# taz.de -- Ausstellung „International Dealmaker“: Der verminte Obstkorb | |
> Der Münchner Kunstverein Positive-Propaganda holt internationale | |
> Street-Art Künstler in die Stadt. Jetzt zeigt er, was in ihrem Atelier | |
> entsteht. | |
Bild: Den gewaltsamen Tod muss der Mensch nicht annehmen: „Credit War“ von … | |
Hat jemals jemand im Angesicht eines gesellschaftskritischen Kunstwerks | |
sein Leben geändert? Hat sich erkundigt, in welche Märkte er mit seinem | |
Super-Duper-Rendite-Fonds da eigentlich investiert? Hat auch nur einen | |
Moment gezögert, die schönen roten Spitzpaprika aus der Wüste zu kaufen? | |
Ist gar politisch aktiv geworden? Eher nicht. Aber man kann es ja trotzdem | |
weiter versuchen … | |
Weintrauben, Pfirsiche, ein paar Feigen … köstlich! Ein Aquarell zum | |
Anbeißen, ganz in der Tradition barocker Stillleben, die die Schönheiten | |
des irdischen Lebens sinnlich in Szene zu setzen wussten. Doch leider: Der | |
Obstkorb ist vermint. Zwischen den prallen Früchte liegen mehrere | |
Handgranaten. | |
Der spanische Künstler „ESCIF“ hat dem alten barocken Motiv damit eine ganz | |
besondere Note hinzugefügt: Viele traditionelle Stillleben zeigen die | |
Kostbarkeiten der Welt, um damit an die Vergänglichkeit des irdischen | |
Lebens zu erinnern und den Menschen auf seinen Tod vorzubereiten. Den | |
natürlichen Tod muss der Mensch schließlich annehmen. Den gewaltsamen aber | |
nicht. | |
Das Aquarell ist eine von rund 50 Arbeiten, die der Münchner Kunstverein | |
„Positive-Propaganda e.V.“ derzeit in einer großen Ausstellung zeigt. Der | |
gemeinnützige und vom Kulturreferat der Stadt geförderte Kunstverein hat es | |
sich zur Aufgabe gemacht, internationale Street-Art Künstler nach München | |
zu holen. Tatsächlich sind so in den letzten fünf Jahren ein gutes Dutzend | |
herausragender Murals in der Stadt entstanden, darunter etwa von Shepard | |
Fairey alias „OBEY GIANT“, der mit seinem Hope-Plakat für Obamas Wahlkampf | |
weltberühmt wurde. | |
## Street-Art Künstler arbeiten auch im Atelier | |
Wie dieses Plakat schon andeutet: Street-Art Künstler nutzen für ihre | |
sozialkritischen Werke eben nicht nur Hauswände, sondern sie arbeiten auch | |
im Atelier. Und eine ganze Reihe solcher „Indoor-Street-Art“ – Siebdrucke, | |
Handzeichnungen und Aquarelle von insgesamt vier internationalen Künstlern | |
– zeigt „Positive-Propaganda“ aktuell in seinem Artspace. | |
So wie eben den Obstkorb von ESCIF. Auf den ersten Blick wirken viele | |
seiner Aquarelle mit ihren erdigen Pastelltönen harmonisch, doch das dient | |
nur der Fallhöhe für bitterböse Pointen. Eigens für die Ausstellung | |
entstanden ist etwa eine Keramik-Vase mit dem Titel „Made in Munich“. | |
Klassisch geschwungen ist diese Vase, mit rundem Bauch und schmalem Hals, | |
selbst das Muster ist in traditionellem Delfter Blau gehalten. | |
Doch bei näherer Betrachtung erweisen sich die abgebildeten Motive alles | |
anderes als Blumenvasen-typisch: Es sind Panzer, Maschinengewehre und | |
Militärflugzeuge „Made in Germany“, die da unter dem Duft weißer Lilien | |
ihren Charme entfalten. Das ursprüngliche Motiv hat ESCIF bereits 2016 bei | |
einem Besuch in der Nähe des Münchener Hauptbahnhofs in Form eines 20 Meter | |
hohen Wandbilds verwirklicht. | |
„Wir sind durch die Innenstadt geschlendert, dabei viel ihm eine | |
überwältigende Pracht an Blumenan jeder Ecke auf. Zugleich hat er sich aber | |
auch gewundert und gefragt, wo denn die ganzen Flüchtlinge eigentlich sind, | |
die hier ein Jahr zuvor alle angekommen waren.“ Erinnert sich Sebastian | |
Pohl, Künstlerischer Leiter des Kunstvereins Positiv-Propaganda, der die | |
ausstellenden Künstler bereits seit vielen Jahren bei ihrer Arbeit | |
begleitet. | |
## Krauss-Maffei-Wegmann ist leider kein Museum | |
„Er hat mich gefragt, ob wir uns die Gedenkstätte Dachau ansehen könnten, | |
als er dann allerdings am S-Bahnhof Allach aus dem Fenster geschaut hat, | |
sah er einen Leopard Panzer neben dem anderen. Darauf fragte er mich | |
„That’s a museum, right?“ Leider nein. Das war „Made in Germany“ auf … | |
Werksgelände von Krauss-Maffei-Wegmann.“ | |
Panzer zeigt auch eine Arbeit des italienischen Künstlers BLU. Panzer und | |
Bagger, einer hinter dem anderen, den Weg einer Endlosschleife / Möbius | |
Band beschreibend. Es handelt sich um Raupenbagger mit Tieflöffeln und | |
