# taz.de -- Die dunkle Geschichte von Plexiglas: Flecken auf der Kunststoffsche… | |
> Der Künstler Franz Wanner erforscht den Zusammenhang von Plexiglas und | |
> Zwangsarbeit. „Mind the Memory Gap“ heißt seine Ausstellung im Kindl. | |
Bild: Fundstück mit dunkler Geschichte: Franz Wanner, aus der Text-Bild-Konste… | |
Plexiglas ist ein tolles Material. In der ehemaligen Kindl Brauerei stapelt | |
[1][der Künstler Franz Wanner] leere Schauvitrinen aus Plexiglas, wie sie | |
weltweit in Ausstellungshäusern benutzt werden, sorgsam übereinander. Sie | |
wirken harmlos, haben eine ästhetische Qualität als abstrakte Skulpturen. | |
Doch ringsherum entfaltet Wanner eine Recherche zu Geschichte und | |
Verwendung von Plexiglas, die in die NS-Zeit zurückreicht und die das | |
Material in ganz neuem Licht erscheinen lässt. | |
Ausgangspunkt ist eine unauffällig wirkende Schutzbrille aus Plexiglas. | |
Wanner stieß auf sie als Fundstück von Ausgrabungsarbeiten auf dem Gelände | |
des [2][Konzentrationslagers Sachsenhausen] bei Berlin. Vermutet wird, dass | |
sie ein Zwangsarbeiter in der Rüstungsproduktion im weitverzweigten | |
Lagersystem des nationalsozialistischen Deutschlands trug. Ein Foto der | |
Brille befindet sich am Eingang der Ausstellung. | |
Plexiglas selbst wurde 1933 von der Darmstädter Firma Röhm & Haas | |
patentiert. Das leichte, aber stabile und zudem transparente Material wurde | |
vor allem im Flugzeugbau eingesetzt. Auch dort war in den 1930er und 1940er | |
Jahren Zwangsarbeit üblich. | |
Wanner suchte für seine Recherche Orte auf, in denen zwischen 1933 und 1945 | |
[3][Zwangsarbeiter*innen] untergebracht waren, in denen sie starben, | |
in denen sie auch die Rüstungsproduktion am Laufen halten mussten, die den | |
Zweiten Weltkrieg Schuss um Schuss, Tag um Tag verlängerte. In kurzen | |
Filmen zeigt er die Reste von Baracken, von Kellern und Bunkeranlagen. | |
Geschichte der Orte | |
Und er dokumentiert die Folgegeschichte dieser Orte. Ein Komplex, in dem | |
Zwangsarbeiter*innen eingesetzt wurden, ist heute der Ludwig Bölkow | |
Campus in Taufkirchen bei München. Das nach dem Entwickler des Jagdbombers | |
Messerschmidt Me 262 benannte Gelände soll der Entwicklung von Innovationen | |
für die Luft- und Raumfahrt dienen. Namhafte Unternehmen wie Airbus, ein | |
Fraunhofer-Institut und auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt | |
haben sich dort angesiedelt. | |
Ein Hinweis auf die dunkle Geschichte fehlt auf der sehr | |
zukunftsoptimistischen Website des Campus aber. Eine Auseinandersetzung mit | |
dem Namensgeber des Campus, einer wichtigen Figur der NS-Rüstungsbranche, | |
ebenso. | |
Da sind manche Firmen inzwischen weiter. Mehrere Regalmeter Literatur zur | |
Rolle von Zwangsarbeit in deutschen Unternehmen wurden in den letzten 20 | |
Jahren produziert – teils tiefgehende Analysen, teils nur | |
Beschwichtigungsversuche. | |
Wanner stellt im spekulativen Filmprojekt „Mind the Memory Gap“ den | |
fiktiven – aber nicht undenkbaren – Versuch eines Unternehmens vor, den | |
Aspekt Zwangsarbeit in einem Themenpark zur Firmengeschichte zu | |
integrieren. Herausgestellt werden dabei die Zweifel der damaligen | |
Unternehmensführung an der NS-Ideologie und einzelne Hilfsleistungen für | |
Zwangsarbeiter*innen. | |
Zum Thema Plexiglas kommt Wanner auch wieder zurück. Er zeigt | |
Plexiglasobjekte, die zu Materialforschungszwecken im Weltall angezündet | |
wurden. Auch Schutzschilde der Polizei aus Plexiglas sind zu sehen. | |
Aussparungen in der Firmenhistorie | |
Wenn man sich, angeregt durch die Ausstellung, tiefer mit der Firma Röhm & | |
Haas beschäftigt, die das Plexiglas ja erfand, stößt man darauf, dass der | |
amerikanische Zweig der Firma inzwischen zum US-Konzern Dow Chemicals | |
gehört, der deutsche Zweig hingegen zum Private-Equity-Riesen Advent | |
International. Auch Röhm & Haas beutete einst Zwangsarbeiter aus. Das wird | |
bei der offiziellen Firmengeschichte auf der Website des Unternehmens | |
allerdings ausgespart. | |
Im Bericht zum Geschäftsjahr 1933, der dankenswerterweise [4][im | |
DFG-Viewer] zu sehen ist, finden sich hingegen Beispiele für das auch | |
sprachliche Unterwerfen unter die NS-Ideologie. Von der | |
„nationalsozialistischen Erhebung“ wird geschrieben und betont, der | |
deutsche Arbeiter wisse zwischen „raffendem und schaffendem Kapital“ zu | |
unterscheiden. Was darüber wohl die Finanziers des Private Equity Funds | |
denken mögen? | |
Wie normal Zwangsarbeit im damaligen Alltagsdeutschland war, demonstriert | |
Wanner mit Aufnahmen eines Filmamateurs. Der wollte 1943 lediglich Frau und | |
Kind beim Spaziergang durch Berlin-Lichtenberg zeigen, doch im Hintergrund | |
huschen Zwangsarbeiterinnen durchs Bild. | |
Man hat viel gewusst und viel gesehen, auch damals. Und Plexiglas wird für | |
alle, die diese Ausstellung besuchen, nie mehr nur das so hübsch | |
transparente Material sein. Es enthält Einschlüsse, die von Tod, Leid und | |
Ausbeutung erzählen. Mind the Gap, auch beim Erinnern. | |
26 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Geheime-Raeume-im-Oeffentlichen-Raum/!5518053 | |
[2] /KZ-Sachsenhausen/!5957549 | |
[3] /Ausstellung-ueber-NS-Architektur/!5926402 | |
[4] https://dfg-viewer.de/show?tx_dlf%5Bdouble%5D=0&tx_dlf%5Bid%5D=https%3A… | |
## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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