| # taz.de -- Die Kunst der Woche: Watte, Borsten, Farbenflut | |
| > Bei den UdK-Abschlussklassen Bühnenbild wurde das Jobcenter in Watte | |
| > gepackt. Sprüth Magers zeigt Artschwagers Überlegungen zu Zeichen und | |
| > Raum. | |
| Bild: Das Arbeitsamt von Heejin Kwoon | |
| Was die Bühnenbildklassen der UdK bei der zweitägigen Präsentation | |
| [1][„Rising Beasts“] Mitte Februar im Ballhaus Ost in Form ihrer | |
| Semesterabschlussarbeiten alles aufgefahren haben, war einer dieser | |
| Momente, in denen man als Kunstjournalist:in maximale Freude an der | |
| Sache erfährt. | |
| Betreut wurden die Projekte durch den Künstler und Bühnenbildner | |
| [2][Laurent Pellissier], der gerade wieder die Bühne für den Teddy-Award | |
| der Berlinale in der Volksbühne in ein einziges rauschendes, | |
| Klaus-Nomi-inspiriertes Fest für die Augen verwandelt hat. | |
| Im Erdgeschoss und in der Bar des Ballhaus Ost zeigte die MA-Klasse von | |
| Janina Audick ausgewachsene Bühnenbilder; die BA-Klasse Janina Audick, | |
| Valentina Primavera, Oliver Brendel wiederum im 3. Stock Modelle und Story | |
| Boards, die lose von „Orlando“ bzw. „Frankensteins Monster“ inspiriert | |
| waren. | |
| Allein die Modelle der BA-Klasse machten großen Spaß: Da nahm eine | |
| gigantische in sich zusammengekringelte Katze von Yeojin Na das gesamte | |
| Feld der Bühne ein. Und Eunkyung Jang erzählte mit Storyboard und | |
| Bühnenmodell die Geschichte eines Mannes, der nicht etwa ein Wesen | |
| erschaffen, sondern selbst zur Blume werden will. Und so suchte der Blick | |
| automatisch die zur Blüte gewordene Person unter der Kuppel, die das | |
| Zentrum der Bretter wie eine Öffnung zum Außen einnahm. Um nur zwei der | |
| vielen großartigen Beispiele zu nennen, unter denen auch aus den Fugen | |
| geratene Familienzimmer, gestapelte Berge und wildgewordenen Filmstreifen | |
| waren. | |
| Im Erdgeschoss, dann die Abschlussarbeiten der MA-Klasse. Hier krochen in | |
| Ins Meyers Installation „Disturbing Glory“ hinter transparenter Plane | |
| motorisierte Plastikbabies umher, die so unheimlich waren, dass der | |
| durchsichtige Raumtrenner das Immersive der ganzen Situation mit ihrem | |
| schummrigen Licht und den unheimlichen mechanischen Geräuschen bloß noch | |
| verstärkte. Die creepy Babies drängten sich gegen Blöcke und andere | |
| Hindernisse, dann wieder gegen die Abtrennung. Man sah sie förmlich die | |
| Köpfchen am Boden durch die Plane schieben und ohne Gnade auf einen | |
| zudackeln. | |
| Abends animierte Hyeonsu Jung mit ihrer Performance „Denying the Dragon“ | |
| eine mit ein paar scheinbar einfachen Handgriffen aufgebaute Pagode aus | |
| Holzstreben und Gaze. Zwei Tänzer:innen channelten die Wesen und | |
| interagierten mit einer zwischen Flügelwesen und Meereswellen changierenden | |
| Videoprojektion: Hologramm und Mensch verschmolzen, der Sound stimmte. Das | |
| Publikum, das den Raum überfüllte, gab sich trotz allem die Mühe, einander | |
| die Sicht frei zulassen, so gebannt war die Stimmung in dieser ad hoc | |
| erzeugten Theatersituation. | |
| In der Bar dann der absolute Knaller: Wenn es nicht das weiße Vlies war, | |
| mit dem Heejin Kwoons Rauminstallation „Hold the Line“ schon den Blick | |
| anlockte, dann war es spätestens der fiese Vanillegeruch, der sich | |
| aufwölbte, je näher man sich am Eingang befand. Im Innern ein Warteraum wie | |
| man ihn aus dem Jobcenter kennt, komplett mit Stuhlreihen, Infobroschüren | |
| und der ungnädigen Digitalanzeige, die das endlose Warten mit Nummern | |
| managed. | |
| Nur dass hier auch ulkige Szenen aus TV-Shows über den Bildschirm | |
| flackerten, immer wieder fiel jemand zu Boden. Der eigentliche Boden des | |
| Raumes und die Wände dagegen komplett in Watte gepackt. „Ding-Dong“ und die | |
| nächste Nummer ploppte auf, die Sitze beängstigend leer, der Feuerlöscher | |
| oben an der Wand bedrohlich rot. | |
| Ein Besuch auf dem [3][Instagram-Kanal] und der [4][Webpräsenz] der | |
| Bühnenbildklasse Audick sei dringend empfohlen – und vor allem die konkrete | |
| Umsetzung der Ideen, die hier so eindringlich erste Form angenommen haben. | |
| Gebt den Menschen Jobs, Leute! Sie haben es sich erarbeitet. | |
| ## Blp, Mark, Splat | |
| Ein Meister der Raumaktivierung war auch Richard Artschwager (1923–2013). | |
| Er wird für mich immer der Künstler mit den „Blps“ sein, von denen ich im | |
| MoMA PS1 in Queens nicht genug bekommen konnte. 1976 trug er seine ovale | |
