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# taz.de -- Geheime Räume im Öffentlichen Raum: In den trüben Zonen fischen
> Im Rahmen der Public Art Munich hat sich der Künstler Franz Wanner mit
> Räumen des BND in der bayerischen Hauptstadt beschäftigt.
Bild: Ironische Doppeldeutigkeit: Zwei Kameras, die sich gegenseitig überwachen
Quellenbefragungen von Geflüchteten sind für den deutschen Geheimdienst
eine üblicher Vorgang. Sogenannte „Montagslisten“ mit Daten werden vom
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) an die „Hauptstellen für
Befragungswesen“ weitergeleitet, die Befragten werden nach bestimmten
Herkunftsländern ausgewählt. Es werden jedoch im Zuge solchen Befragungen
auch minderjährige Schutzsuchende befragt, und auch ausländische
Geheimdienste sollen schon beteiligt gewesen sein – das zumindest behauptet
der Münchner Künstler Franz Wanner.
Nach wie vor sollen sich solche Szenarien in seiner Heimatstadt abspielen,
und das, obwohl der BND diese Art der Befragung im Zuge seiner
„Transparenzoffensive“ 2007 offiziell eingestellt haben will. Wanners
zentrale Quelle ist leicht zu finden – die fast 2.000 Seiten
Abschlussbericht des NSA-Untersuchungsausschusses stehen online zum
Download bereit.
Der Künstler hat die Vorfälle in Form einer interaktiven Theaterperformance
verarbeitet, die nun im Rahmen des „Public Art Munich“-Festivals zu sehen
sein wird, mit dabei sind die Schauspieler_innen Lena Lauzemis und
Christophe Vetter. Es wird eine Schulungssituation nachgespielt, in der
Wanner sowohl die entmenschlichende Rhetorik als auch Grenzüberschreitungen
geheimdienstlicher Arbeit erkennbar werden lässt.
Der Künstler zeigt hier, wie eine Institution funktioniert, die in
scheinbar weit entfernten Dimensionen agiert, deren reales Wirken aber
nicht nur Machtverhältnisse abbildet, sondern ganz konkrete, subjektive
Folgen hat.
## Staatliche Geheimnisse und nationale Mythen
„Staatliche Erzählungen neigen zur Homogenisierung und zu einer
Geschichtslosigkeit in Bezug auf die eigenen Brüche. Viele Interessen und
Perspektiven kommen darin nicht vor. In meiner Arbeit geht es um die
Vergegenwärtigung von Zusammenhängen außerhalb dieser offiziellen
Fassungen. Der Anspruch besteht darin, den Fokus auf die ‚trüben Zonen‘,
wie der französische Philosoph Geoffroy de Lagasnerie sie nennt, zu legen:
auf staatliche Geheimnisse und nationale Mythen. Den Erzählungen der Nation
nicht zu glauben ist ein guter Anfang für alternative Narrative.“
Wanners Auseinandersetzung mit geheimdienstlicher Aktivität geht noch
weiter. Sie umfasst die fotografische Dokumentation der Orte, an denen der
BND in München aktiv war oder ist. Rund 120 sind es insgesamt. Neben
Feldforschung und Gesprächen war bei seiner Recherche wieder ein
öffentliches Dokument die zentrale Quelle – diesmal vom CIA. Einige der
Orte finden sich nun in seiner Bilderreihe „Secret Sites“.
Die Helene-Weber-Allee 23 entspricht dem, was man sich unter
geheimdienstlicher Unterbringung so vorstellt. Hohe Glasfassaden sieht man
da, die unerwartete Offenheit des Einblicks reicht eigentlich schon als
Tarnung. Neben dem Deutschen Wetterdienst sind hier mehrere Stiftungen
stationiert, die unter anderem für verhaftete und angeschlagene Agenten
zuständig sind.
