | |
hier, noch längst nicht am wirklichen Rand des Hafenstadtstaates, gibt es | |
reichlich Potenzial zum lukrativen Nachverdichten: locker und gerade mal | |
eingeschossig bebaute oder gar ganz brach liegende Grundstücke; Gewerbe war | |
hier ansässig und irgendwann auch mal Industrie. | |
Manche Flächen sind im Lauf der Zeit neu bebaut worden. Oder in die | |
bestehenden Gebäude sind neue Mieter_innen eingezogen, aus neuen, wie man | |
so sagt: wissensbasierten, aus kreativen Branchen; Agenturen und derlei. | |
Den Boden bereitet hat dafür auch die Kunst, könnte man sagen: In einem | |
schönen Gebäude aus Back- und Glasbausteinen war hier bis vor rund zwei | |
Jahren eine traditionsreiche Galerie ansässig. Osterfeldstraße 6, das war | |
die vorerst letzte Adresse der Galerie Levy, die insgesamt fünf Jahrzehnte | |
lang von Hamburg aus mit Kunst handelte, insbesondere der Pop-Art | |
verwandter. | |
Heute hat in dem Bau, eben, unter anderem [2][eine Agentur] für „emotional | |
brand building“ ihren Sitz, aber auch ein „[3][Creative Hub] für | |
Strategien, Konzeption und Umsetzung kreativer Projekte in der | |
Lifestylebranche“. Dessen Gründer Florian Berger wiederum war vor ein paar | |
Jahren Vorstandsmitglied des traditionsreichen Hamburger Kunstvereins, und | |
so erklärt sich, dass das Grundstück an der Osterfeldstraße nun Schauplatz | |
des durchaus ambitionierten „Easterfield“-Festivals wird, das Berger | |
zusammen mit Kunstvereinschefin Bettina Steinbrügge konzipiert und | |
angeschoben hat: Vom 30. Juli bis zum 15. August sollen „die Künste der | |
Stadt Hamburg“ in ihrer Vielfalt gefeiert werden, und das, so der Anspruch, | |
so interdisziplinär, wie den Pandemieverhältnissen angemessen, nämlich | |
unter freiem Himmel. | |
## Kunst im Garten | |
So wie zu Zeiten des Galeriebetriebs stehen und hängen nun wieder | |
Kunstobjekte zwischen dem alten Baumbestand, die aber niemand kaufen soll: | |
[4][Karo Akpokiere], in Hamburg und dem nigerianischen Lagos wirkend, hat | |
ein vermenschlichtes Europa einen Brief an Afrika schreiben lassen, in dem | |
der vermeintlich so viel fortschrittlichere Kontinent den ach so | |
rückständigen bittet, ihm beizubringen, „offen, selbstlos und | |
gemeinschaftsorientiert“ zu sein. Erst mal ganz anders funktioniert | |
[5][Kerstin Bruchhäusers] „Club Tropicana“, ebenfalls flächig an einer | |
Hausfassade angebracht: Zwei mal sechs Meter Polyesterstoff, geradezu | |
rhythmisch angeordnete Streifen in Neongelb und -pink seien eine Hommage an | |
den Sommer, sagt die Hamburgerin – und ganz spezifisch [6][an das | |
Musikvideo] zu dem den Titel inspirierenden Wham-Stück aus dem Jahr 1983 | |
Das ist nun in Hamburg nicht zu sehen, wer sich aber die Mühe macht, findet | |
darin nicht nur Streifen und Farbschema wieder, sondern stößt auch wieder | |
auf, sagen wir: eine Variation aufs Thema Europa und das exotisierte | |
Andere. | |
Eine Wand ganz hinten auf dem Grundstück haben die Hamburg/Berliner | |
Graffitikünstlerinnen Goodgurlsgang besprüht, mit einem thematisch durchaus | |
aktuellen Triptychon: Von links nach rechts geht es da ums sommerliche | |
Angestarrtwerden aus Männeraugen, um depressive Tage und, schließlich, die | |
Unfreiheit von Brustwarzen. Ferner zu sehen sind unter anderem | |