großer Schaufel, also nichts womit man mal eben Glasfaserkabel verlegt, | |
sondern schweres Gerät, mit dem man Brachland erschließt, Häuser und | |
Straßen baut und Siedlungen eben. | |
Es geht dem Künstler um die israelische Siedlungspolitik und das, was sie | |
der Struktur nach ist: Eine Achterbahn, eine Kanonade, ein nie enden | |
wollender Teufelskreis. Auf die Bagger folgen Panzer folgen Bagger folgen | |
Panzer. | |
„Der Titel der Ausstellung „International Dealmaker“ bezieht sich auf Dea… | |
in Politik und Wirtschaft, die selten zum Wohl der Gemeinschaft, sondern | |
immer skrupelloser der Durchsetzung eigener Interessen dienen“ erklärt | |
Sebastian Pohl der seit mehr als einem Jahrzehnt mit einigen der | |
bedeutendsten Protagonisten der Street-Art Bewegung in engem Kontakt steht. | |
## Künstler haben gesellschaftliche Verantwortung | |
„Vieles läuft schief heutzutage, aber das schöne ist, dass alles was schief | |
läuft immer noch mit einem coolen Werbeslogan gerechtfertigt wird, wie | |
„Geiz ist geil“ oder „Unter'm Strich zähl' ich“. Da ist doch die Frage… | |
Künstler auf so was reagieren wollen. Künstler haben gesellschaftliche | |
Verantwortung, gerade wenn sie im öffentlichen Raum arbeiten.“ | |
Der Star unter den teilnehmenden Künstlern ist die amerikanische Street-Art | |
Legende Shepard Fairey. Eines seiner großen Themen ist der Lobbyismus in | |
der Politik, egal ob es dabei um die Abhängigkeit vom Ölfirmen oder den | |
Einfluss der Waffenlobby geht. | |
„Viele Leute, die in die Politik gehen, wollen eigentlich einen höher | |
bezahlten Job, wenn sie dann später in die Privatwirtschaft wechseln und | |
als Lobbyist arbeiten. In dem Moment, in dem man Lobbyismus verbietet, | |
würden nur noch Leute in die Politik gehen, die wirklich dem Allgemeinwohl | |
dienen wollen. Aber Amerikaner verstehen nicht wie wichtig diese Sache | |
ist.“ | |
Faireys unverwechselbarer Stil aus reduzierter Farbpalette, stark | |
stilisierten Motiven und wiederkehrenden Elementen wie Blumenranken oder | |
Strahlenkranz erinnert an historische Werbeplakate. Doch statt für ein | |
Produkt zu werben, kritisieren die Arbeiten verschiedenste | |
gesellschaftliche Fehlentwicklungen. | |
## Kapitaler Gewinn im Kapitol | |
Da ist etwa das Empire State Building, DAS Symbol des amerikanischen | |
Optimismus: Shepard Fairey hat die Antenne des Gebäudes zu einem Bohrturm | |
umgestaltet; statt einer Flagge im Wind lodert an der Spitze nun eine | |
Flamme. | |
„Capital Gain“ ist ein Beispiel für Faireys spielerischen Umgang mit | |
Sprache, „Capital“ steht hier nicht nur für Hauptstadt, sondern auch für | |
„groß“, „umfangreich“. Abgebildet ist das Kapitol in Washington, also … | |
Sitz des gesetzgebenden Kongresses. Denn es sind die Gesetze, die solch | |
„kapitale Gewinne“ überhaupt erst ermöglichen. | |
Besonders deutlich prangert der Street-Art Aktivist NoNÅME den Zynismus der | |
Wirtschaftssysteme an: „Saving Jobs & World Peace“ steht da rund um einen | |
startenden Eurofighter. Oder die Arbeit „WAR is OVER-RATED“: Zwei Hände in | |
Anzugärmeln prosten sich nach einem ganz offensichtlich gelungenen Deal mit | |
einem intensiv aperol-farbigen Getränk zu. | |
## John Lennons und Yoko Onos Song „War is Over“ | |
Der Maschendrahtzaun im Hintergrund verheißt nichts Gutes. Und tatsächlich | |
ist der Slogan „War is over“, der sich auf John Lennons und Yoko Onos | |
bekanntes Protestlied gegen den Vietnamkrieg bezieht, um eine entscheidende | |
Silber erweitert: over-rated. | |
Der Krieg wird überbewertet, solange der Umsatz stimmt. Die | |
charakteristische Schrift aus Groß- und Kleinbuchstaben inunterschiedlichen | |
Schrifttypen, die wie aus einer Zeitung herausgerissen wirken, sind eine | |
Hommage an die „Sex Pistols“ und ihre von Jamie Reid in ebendieser | |
Schriftstil gestalteten Plattencover „Pretty Vacant“. | |
Ganz dem Krimi-Genre entsprungen scheint hingegen die mysteriöse Hand, die | |
sich im Dunkeln an einem Maschendrahtzaun zu schaffen macht. Auf dem | |
Handschuh prangt ein Dollarzeichen. Man hört es geradezu knistert vor | |
Anspannung. Was geht da vor sich? Man sieht nichts weiter als einen Zaun, | |
einen Handschuh und ein Dollarzeichen und denkt dabei gleich an was | |
Kriminelles. Seltsam, oder? | |
2 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Maria Longhetti | |
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