| # taz.de -- Memes und Trolle im Internet: Alltäglicher Konzeptualismus | |
| > Zu trollen kann mehr sein als bloß Stänkern, Verhöhnen oder Lügen | |
| > verbreiten. Denn Trollen ist eine Kommunikationsstrategie. | |
| Bild: Sind Trolle und Street-Artists Hofnarren, die unbequeme Wahrheiten ausspr… | |
| Das Internet ist bekanntlich gefüllt mit Bildern und Videos, Trollen und | |
| Memes, Erheiterndem und Skurrilem, Süßem und Verstörendem. Allesamt frei | |
| zugänglich. Ein angeblich demokratischer und barrierefreier Raum. Wie ein | |
| Graffitikünstler kann man dort die eigene Wahrheit in die Welt posaunen. | |
| Die kann schön sein oder lustig, wirkt mal befreiend, mal verschwörerisch. | |
| Das Bild vom Sprayer als analoger Entsprechung des Netzbürgers ist gar | |
| nicht so verkehrt. Denn die Aneignung von öffentlichem Raum ist schon immer | |
| die Sache von Straßenkünstlern gewesen – gleich, ob es sich dabei um ein | |
| naives Graffito oder eine anspruchsvolle Performance handelt. | |
| Street-Art-KünstlerInnen gelten als geniale Prankster, als Hofnarren, die | |
| unbequeme Wahrheiten aussprechen. Das scheint richtig, möchte Street-Art | |
| doch unser Denken und unsere Lebensweise spielerisch hinterfragen, mal | |
| smart, mal ironisch, und auch mal aggressiv. Häufig lässt sich das gar | |
| nicht so genau unterscheiden. | |
| Wer im Netz diese Rolle beansprucht, ist als Troll unterwegs. Jemanden zu | |
| trollen heißt, ihn emotional zu provozieren, ohne Rücksicht auf Verluste. | |
| UrheberInnen von Hasskommentaren werden gerne als Trolle bezeichnet. So | |
| hält man sie sich auf Distanz. Trolling-Aktionen haben in der Vergangenheit | |
| Einzelpersonen, aber auch große Organisationen wie Scientology getroffen. | |
| Zu trollen kann mehr sein als bloß Stänkern, Verhöhnen oder Lügen | |
| verbreiten. Denn Trollen ist eine Kommunikationsstrategie. Es geht um | |
| gezielte Disruption, das Hacken von Diskursen. Durch lustvolle Provokation | |
| soll der Status quo erschüttert werden. Nicht zufällig sieht die | |
| Anthropologin Gabriella Coleman im Internettroll den Geist von | |
| Situationismus und Dada weiterleben. | |
| ## Netzkunst und Post-Internet-Art | |
| Indes hat der Internet State of Mind (mit seinen drei Kennzeichen: | |
| Beschleunigung, Zerstreuung und Referentialität) längst eigene ästhetische | |
| Praxen hervorgebracht. Vor einigen Jahren tummelte sich unter dem | |
| irreführenden Namen Post-Internet-Art beispielsweise eine seltsam | |
| affirmative bildende Kunst auf den Biennalen. Anders als man vielleicht | |
| erwarten würde, handelte es sich dabei nicht um eine Kunst nach dem Ende | |
| des World Wide Web, sondern vielmehr um eine Kunst, die den Fakt des | |
| Internets für voll nimmt. Werke der Post-Internet-Art setzen sich mit | |
| unserer digitalen Existenz und Erlebniswelt auseinander. Im Gegensatz zur | |
| Netzkunst der 1990er Jahre geschieht dies weniger im Gewand der | |
| Gesellschaftskritik, sondern mit Mitteln der ironischen Brechung. | |
| Mittlerweile ist aber zu vernehmen, dieser Hype sei auch schon wieder | |
| vorbei. | |
| Als langlebiger hat sich etwas anderes erwiesen: das Meme, eine | |
| Bild-Text-Komposition, wie sie nur das Internet hat hervorbringen können. | |
| Oft besteht es aus einem Foto mit einer Bildunterschrift. Um ein Meme zu | |
| lesen, muss man andere Memes kennen, meist bezieht es sich nämlich in | |
| mindestens einem Aspekt auf bereits existierende Werke. Memes verbreiten | |
| sich über Internetforen wie 4Chan und Reddit; später können sie über | |
| Instagram, Twitter oder 9Gag ein riesiges Publikum erreichen. Weil Memes | |
| komplexe und hyperreferentielle Systeme bilden, die auf der endlosen | |
| Variation bestimmter Codes basieren, bezeichnete der Kulturwissenschaftler | |
| Darren Wershler sie als „alltäglichen Konzeptualismus“. | |
| ## Würde gilt wenig | |
| Wie jede populäre Ästhetik verdankt sich der Erfolg von Memes einer | |
| gemeinsamen Kultur. Oft beziehen sie sich auf popkulturelle Erzeugnisse wie | |
| kultige Fernsehsendungen, witzige Werbungen oder Videospiele; gerne nehmen | |
| sie diese auf die Schippe oder bedienen sich eines vermeintlich unsinnigen | |
| „Dafuq“-Humors („What the fuck?“). Memes unterstehen keiner Vorstellung… | |
