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# taz.de -- Internethumor mit alten Männern: Sozialismus Superstars
> Im Internet tauchen alte Ikonen als Memes auf. 30 Jahre nach dem Ende der
> UdSSR scheint Sozialismus wieder in zu sein. Ist das etwa schon Protest?
Bild: Saucool und so dermaßen online: Lenin, Engels und Marx
Marx trägt Sonnenbrille, Lenin hat einen Hut und Engels raucht ’nen Joint.
Die Augen der drei Theoretiker wirken entschlossen wie eh und je, nur der
Kontext ist irgendwie sinnentleert. Auch der [1][weltberühmte Bruderkuss
von Honecker und Breschnew irritiert:] „Let’s be more than comrades“ steht
dazu, „lasst uns mehr als Genossen sein“. Welch brüderlicher Gruß zum
Valentinstag.
Noch so ein Bild: Marx’, Lenins und Engels’ ernste Blicke [2][bohren sich
in die Kameralinse eines Smartphones.] Die drei sozialistischen Vordenker
machen ein Selfie – das Sinnbild der Millennials schlechthin. Oder diese
Illustration: Genosse Lenin streckt [3][statt gewohnt geballter Faust ein
Klapphandy in den Himmel.] „You used to commie on my cell phone“, ein
Wortwitz, der auf den Welthit „Hotline Bling“ des Rappers Drake anspielt.
Die drei Sozialismus-Superstars sind wieder supercool, superzeitgemäß und –
liebe Jury fürs Jugendwort 2025, aufgepasst – „on fleek“, gemeint: auf d…
Punkt gebracht.
## Manchmal smart, manchmal stumpf
Sowjetrealismus trifft Jugendkultur, und altlinke Revolutionsfantasien
leben albern wieder auf: Willkommen in der Welt der Memes. Unzählige User
erstellen die kleinen – meist nicht sozialistischen – Bildchen mit teils
smartem, teils stumpfem Humor, die anschließend in sozialen Netzwerken um
die Welt getragen werden. Seit etwa zehn Jahren werden es immer mehr.
Letztlich reichen ein popkultureller Riecher und marginalste Kenntnisse der
digitalen Bildbearbeitung, um einen Gehirnfurz, pardon, ein Aha-Erlebnis zu
einem viralen Hit zu machen. In der Meme-Subkultur, so fühlt es sich an,
wurden die Produktionsmittel bereits enteignet. [4][Martin-Memes als
Schulzzug] wurden im Bundestagswahlkampf so [5][zu einem viralen Hit.] Er
hatte keine Bremsen. Nun ist er entgleist.
Die erfolgreichste sozialistische Meme-Website läuft bei Facebook unter dem
Namen [6][„Sassy Socialist Memes“]. Seit April 2015 versorgen die
Seitenbetreiber ihre User fast täglich mit neuen Bildchen. „Wir sind
einfach ein paar Jugendliche, die Memes verbreiten und online Spaß haben
wollen“, sagt die Gruppe, die anonym bleiben möchte. Die Memes erstellen
die „frechen Jugendlichen“ entweder selbst, sie werden ihnen zugesandt oder
sie teilen diese von anderen Seiten.
Rund eine Million Fans konnte die Seite bereits einreihen, die einzelnen
Posts generieren im Schnitt etwa 10.000 Likes. Bis zum 500.000. Fan der
Seite explodierten die Like-Zahlen, dann schlug ein Facebook-Algorithmus
ein und beschnitt die Seiten-Reichweite stark, sagt die Gruppe. Der Ironie,
dass ihre publizistische Tätigkeit ausgerechnet vom neoliberalen,
wachstumsiorientierten und imperalistischen Klassenfeind Facebook
gedeckelt werden, ist man sich übrigens bewusst.
## Agitprop und Cartoons
Gerüchten zufolge kann Humor auch ohne sozialistische Zaunpfahlwinks
funktionieren. Wieso also der politische Link? Die Seitenbetreiber
verweisen auf Agitprop, ein linguistisches Verbrechen, bestehend aus
„Agitation“ und „Propaganda“. Inhaltlich bezeichnet der Begriff die
politische Werbung in der Sowjetunion. Er erwuchs postrevolutionär vor etwa
100 Jahren, bis heute steht er für die Vermittlung leninistischer,
kommunistischer Politik. „Sozialistische Memes sind nahezu die Fortsetzung
des Agitprop im 21. Jahrhundert“, sagen die Seitenbetreiber. Nur die
Revolution, die blieb diesmal aus.
