# taz.de -- Die Kunst der Woche: Figur und Mythologie | |
> Bad Boy Painting mit Zhao Gang. Kate Moss erscheint ganz anders im Bild. | |
> Und Josephine Baker ist als Bühnenstar und politische Akteurin zu | |
> erleben. | |
Bild: Blick in Zhao Gangs Ausstellung „China Stories“ bei Galerie Nagel Dra… | |
Zhao Gang (*1961) hat seine „China Stories“ auf Seide gemalt. Das | |
traditionelle Rollbild der aufeinander folgenden Szenarien hat er dann aber | |
zerschnitten und die einzelnen Szenen eher beiläufig um insgesamt zehn | |
quadratische Keilrahmen gewickelt. Sie schweben nun wie gelblich leuchtende | |
Lampions unter der Decke der Galerie Nagel Draxler. Das sieht lustig und | |
auch ein bisschen verwegen aus. Und ein verwegener Charakter soll auch der | |
Maler selbst sein, von dem es heißt, er pflege eine Bad Boy Attitüde und | |
sei ein Bewunderer von Martin Kippenberger. | |
Zhao Gang spielt in seinem Werk mit Rollen. Mal ist er der | |
Kriegsberichterstatter, der heroische Schlachtenszenen malt, dann wieder | |
ist er der akademische Maler, der den Akt zur Parodie hochjazzt, und nun | |
sieht er sich in der Rolle des traditionellen chinesischen | |
Geschichtenerzählers, dessen Erzählungen aus der altchinesischen Mythologie | |
allerdings reichlich krauß und damit weder wirklich antik noch | |
mythologisch, wenn auch chinesisch beeinflusst sind. Eher zitieren seine | |
Figuren – wie etwa die menschenköpfigen Schafe auf der Einladungskarte – | |
die Heraldik und Bestiarien des europäischen Mittelalters, wozu auch der | |
Eindruck beiträgt, dass der Seidenstoff seiner Keilrahmen-Lampions wie | |
Pergament wirkt, auf das die Tintenzeichnungen gemalt wurden. | |
Oft treten seine Protagonisten auch satirisch auf wie der kopflose Mensch | |
mit der Zeichnung auf dem Bauch, der an Honoré Daumiers Traum vom Mann mit | |
der Riesenbirne auf dem Bauch erinnern mag. Dann meint man tanzende | |
Leoparden zu sehen, fliegende Fische sowieso, auch eine Schildkröte kreuzt | |
den Weg, und überall schlängeln sich Schlangen, vor allem, weil der | |
Seidenstoff leicht transparent ist und sich die Zeichnungen mit ihren | |
vielköpfigen Schlangen, oder reptilienartigen Meerjungfrauen dadurch | |
überlagern. | |
Zhao Gangs Angriff auf die politische Rhetorik solcher mythologischer | |
Monster ist offensichtlich. Tatsächlich gehört der Künstler zu den Gründern | |
der ersten avantgardistischen Künstlergruppe Chinas, der Stars Gruppe. | |
Aufgrund der politisch dissidentischen Kunstpraxis sah er sich 1983 | |
gezwungen nach Holland zu emigrieren. Dort studierte er in Maastricht an | |
der Kunstakademie, bevor er nach New York weiterzog, wo er als Banker, | |
Verleger, Filmemacher und Künstler arbeitete. Sein Angriff auf die | |
politische Rhetorik ist ein künstlerisch-malerischer, weshalb er in China | |
auch als Pate des „Bad Painting“, der „schlechten Malerei“, gilt. | |
## The It-Girl is Present | |
Einer realen, gleichwohl mythologischen Figur begegnet man in der Person | |
Kate Moss. Recherchiert man ihren Namen in der taz, findet man nur einen | |
einzigen Artikel, der sich ausschließlich mit der Model-Ikone schlechthin | |
befasst. Gleichzeitig gibt es hunderte von Artikeln, in denen auf sie | |
erwähnt wird, sehr viele davon im Bereich Popmusik und Lifestyle, und dann | |
ist sie auch noch ein gern gesehener Kolumnengast. Einer ihrer | |