| Autorenschaft oder Originalität, sie sind hackbar und gelten als | |
| demokratisch, weil frei von Copyright. Gleichzeitig schützt nichts vor der | |
| Memefizierung. Vom Slogan einer Dauerwerbesendung bis hin zu Hillary | |
| Clintons Lippen kann es alles und jeden treffen. Menschliche Würde oder | |
| gegenseitiger Respekt gelten wenig in einer Welt, in der etwas nie | |
| vollkommen ernst gemeint scheint. | |
| So weit, so vorpolitisch. Doch Seiten wie 9Gag, Reddit und vor allem die | |
| unübersichtliche Weite von 4Chan lassen sich auch zur politischen | |
| Mobilisierung nutzen. Der auf diesen Seiten zelebrierte Kult des Nerds, des | |
| Außenseiters und Underdogs ähnelt der Anti-Mainstream-Haltung von | |
| Subkulturen. Eine Vielzahl älterer Memes bringt dieses Lebensgefühl | |
| ironisch zum Ausdruck: „Forever Alone“, der sozial-verklemmte Pinguin oder | |
| die bis heute virulenten Gegenüberstellungen – „Musik damals“ (= gut); | |
| „Musik heute“ (= schlecht) – zeugen von tief empfundenem Unbehagen an ein… | |
| optimierungs- und fortschrittswütigen Zeit. | |
| Spätestens seit den US-amerikanischen Vorwahlkämpfen 2016 ist das trolling | |
| und Streuen von Fake News via Memes aus der sogenannten Alt-Right, einer | |
| losen Ansammlung libertärer bis neofaschistischer NetzaktivistInnen, kaum | |
| wegzudenken. Politische Influencer wie der Männerrechtler Mike Cernovich | |
| haben längst erkannt, wie leicht sich ihre Zielgruppe aus eigentlich | |
| unpolitischen Millennials (häufig sind es Gamer oder Waffenfreaks) affektiv | |
| beeinflussen lässt. Da wird eine Kampagne gegen Sexismus in der | |
| Videospielindustrie in eine gefährliche Einflussnahme politisch korrekter | |
| „Social Justice Warriors“ umgedeutet oder Hillary Clintons „unweibliche“ | |
| Professionalität als fremdgesteuerte und entmenschlichte Charakterlosigkeit | |
| gegeißelt. | |
| Die irische Journalistin Angela Nagle hat kürzlich in ihrem Buch „Kill All | |
| Normies“ darauf hingewiesen, dass der Teil des Internets bisher viel zu | |
| wenig beleuchtet wurde, in dem es von Verschwörungstheorien, Fake News und | |
| Diskriminierung nur so wimmelt. Dabei spielten Trolling-Strategien und | |
| Online-Memes im antiliberalen Kulturkampf eine zunehmend tragende Rolle. | |
| ## Beatles versus Bieber | |
| Die Mutation vom relativ harmlosen Unterhaltungswert zu aggressiver | |
| Agitprop kann man im Internet live mitverfolgen. Da ist zuerst ein Meme zur | |
| Gegenwart des Pop: damals = Beatles, heute = Justin Bieber. Daraus | |
| entwickelt sich dann ein antimoderner Claim über die „Entartung“ westlicher | |
| Kunst (Michelangelo vs. Pollock), der wiederum zu einem wahnhaften | |
| Ausbruch, gefunden auf dem Twitter-Account einer deutschen Identitären, | |
| mutiert: Flüchtlinge damals = süße schlesische Kinder auf Kofferhäufchen, | |
| heute = barbarische Horden. | |
| Ein beliebtes Motiv der Alt-Right ist die „rote Pille“ aus „The Matrix“, | |
| welche verborgene Vorgänge sichtbar machen soll. Gemeinsam haben Trolle, | |
| Teile der Meme-Kultur und eben auch Street-Art, dass sie Fassaden zum | |
| Bröckeln bringen möchten; dass unhinterfragte Gewissheiten endlich | |
| hinterfragt werden. Heute halten Anonymous-Hacker Scientology zum Narren, | |
| das Institut für Politische Schönheit zelebriert Antifa-Aktionen als | |
| Happening, und identitäre Aktivisten karikieren Pro-Flüchtlings-Demos – mit | |
| entsprechender Vermarktung über die sozialen Medien. All das zeigt: Eine | |
| entgrenzte, antiautoritäre und öffentliche Kunst ist noch lange kein | |
| Selbstzweck. „Die Schönheit liegt auf der Straße“, riefen schon die | |
| Situationisten und schielten auf die Überwindung des Kapitalismus. | |
| Heute haben sich viele Formen des Straßenaktivismus – auch politische | |
| Auseinandersetzungen – ins Digitale verlagert, inklusive analogen | |
| Rückkopplungseffekten, die Debatte über #MeToo lässt grüßen. „Echte“ | |
| Street-Art mag weiterhin die Städte tapezieren und uns zum Denken | |
| animieren. Allerdings wird das Denken längst woanders beeinflusst. Darauf | |
| sollten wir gefasst sein. | |
| 12 Feb 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Frederic Jage-Bowler | |
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