Die Messinstrumente des Wetterdienstes, die hier im Vorgarten stehen, hat
der Künstler in der Abbildung „42_Deutsches Wetter III“ der Bilderreihe
ironisch in eine Doppeldeutigkeit transportiert, in der sie fast als
philosophische Selbstreflexion des BND durchgehen – rechts im Bild zwei
Kameras, die sich gegenseitig überwachen, links daneben eine kreisförmige
Anordnung, die an das panoptische Prinzip erinnert.
## Die Funkleitzellen im Nordturm der Frauenkirche
Auch das „Observationskommando QB30“ mit seinem Sitz in der Dachauer Straße
128 ist noch heute in Betrieb. Die Abbildung in der Fotoreihe heißt
„11_MAD“, denn gleich nebenan befindet sich der Militärische
Abschirmdienst. Von dem unscheinbaren Bürogebäude aus hat der BND bereits
Diplomaten, Agenten und Journalisten überwacht, mithilfe der beiden
Funkkreise „Saturn und Merkur“, deren Funkleitzellen sich im Nordturm der
Münchner Frauenkirche befinden.
Eine noch drastischere Verbindung des BND zur vierten Gewalt fand in den
1970er Jahren direkt am Rotkreuzplatz statt. „80_Öffentlichkeitsarbeit“
titelt das dazugehörige Foto euphemistisch; laut Wanner knüpfte der BND
hier „Sonderverbindungen“ zu Journalisten, mit dem Ziel der Beeinflussung
der öffentlichen Wahrnehmung. 230 Medienkontakte wurden damals in einer
Liste festgehalten, 35 Mitarbeiter waren am „Referat Presseführung“ dafür
zuständig. 1972 ersetzte der BND das geheime Referat schließlich durch eine
offizielle Pressestelle.
Wanner will mit seiner Arbeit Missstände aufzeigen, zielt aber eigentlich
auf eine tiefere Reflexionsebene. Die Notwendigkeit der Geheimdienste ist
im öffentlichen Diskurs weitestgehend eine Selbstverständlichkeit, Wanner
fragt sich jedoch, ob die Demokratie ein solches Organ, zu dem die Bürger
keinen Zugang haben, überhaupt braucht. Es sind grundlegende Fragen zum
gesellschaftlichen Zusammenleben, zum mündigen Bürger, zum Schutz der
Privatsphäre.
Ist es wünschenswert, dass Räume aus der Gesellschaft, aus dem Rechtssystem
herausgenommen werden? Braucht es eine Institution, die im Geheimen
abstrakte Größen wie das „Staatswohl“ verteidigt?
## Das Wissen, das die Gegenwart bestimmt
Für Wanner ist vor allem das „Staatsgeheimnis“ ein rhetorischer
Widerspruch, den er mit seiner Arbeit aufzeigen will: „Das Staatsgeheimnis
bezeichnet einen nicht-sozialen Raum, der es zulässt, Gegenwart zu
enteignen. Der Staat schließt die Öffentlichkeit aus, um sich selbst vor
sozialen Einflüssen und öffentlicher Kontrolle zu schützen.“
Wanner zieht daraus die Schlussfolgerung, dass Archive, Dokumente und
Informationen per se öffentlich zugänglich sein sollten. „Es ist notwendig,
sich Zugang zu dem Wissen zu verschaffen, das die Gegenwart bestimmt, und
sich Räume zu schaffen, die nicht durch staatliche Vorgaben beschränkt
bleiben.“
Leicht könnte man nun Wanner naiven Idealismus vorwerfen. Aber er malt
keine utopischen Szenarien, er hält keine scheinbare „Alternative“ zur
Wirklichkeit parat – manchmal braucht es radikale Fragen, um einen
tiefgreifenden Diskurs anzuregen.
19 Jul 2018
## AUTOREN
Luise Glum
## TAGS
zeitgenössische Kunst
BND
Kunst
Gentrifizierung
Spionage
de-cix
Street Art
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