# taz.de -- Die Kunst der Woche: Hoch, der Horizont | |
> Kerstin Honeit zeigt Berlin im Kreisel der Armut. Doch die Stimmen | |
> erheben sich. Sharon Stone beweist, dass sie sich auch in Malerei | |
> auszudrücken weiß. | |
Bild: Kerstin Honeits Videoarbeit „This Is Poor!“ (2024) im Videoraum des K… | |
Wie so oft bei einem geloopten Kunstvideo – „Loop, zwei o, ein p, prollen | |
langsam an, na dann“ – schneit man in den Raum, wenn der Film gerade endet, | |
und im Fall von Kerstin Honeits neuestem Werk „This Is Poor! Patterns of | |
Poverty“ erwischt man da ausgerechnet den Höhepunkt. Denn da fällt der | |
Steglitzer Kreisel, so wie er sich heute zeigt, in Baunetze eingehüllt und | |
plakatiert mit Werbung für das Überlin, das hier einmal dank Luxus-Lofts | |
entstehen sollte, einfach um. Weg ist er. Wunderbar. | |
Er steht auch am Anfang des Videos, noch in voller Pracht, aufgenommen von | |
der gegenüberliegenden Grünfläche, auf die dann bunt gekleidete Menschen | |
mit Klapphockern kommen. Sie setzen sich im Kreis und beginnen, in den | |
tosenden Lärm des Straßenverkehrs hinein zu skandieren. Es sind Mitglieder | |
des Berliner Straßenchors und sie sind hier, „um den Aufstand zu proben“. | |
Nach zwanzig Minuten haben sie insofern Erfolg, als das Hochhaus einfach | |
nach hinten wegkippt. Bis dahin zeigt das Video, was der Titel verspricht: | |
Muster der Armut, durchsetzt und überblendet mit revuehaften Sequenzen, mal | |
inszeniert, mal aus alten Dokumentarfilmschnipseln zusammengeschnitten. | |
„Schön ist der Name nicht“, hört man eine Stimme sagen, bei der Party in | |
längst vergangenen D-Mark-Zeiten, mit der der Einzug der Steglitzer | |
Verwaltung samt Sozialamt in „Europas höchstes Rathaus“ gefeiert wird, | |
tatsächlich mit einem Blechspielzeugkreisel zum Aufziehen auf jedem Tisch. | |
Nicht viel surrealer wirkt dann der Englischunterricht im DDR-Fernsehen mit | |
Karl Marx in London – „that’s a good idea“. Honeit und ihre Eltern, Kar… | |
und Hanni Honeit, stehen vor der Projektion und wiederholen die wichtigen | |
Lernsätze – „that’s a good idea“ und „they were poor“ – über Ma… | |
Familie. | |
Honeits Film ist ein absolut befreiendes Erlebnis. Im Diskurs der | |
Klassenfrage und der ökonomischen und sozialen Ungleichheit dekliniert | |
„This Is Poor!“ kritisch und komisch zugleich die sich wiederholenden | |
Muster struktureller Armut auch formalästhetisch konsequent durch, wobei | |
Honeit diese Muster, als Dekor mit einer spezifischen Farbigkeit zum | |
Kaleidoskop zusammengesetzt, durchaus glamourös in Bewegung setzt. | |
## Wenn Sharon Stone die Atmosphäre auflädt | |
Im letzten Galerieraum hängt das Bild, „The Lake“ (2023), das am besten | |
gefällt. Es hat alles, was die Malerei auszeichnet, die Sharon Stone gerade | |
in Berlin, in der [1][Galerie Deschler], zeigt. Die Versuchung der | |
Landschaft, der Stone erst in der Abstraktion nachgibt, in | |
übereinandergeschichteten Farbfeldern. Das breite hellblaue Band unten ist | |
das Wasser, in dem grüne horizontale Pinselstriche die Wasserpflanzen | |
andeuten, und vertikales Grün das Schilf. Darüber liegen zwei dunkelgrüne | |
Streifen: Der Wald steht schwarz und schweiget. | |
Am sehr hoch angesetzten Horizont geht dann über die ganze Bildbreite die | |
Sonne unter, als doppelter roter Farbstreifen zwischen dem Grün des Waldes | |
und dem Blau der Wolken. Der Sonnenuntergang wirkt wie eine Bordüre, mit | |
der eine Tapete oben an der Wand abschließt, also sehr dekorativ, sehr | |
ironisch; nein, „The Lake“, das ist nicht Natur, das ist Kunst, Malerei. | |
Sharon Stone ist, wie jeder weiß, eine berühmte Hollywood-Schauspielerin. | |
Wie andere Berühmtheiten, man denke an Bob Dylan, hat sie auf ihre alten | |
Tage angefangen zu malen. Und weil der Kunstbetrieb in solchen Fällen – oft | |
genug aus guten Gründen – der Sache nicht traut, hat jede große | |
Tageszeitung ein seitenfüllendes Interview mit dem Star, um nur ja nichts | |
über ihre Bilder sagen zu müssen. | |
Dabei lässt sich eigentlich ganz einfach sagen, dass hier keine Dilettantin | |
am Werk ist, die Leinwände könnten auch ohne die berühmte Schöpferin bei | |
Deschler im Programm sein, wenn dann auch günstiger im Preis. Ihre Malerei | |
liegt jedenfalls auf der Linie, die der Galerist vertritt. | |
Wonach Sharon Stone in den Interviews immer gefragt wird, ist das Bild mit | |
dem Titel „Portrait of My Boyfriends from Foreign Countries“ (2023). Das | |
Geheimnis, wer sie sind und ob wir ihre Namen kennen, das würden die | |
Zeitungen ihren Leser:innen zu gerne verraten. Aber sie müssen sich mit | |
dem Bild begnügen – oder auch vergnügen. Wie man die Sache eben sieht. Das | |
Bild setzt sich aus zwei Leinwänden zusammen, neben dem roten, der vertikal | |
am linken Bildrand entlangläuft, besteht es aus vier breiten Farbfeldern | |
links und aus zehn teils breiten, teils ganz schmalen übereinander | |
liegenden Farbfeldern rechts. | |
Stone, die schon als Kind mit ihrer Tante, die Künstlerin war, gemalt und | |
später die Kunstakademie besucht, wenn auch nicht abgeschlossen hat, | |
versteht es, die Farbfelder sehr schön atmosphärisch aufzuladen. Das helle | |
Grün, darüber das fette Braun und gegenüber das Rosarot, das in | |
Farbschlieren nach unten ins Schwarz läuft, lässt an verliebte Fahrten | |
übers sommerliche Land denken; und das ganz blasse, von schwarzen Spuren | |
gezeichnete Rosa unten rechts ruft Erinnerungen an Sandstrände im | |
Abendlicht wach. Man meint, es seien ziemlich coole Boyfriends, die hier | |
porträtiert wurden. Und da man die von Sharon Stone nicht kennt, denkt man | |
ohnehin an die eigenen. | |
6 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://deschler-berlin.de | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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