| Form dort in den Fluren und im Treppenhaus an der Wand auf, eine kleine | |
| Geste, die die darunter liegenden Ziegelsteine in ihrer Struktur und | |
| Oberfläche hervorhob und ins Blickfeld zog. | |
| Die „Blps“ – von der Form her irgendwo zwischen Ellipse und Rechteck | |
| verortet – mit denen Artschwager immer wieder Räumlichkeit und Materialität | |
| thematisierte, tauchten ab Winter 1967-68 in Schwarz oder in Weiß zunächst | |
| in Kalifornien in der Nähe von Orten des Ausstellens aus, und bewegten sich | |
| von dort nach New York, nach Köln, und vor allem in den öffentlichen Raum. | |
| In gigantischer Größe wanderten sie beispielsweise auf den Turm des | |
| Turtle-Bay-Dampfkraftwerks über den Dächern von Manhattan. | |
| Die Markierungen begleiteten Artschwager bis ins Alter von 89 Jahren. Sie | |
| stauchten sich, zogen sich in die Länge, tauchten auf Galeriewänden auf, | |
| hoch oben an der Wand, mit ausgemalter Fläche oder nur als zarter Umriss. | |
| Es gab sie aus Holz, aus Rosshaar, aus Farbe. | |
| Dass die Markierungen für den Künstler auch wie eine Art Schriftzeichen | |
| funktionierten, daran erinnert nun sein gigantisches Ausrufezeichen | |
| „Exclamation Point (Chartreuse)“ aus gelben Plastikborsten von 2008, das | |
| bei Sprüth Magers den Raum im 1. Stock einnimmt. | |
| Im vergangenen Dezember wäre Artschwager 100 Jahre alt geworden, die | |
| Galerie zeigt unter dem Titel „Cornered: Celebrating the Artist’s | |
| Centennial“ nun den dreidimensional gewordenen senkrechten Strich mit dem | |
| darunter liegenden Punkt. Des Weiteren sind Formica-Skulpturen sowie Werke | |
| aus den Serien „Crates“ und „Splatter“ zu sehen. | |
| Es blippt also diesmal nicht, es splattert. Und so scheint es dann, als sei | |
| ein Büro („Splatter Office“ von 2000) in seine Einzelteile zersplittert an | |
| die Wand geschleudert worden und als Blob dort zurückgeblieben. Dafür dass | |
| es gerade aus der Form geklatscht wurde, ist es jedoch so merkwürdig | |
| staubfrei in der Ausführung, dass dieser Widerspruch das Erlebnis umso | |
| unbehaglicher macht. Dem „Splatter Piano“ geht es auch so, wobei es seine | |
| ursprüngliche Form noch etwas mehr umklammert – toll zu sehen auch die | |
| dazugehörigen Corner Studies in Tusche auf Papier. | |
| Und das Crate „RA-19“ (1995)? Hätte von den Dimensionen her vielleicht eine | |
| kleine Orgel transportieren können, war aber von Anfang an leer und wird es | |
| bleiben. Die Formica-Skulptur „Head and Shoulder“ ist noch einmal eine | |
| Steigerung und so glatt und abweisend, dass die kalte Schulter unweigerlich | |
| aus dem Hinterkopf in die Gedanken rauscht. | |
| Auch diese Ausstellung fordert also auf, sich mit Räumlichkeit und Material | |
| auseinander zu setzten. In dieser Form ist die Auseinandersetzung jedoch | |
| eher als Kampf gegen das Verschlossene zu verstehen. Im erlebten Abprallen | |
| am hermetisch Abgeschlossenen wird die Öffnung des Blicks, wie Artschwagers | |
| „Blps“ es uns in der Gegenbewegung ermöglichten, noch einmal umso | |
| eindringlicher. | |
| ## Abstrakt in Bielefeld | |
| Zwar nicht in Berlin, aber trotzdem eine Stadt mit B: Noch bis Sonntag, den | |
| 3. März, zeigt die [5][Kunsthalle Bielefeld] die Ausstellung „Aktion, | |
| Geste, Farbe. Künstlerinnen und Abstraktion weltweit 1940-70“, eine | |
| Kooperation mit der Whitechapel Gallery, London und der Fondation Vincent | |
| van Gogh, Arles, die so wichtig ist, dass ein Exkurs aus der Hauptstadt | |
| hier erlaubt sei. | |
| Die wegweisende Präsenz von Frauen* in der Abstraktion, und das eben nicht | |
| nur in Europa und den USA, wird hier gewürdigt. Das Herausdrängen aus der | |
| Kunstgeschichte muss zumindest im Aftermath des bewussten | |
| Aus-der-Geschichte-Herausschreibens, das so viele Maler:innen | |
| Aufmerksamkeit und Arbeitsmöglichkeiten gekostet hat, endlich aufhören. Wer | |
| Wook-kyung Chois Arbeiten in Acryl auf Leinwand aus den 1960er Jahren noch | |
| nie gesehen hat, wird allein im umfangreichen Katalog zur Ausstellung | |
| hingerissen sein. Der Lerneffekt für die eigene Praxis ist hier ohnehin | |
| unermesslich. | |
| 29 Feb 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.udk-berlin.de/veranstaltung/rising-beasts/ | |
| [2] https://laurentpellissier.com/ | |
| [3] https://www.instagram.com/audick_udk_buehnenbildklasse/ | |
| [4] http://buehnenbild-udk.xyz/ | |
| [5] https://kunsthalle-bielefeld.de/programm/ausstellungen/aktion-geste-farbe/ | |
| ## AUTOREN | |
| Noemi Molitor | |
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