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# taz.de -- Ausstellung über NS-Architektur: Deutschland, einig Lagerland
> Die Schau „Macht Raum Gewalt“ in der Berliner Akademie der Künste zeigt:
> Im Nationalsozialismus wurden vor allem Baracken für Zwangsarbeiter
> gebaut.
Bild: Auf der „Todesstiege“ des KZ Mauthausen mussten Häftlinge Granitblö…
Ein nettes Häuschen, wie man so sagt, eingeschossig und mit Spitzdach
versehen. Links und rechts des Gebäudes ist eine hoch gewachsene Hecke zu
erkennen, zwischen der sich ein Tor für die Besucher des Grundstücks
öffnet. Zwei Fahnenmasten vervollständigen das Ensemble.
Die Hecke besteht aber nicht aus Buschwerk. Es handelt sich vielmehr um
einen mit Blättern getarnten Maschendrahtzaun. An den Masten hängt links
die Flagge der SS, rechts flattert ein Hakenkreuz. Das Häuschen ist
mitnichten Unterkunft einer treu sorgenden Familie. Es dient SS-Personal
als Wohngebäude – auf dem Gelände des Vernichtungslagers Sobibor im deutsch
besetzten Polen.
## Halb fertige Ruinen in einer Trümmerlandschaft
Architektur unter dem Nationalsozialismus wird bis heute vor allem anhand
ihrer überdimensionierten neoklassizistischen Pracht- und Protzbauten
identifiziert. Da verweisen quadratische Säulenreihen auf die Macht und
Stärke von Staat und Partei. Gewaltige Stadionbauten können hunderttausende
Claqueure fassen. Ganze Stadtzentren sollten im Stile dieser imperialem
Architektur umgestaltet werden. Doch am Ende blieb es vornehmlich bei
Plänen auf dem Reißbrett, garniert mit einigen halb fertigen Ruinen in
einer Trümmerlandschaft.
In Berlin tritt nun die Ausstellung „Macht Raum Gewalt. Planen und Bauen im
Nationalsozialismus“ an, um diese herkömmliche Vorstellung des NS-Bauwesens
vom Kopf auf die Füße zu stellen. Die vorgebliche Faszination der
gigantischen Germania-Pläne des Generalbauinspektors für die
Reichshauptstadt, Albert Speer, wird dort zwar nicht ausgespart, aber doch
ein wenig an den Rand gerückt. Das Fazit der unabhängigen
Expertenkommission, die sich über fünf Jahre im Auftrag des
Bundesbauministeriums des Themas bemächtigt hat, fällt eindeutig aus: Bauen
im Nationalsozialismus folgte nur in wenigen, vor allem dem Staat
gewidmeten Gebäuden den landläufigen Vorstellungen. Bauen, das war
zuvorderst das Errichten von Baracken. Diese Bauwerke dienten vornehmlich
verbrecherischen Zielen und wurden auch auf verbrecherische Art und Weise
hergestellt.
## Es gab Wichtigeres zu bauen als Wohnungen
„Deutschland, einig Lagerland“, so überspitzt nennt Wolfram Pyta von der
Forschungsstelle Ludwigsburg zur NS-Verbrechensgeschichte die
dahinterliegenden Vorstellungen. Das Naziregime erhob den Alltag im Lager
zur erstrebenswerten Lebensform, sei es, im günstigsten Fall, bei
Ferienlagern, sei es, für jene, die zu Staatsfeinden erklärt worden waren,
in Konzentrationslagern.
Die allenthalben erbauten Siedlungshäuschen für das SS-Personal von
Konzentrationslagern dienten dabei eher als Zuckerguss für das
Wohlverhalten der Täter. Die von den Nazis in den 1930er Jahren errichteten
„Mustersiedlungen“ kleiner, von einem Nutzgarten umgebener Wohnhäuser
blieben seltene Ausnahmen. Tatsächlich sanken die staatlichen Investitionen
für den Wohnungsbau. Freilich, es gab Wichtigeres zu bauen: Angefangen mit
dem Westwall nahe der Rheingrenze, fortgesetzt mit großen Fabriken für die
Rüstungsprojekte, gekrönt mit den Baracken von Auschwitz, Sachsenhausen und
all den anderen Orten des industriellen Mordens.
## Gab es für die Baracken Architekten?
Ein großes Landschaftsrelief zeigt in der Berliner Ausstellung das Gelände
des KZ Flossenbürg. Der Bau solcher und hunderter weiterer Lager in halb
Europa wäre ohne den Einsatz von Zwangsarbeitern unmöglich gewesen.
Baracken, unterirdische Stollen, Straßen, Bunker und Sperranlagen wurden
nicht von fröhlichen „Volksgenossen“ errichtet, denen – der NS-Propaganda
folgend – nun endlich Lohn und Brot gegeben werde. Sondern von
Zwangsarbeitern aus dem besetzten Ausland, von denen ein erheblicher Teil
die Arbeit auf den Baustellen nicht überlebte. „Unsere Kernthese ist, dass
das Verbrecherische weniger die bekannten, riesigen neoklassizistischen
Formen der Repräsentationsarchitektur waren, sondern vielmehr die
mörderischen Produktionsbedingungen“, sagt Kurator Benedikt Goebel.
Ganz mag sich die Schau in Berlin doch nicht von Speer’schen Säulengängen
trennen. Ein großes hölzernes Modell der geplanten „Hauptstadt der
Bewegung“ München ist zu sehen, auch auf den Bau von Reichsautobahnen wird
eingegangen. Dagegen ist nichts zu sagen, zumal die Schaustücke in Kontext
gesetzt werden. Eine Baugeschichte der NS-Baracke sucht man aber
vergeblich. Wie viele Stunden der Zwangsarbeit waren notwendig, um die lang
gestreckten KZ-Unterkünfte hinzustellen? Und gab es für so etwas eigentlich
Architekten? Auch das „Sonderprogramm Prof. Speer“ wird nicht erwähnt: Im
September 1942 baute Speer Auschwitz-Birkenau zum Vernichtungslager aus und
[1][zu einem Lager, um über 100.000 Menschen als Sklavenarbeiter gefangen
zu halten].
## Die glückliche Zeit der NS-Baumeister nach 1945
Ausführlich geht die Ausstellung dagegen auf die in aller Regel glückliche
Zeit der NS-Baumeister nach 1945 ein. Die meisten der 150 gezeigten
Architekten konnten ihre Karrieren nahtlos fortsetzen, eine ganze Reihe
von ihnen wurde mit Bundesverdienstkreuzen dekoriert und 75 bis 80 Prozent
der nach dem Krieg in Westdeutschland in leitender Stellung tätigen
Baubeamten hatten zuvor ihre schönen Posten im Nationalsozialismus
innegehabt.
Es wird jedenfalls am richtigen Ort über NS-Architektur informiert: Am
Berliner Pariser Platz 4, dem Standort der Akademie der Künste, hatte einst
schon Albert Speer seine Räumlichkeiten.
21 Apr 2023
## LINKS
[1] /Neues-Buch-ueber-Vernichtungslager/!5017140
## AUTOREN
Klaus Hillenbrand
## TAGS
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