standortspezifische Hinweisschilder von [7][Ceal Floyer], [8][Axel | |
Loytveds] scheinbar unnütze Mülleimer und [9][Gerrit Frohne-Brinkmanns] | |
weinender, weißer Flauschtiger. | |
Bildende Kunst von mehr als einem Dutzend Urheber_innen ist eine der fünf | |
Facetten des „Easterfield“-Programms, und die Objekte im Freien sind auch | |
durchgängig anzusehen. Darüber hinaus werden [10][insgesamt sechs Tage] mit | |
anderem Programm bespielt: Dann gibt es jeweils eine Performance und einen | |
Film respektive ein Kurzfilmprogramm zu sehen, so erfährt am 6. August etwa | |
Sven O. Hills schon 2019 abgedrehte, dann aber unter die Corona-Räder | |
gekommene [11][Krimikomödie „Coup“] eine Art späte Hamburg-Premiere. | |
Ebenfalls Bestandteil dieser Tage sind Konzerte, unter anderem von Andreas | |
Dorau (31. Juli), der Hamburger [12][Soulsängerin Miu] (5. August) und | |
Michela Melián (11. August). Die „Talks“, Gesprächsrunden, schließlich | |
widmen sich Themen wie Rassismus, dem Wert von Ideen, der „gerechten | |
Vergütung von Streams“ – oder auch der (Hamburger) Bodenfrage: „Räume, | |
Kunst & Real Estate“ ist diese Runde am 31. Juli überschrieben, moderiert | |
vom Zeit-Autor und Stadtentwicklungsaktivisten Christoph Twickel; womit | |
sich auch ein Kreis schließt zur möglichen Zukunft der Brachen und | |
Beinahe-Brachen. | |
Mögen Steinbrügge und Berger auch – streng sprichwörtlich – die Eltern d… | |
Ganzen sein: Beteiligt am Zustandekommen, das betonen beide, waren viele | |
andere. Etliche Hamburger Institutionen und Einzelpersonen, von Museen und | |
Galerien über das Abaton-Programmkino bis hin zur Band Deichkind haben in | |
nur fünf Wochen das Programm zusammengestellt und realisiert; ohne jeden | |
Konflikt, so Berger auf Nachfrage – auch das ist vielleicht bemerkenswert | |
in diesen oft so überhitzt scheinenden Zeiten. | |
Nicht möglich gewesen wäre das „Easterfield“ ohne öffentliche Förderung, | |
auch das war Steinbrügge vorab wichtig – genauer den Töpfen, die die Stadt | |
zur Krisenbewältigung der Kulturbranche stellt. Wer als Veranstalter_in | |
etwa Teil [13][des derzeitigen „Kultursommers“] sein wollte, musste | |
maßgeblich Hamburger_innen beteiligen – das tue das Festival sogar zu 90 | |
Prozent, sagt Steinbrügge, was eine Übererfüllung der Maßgabe wäre. Und f�… | |
den Anspruch, gerade ansonsten kulturell unterversorgte Teile der Stadt zu | |
berücksichtigen, ist sie ein besonders gutes Beispiel, diese schattig-grüne | |
Ausflugsdestination an der Osterfeldstraße. | |
30 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Zukunft-der-Hamburger-Morgenpost/!5655023 | |
[2] https://www.vagedes-schmid.de/ | |
[3] https://andmylk.com/ | |
[4] https://www.karoakpokiere.com/ | |
[5] https://www.kerstinbruchhaeuser.com/ | |
[6] http://www.mtv.de/musik/videoclips/d8nms5/Club-Tropicana | |
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Ceal_Floyer | |
[8] http://axelloytved.de/ | |
[9] http://www.frohne-brinkmann.com/projects/iloveyou | |
[10] https://pretix.eu/kunstverein/easterfield/ | |
[11] https://www.coup-film.de/ | |
[12] /Zeitzeuginnen-Projekt-The-Reminder/!5784498 | |
[13] /Hamburg-will-Branche-aufhelfen/!5781316 | |
## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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