Kolumnenschreiberfans fragt sich denn auch verzweifelt: „Hat Kate Moss | |
eigentlich wirklich nie einen Fehler gemacht?“ | |
Oh doch, hat sie. Obwohl sie Interviews meidet und auch sonst nicht gerne | |
spricht, hat sie mit dem einen Satz, [1][„nothing tastes as good as skinny | |
feels“] für nachhaltige Empörung gesorgt. Kein wirklicher Fehler war, dass | |
sie mit Koks erwischt wurde. Das war nur eine gute Gelegenheit für die | |
anderen Kokser wie Journalisten, Staatsanwälte und Modeleute, sich ein | |
bisschen aufzuspielen. Und wie Martin Reichert in seinem wunderbaren Text | |
[2][„Moss das sein?“] richtig feststellt: „Sie war nie dafür bekannt, ein | |
braves Mauerblümchen zu sein, das abends mit einer Tasse Jasmintee vor dem | |
Fernseher sitzt. Anders als bei den mittlerweile oft gefälschten Labels, | |
für die sie geworben hat, gilt: Wo Kate Moss draufsteht, ist auch Kate Moss | |
drin.“ | |
Das gilt auch für die Ausstellung die ihr [3][Camera Work] jetzt zu ihrem | |
50. Geburtstag ausgerichtet hat. Albert Watson, der offizielle Hoffotograf | |
von König Mohammed VI. von Marokko, hat eben dort die Anfängerin an ihren | |
19. Geburtstag fotografiert, nackt und unbeschwert am Strand wie zwei | |
winzige Original-Polaroids zeigen. Bei Ellen von Unwerths „Kate Moss in | |
Bath“ (1995) und Dominique Issermanns „Kate Moss, Paris“ (2004) gibt sie | |
interessanterweise eine überzeugende Coco Chanel. Wo doch ihr Image in | |
dieser Zeit ein ganz anderes war, nämlich das des It-Girls mit langen | |
wilden Haaren, das sich auf Partys herumtreibt und mit coolen Typen | |
abhängt, so wie es Ellen von Unwerth in „David Bowie and Kate Moss, New | |
York“ (2003) vermarktet. | |
Es sind durchweg großartige, Moss' Wandlungsfähigkeit wie totale Präsenz | |
bezeugende Fotos, die bei Camera Work zu sehen sind. Weil die Ausstellung | |
aber ausschließlich mit Aufnahmen der von der Fotogalerie vertretenen | |
Fotografen bestritten wird, muss man sich darauf einstellen, dass man | |
einige der großartigsten Moss-Fotos, die man immer noch erinnert, seien sie | |
von Corinne Day, Juergen Teller, Terry Richardson oder Mario Testino, dort | |
nicht sieht. Vor allem aber fehlen die schönen Paparazzi-Fotos von ihr in | |
Gummistiefeln auf dem Glastonbury-Festival mit Pete Doherty. | |
## Von Resistance und Tanzkust | |
Nach ihren ersten Auftritten als Tänzerin hieß es, sie sei zu klein und zu | |
dünn, um Karriere zu machen. Kate Moss kann ein Lied von diesem Vorwurf | |
singen. Ist es nicht peinlich, dass sich ein so unoriginelles Argument so | |
lange hält? Der Vorwurf wurde nämlich vor rund hundert Jahren gegen | |
Josephine Baker erhoben, die die [4][Neue Nationalgalerie] in einer | |
großartig gestalteten Ausstellung von bescheidenen Ausmaßen feiert. | |
Baker wird als „Icon in Motion“ vorgestellt und so stehen Filmaufnahmen | |
ihrer Auftritte als Tänzerin, Sängerin und Entertainerin, aber auch als | |
Mitglied der Resistance im Zweiten Weltkrieg und als Rednerin an der Seite | |
von Martin Luther King am 28. August 1963 beim Marsch auf Washington (sie | |
wurde danach, genau wie er, vom FBI unter Edgar Hoover bespitzelt) im | |
Zentrum der Schau. | |
In Bewegung war sie auch als Mutter der „Regenbogenfamilie“, wie sie die | |
zwölf Waisenkinder aus aller Welt nannte, die sie zusammen mit ihrem Mann, | |
dem Bandleader Jo Boullion, adoptiert hatte. Als sie ihr Schloss in der | |
