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# taz.de -- Street Art in München: Techno-Kuss
> LIQEN hat den Ort für seine großartige konsumkritische Dystopie in
> München gut gewählt. Er ist gleich in der Nähe der teuren Einkaufsmeilen.
Bild: LIQEN, Un beso tecnológico, 2017, München, Corneliusstraße
Der Münchner Gärtnerplatz. Perfekt renovierte Fassaden umrunden das
Epizentrum abendlicher Feierlaune, den idealen Treffpunkt nach einem langen
Einkaufsbummel. Doch dieses harmonische Bild wird nun gestört – eine
riesige Wandfläche in der Corneliusstraße wurde von dem spanischen Künstler
LIQEN in ein schaurig-schönes Denkmal des 21. Jahrhunderts verwandelt.
In die Wege geleitet wurde das Ganze von dem Münchner Kunstverein
Positive-Propaganda e. V., der bewusst den öffentlichen Raum zurückerobern
will, um über Themen zu sprechen, die die Gesellschaft zum Dialog anregen.
Das Bild selbst bedarf keiner großen Erklärung, „un beso tecnológico“, e…
„technologischer Kuss“ inmitten von dem, was auf der Straße so
liegenbleibt. Die zwei zentralen Figuren sind komplett vernetzt, verkabelt,
ihre Sinne in technische Funktionalitäten umgewandelt. Teile ihres
technischen Selbst finden sich bereits neben Müll auf dem Boden wieder.
## Statt angeschaut wird die Wand nur fotografiert
Wie ein Sprung in die Zukunft, eine Dystopie, erscheint das Motiv, dabei
ist es faszinierend, wie präsent die kleinen technischen Geräte heute schon
sind. Die Handybildschirme sind zwar noch nicht mit ihren Gesichtern
verschmolzen, doch ein Großteil der Passanten hat tatsächlich ein Handy in
der Hand und macht, anstatt sich die Wand richtig anzuschauen, nur schnell
ein Foto. Vom Handy aufzublicken gelingt nicht, es steht zwischen dem
Betrachter und dem Gemälde, bestimmt das Blickfeld, den Horizont, der beim
Spaziergang durch die Stadt erlebt wird.
Der Künstler zeigt, wie die Dinge uns einnehmen, wie wir uns von der
Technik bestimmen lassen. Konsum scheint ungemein wichtig und wertlos
zugleich zu sein: Das, was wir sogar in unsere intimsten Lebensbereiche
vordringen lassen, schmeißen wir später einfach weg. Alles wird Teil des
Kaufbaren, auch unsere Kontakte und Beziehungen, abhängig vom Handytarif,
Akkuladestand, von der Mitgliedschaft in sozialen Netzwerken.
Der Ort des Geschehens könnte nicht besser gewählt sein, direkt neben dem
Münchner Marienplatz und der Shoppingmeile, die zufällig auch noch
Kaufingerstraße heißt. Ein Viertel, das sein Existenzrecht nur noch daraus
zieht, Ladenflächen bereitzustellen, eine Klientel, der der Konsum in jeder
Pore anzuhaften scheint.
## Der unkaputtbare, plastikbeschichtete Einwegkaffeebecher
Erinnern soll man sich beim Blick auf das Bild nicht nur daran, dass der
Einwegkaffeebecher mit seiner Plastikbeschichtung Jahrhunderte zur
Verrottung braucht, sondern auch, dass auf der durchschnittlichen
Kaffeeplantage Bedingungen herrschen, die man gut und gerne als Sklaverei
bezeichnen kann. Ja, man kann sich angegriffen fühlen.
Es ist eine Provokation, die uns alle betrifft, sicher auch den Künstler
selbst. LIQEN will, dass man sich unwohl fühlt beim Anblick seines fein
säuberlich ausgearbeiteten Zigarettenstummels; er will, dass man
Selbstkritik zulässt und sein eigenes Handeln hinterfragt. Das Gemälde ist
ein Geschenk, das viele vielleicht nur widerwillig annehmen werden, in dem
aber der Spagat zwischen ästhetischem Anspruch und inhaltlicher Fülle
eindrucksvoll gemeistert wurde.
20 Aug 2017
## AUTOREN
Luise Glum
## TAGS
Street Art
München
zeitgenössische Kunst
Street Art
Propaganda
Streetart
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