Auch David Marshall, Professor an der australischen Deakin-Universität,
stellt historische Verknüpfungen her. Seit drei Jahren forscht der
Kommunikations- und Kulturwissenschaftler in Melbourne über politische
Memes. Sein Fazit: „Memes sind der politische Cartoon unserer Zeit.“
Spätestens die Meme-Welle zum US-Wahlkampf 2016 habe gezeigt, wie stark das
Phänomen im politischen Diskurs funktioniere. „Zwischen den Zeilen
behandeln sie ernsthafte politische Themen – stets mit humoristischem
Abstand“, sagt Marshall.
Außerdem hätten sie im Vergleich zum Cartoon einen großen Vorteil: „Als
Teil einer ‚sharing economy‘ gleiten sie durch unsere Online-Kultur,
politische Cartoons sind ein alleinstehendes Werk.“ Schließlich werden
Memes permanent von anderen Nutzern aus dem Kontext gerissen, verändert
oder weiterentwickelt. Sie sind für jeden (mit Internetverbindung) erstell-
und erreichbar.
Weltweite Vernetzung im Polit-Kontext riecht nach Einflussnahme und Macht.
„Memes haben durchaus die Kraft, eigentlich positive Beziehungen zu
politischen Personen und Positionen zu destabilisieren“, so Marshall, „wenn
sie Muster produzieren, die Werte und Richtungen anzweifeln.“ Dabei käme es
auf den Einfluss von Humor auf die politische Kultur an: Die Politiker
müssten die Trends letztlich auch als wertvolle politische Meinungen
wahrnehmen.
## Choo-choo!
Also, um was geht es jetzt eigentlich bei den frechen Sozialismus-Memes: Um
handfesten, revolutionären Protest oder um postironische Internet-Jokes?
Und kann sozialistische Agitation online überhaupt funktionieren?
Laut den frechen Internet-Kids der „Sassy Socialist Memes“ können Memes als
Form des Protests angesehen werden. Die angesprochenen Millennials hätten
auch die Kraft, den Kapitalismus abzuschaffen. Dies sei jedoch keine Frage
des Alters, sondern eine Frage der Klasse. Laut David Marshall aus
Melbourne zerlegen die Seitenbetreiber effektiv die Verknüpfung von Führung
und Idee. Dies könne realpolitisch sogar „dazu führen, dass wir das
Bedürfnis nach politischer Führung als zentrales Element zeitgenössischer
Politik ablegen – auch sozialistischer.“
Letztlich liegt die Macht der Bilder darin, jugendliches Interesse am
Sozialismus hochzuhalten. Denn auch wenn die Memes mitunter sehr albern
daherkommen, rotieren die bärtigen Gesichter Marx’, Lenins und Engels’
online und (je nach Filterblase) sichtbar. Einhundert Jahre nach der
Oktoberrevolution funktioniert sozialistische Propaganda heute eben mit
Sonnenbrille, Hut und Joint. Oder Drake-Zitaten. Oder Selfies. Hauptsache
schnelllebig, hauptsache witzig und stets mit Verknüpfung zur eigenen
Realität.
Auch wenn die Revolution wohl nicht auf Facebook stattfinden wird, die
verstaubten Sozialisten sind auf den Hype-Zug aufgesprungen. Choo-choo!
26 Mar 2018
## LINKS
[1] https://78.media.tumblr.com/3a71bd6fdf8ef924eda4dcc7492eca13/tumblr_o2jdff8…
[2] https://static.tumblr.com/d302edc105e9074b56726a1bc1b9da75/nsawrw2/mlro8okk…
[3] https://funnypictures2.fjcdn.com/comments/I+love+communist+memes+_ddd1df8f0…
[4] http://i.imgur.com/sgFQJbh.jpg
[5] https://i.redd.it/2u8noifxo6ey.jpg
[6] https://www.facebook.com/sassysocialistmemes/
## AUTOREN
Christopher Kammenhuber
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