Dordogne finanziell nicht mehr halten konnte und die Zwangsräumung drohte, | |
startete Brigitte Bardot spontan einen Spendenaufruf, wie ein berührender | |
Clip zeigt. Sie sei Josephine Baker niemals begegnet, finde aber, dass man | |
sie unterstützen müsse, weil sie in ihrem Leben sehr viel Mut bewiesen habe | |
und immer sehr großzügig gewesen sei. | |
Bardot, das zeigt die Ausstellung, steht mit ihrer Faszination für Baker in | |
einer Reihe mit Le Corbusier und Paul Klee, die sie einmal 1929 und einmal | |
1927 zeichnen, mit Harry Graf Kessler, der für sie ein Ballett schreibt, | |
oder Adolf Loos, der für sie ein Haus entwirft. Alexander Calder verewigt | |
sie 1928 in einem wunderbaren Mobile und Karl Hagenauer und Sébastien | |
Tamari, halten die Tänzerin einmal 1930 und einmal 1936 in modernistischen | |
Skulpturen fest. Und auch Henri Matisse widmet ihr 1952 eine Hommage, mit | |
einem großformatigen Scherenschnitt an der Wand seines Hauses in Nizza. | |
Die Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie bindet nun den Auftritt dieser | |
Ikone und Muse der künstlerischen (und übrigens auch sexuellen) Avantgarde | |
zu Beginn des 20. Jahrhundert in Paris und Berlin in einen historischen | |
Diskurs über „Race & Gender“ ein. Die koloniale Vergangenheit und der | |
Rassismus der Gesellschaft sollen endlich nicht mehr, wie bislang gerne | |
praktiziert, unter den Teppich gekehrt werden. Dabei passiert es jedoch | |
leider, dass die in den Bildern gefeierten Performances Bakers und ihr | |
Tanzstil in den Texten verkannt und ausschließlich als Ausdruck eines | |
modischen Hypes um Schwarze „Hypersexualität“ abgetan werden, die den | |
damals weit verbreiteten Primitivismus bedienten. | |
Tatsächlich zitierte Josephine Baker in ihren Auftritten exotisierende und | |
rassistische Klischees, die beim weißen Publikum im Umlauf waren, wie | |
Bananenröckchen etc. Sie benutzte sie aber auch, um sie durch Komik und | |
tänzerische Körperakrobatik zu dekonstruieren. Josephine Baker fällt nicht | |
auf, weil sie nackt ist, das sind alle Protagonistinnen der Tanz-Avantgarde | |
in Paris und Berlin. Sie fällt auf, weil sie komisch ist, niemand kann so | |
mit den Augen rollen und schielen und die Beine schlenkern wie sie. Sie ist | |
die dadaistische Tanzkünstlerin par excellence und mit ihrem knabenhaften | |
Körper unbedingt die erste moderne, man möchte fast sagen, neusachliche | |
Nackte. Ihr Auftritt ist nicht erotisch, sondern sexy. | |
Und hier fällt auf, dass „Icon in Motion“ auf Bakers Rolle als Darling der | |
Schwulen und Lesben nicht eingeht – obwohl die Ausstellung doch auf der | |
Höhe der Zeit argumentieren will. Die Bilder erzählen davon, etwa Karl | |
Vollmoellers Aufnahmen von Josephine Baker, die in Berlin eine Affäre mit | |
dessen Frau Ruth Landshoff hatte, oder die Szenen mit dem Männerballett in | |
Leder und Nieten bei Bakers letztem großen Auftritt im Pariser | |
Bobino-Theater 1975, als Diana Ross, Liza Minelli, Sophia Loren und Mick | |
Jagger zu den Premierengästen zählten. | |
11 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Kolumne-Models/!5147569 | |
[2] /!540127/ | |
[3] https://camerawork.de/en/exhibitions/kate-moss/ | |
[4] https://www.smb.museum/ausstellungen/detail/josephine-baker/ | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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