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# taz.de -- Kunst der Woche: Lederdrums und Hausgesicht
> Ausstaffiert mit duftender Lederkluft: das Schlagzeug von die Tödliche
> Doris. Zum Glück nicht wegsaniert: John Hejduks wesenhaftes Haus am
> Besselpark.
Bild: Berliner Architekturen der 1980er Jahre – Audiowalk Route 1, Charlotten…
Der Blick bleibt an dem lederbezogenen Schlagzeug auf dem Bildschirm
haften: die Toms, die Becken, Bass Drum, High Hat – das ganze Drum Set ist
von einem hellbraun gegerbten Rindsleder so eng überzogen als hätte
Künstlerin Käthe Kruse es in flüssige Vollmilchschokolade getunkt. Dieses
Schlagzeug spielte Käthe Kruse während ihrer Performances mit der
Künstlergruppe die [1][Tödliche Doris] in den Westberliner Achtzigern. Man
könnte ihm im Sinne Walter Benjamins eine Aura des Originals aus einer
mittlerweile historisierten Zeit zuschreiben, würde der Lederüberzug es
nicht auch noch mit diversen anderen „Auren“ überlagern, des Fetisch zum
Beispiel, oder der Männlichkeit und Handarbeit.
Käthe Kruses humorvolle Querung der Kunsttheorie lässt sich während einer
[2][virtuellen Ausstellungsbegehung] auf der Website des Projektraums LAGE
EGAL nur erahnen. Man kann sie aber trotz Lockdown auch im Original sehen
(und riechen, denn so viel Rindsleder wirft Duft ab), wenn man sich denn
online einen Termin bucht.
Dann stellt man sich auch selbst die Benjamin'sche Frage nach Original und
medialer Reproduzierbarkeit von Kunst, die die vier Macher:innen mit
ihrer Ausstellungsreihe „Sonderlage“ jetzt in Pandemiezeiten geradezu
beiläufig aufwerfen: Drei Künstler:innen zeigen in kleiner Serie
produzierte Editionen in Gegenüberstellung mit den Publikationen eines
Kunstbuchverlags (den Auftakt macht der Kölner Salon-Verlag), dazu
unveräußerbare Einzelstücke wie das lederbezogene Schlagzeug.
Ben Greber minimiert für die jetzige der fünf geplanten
Sonderlage-Ausstellungen seine sonst eher raumgreifenden Installationen auf
OP-grün getönte Medizinschränke, Clara Bahlsen zoomt auf ihren Fotografien
banale Gegenstände zu schönen wie ungewöhnlichen Kompositionen heran und
Käthe Kruse macht mit reduzierten Textarbeiten Zeit begreifbar. Für den
Digitaldruck „75 Jahre – 75 Wörter“ etwa [3][sammelte Kruse Schlagworte]
aus Artikelüberschriften von Berliner Zeitungen und vergegenwärtigt in
knappster Form die Zeitgeschichte der Stadt.
## Mehr als nur Formen
„Melancholie“, „Proteste“, „Inselstadt“ – einige der Begriffe von…
– 75 Wörter“ kommen einem auch in den Sinn, lässt man sich an diesen
Pandemie-Tagen beim Spaziergang von der Stimme des Schauspielers Frank
Arnold durch die etwas in Vergessenheit geratene Berliner Postmoderne
begleiten. In [4][drei Audio-Walks], die von der Berlinischen Galerie jetzt
vorab zur Ausstellung „Anything Goes“ herausgegeben werden, führt die
Stimme Arnolds zu einer Architektur der späten 1980er Jahre auf beiden
Seiten des geteilten Berlins.
Damals, kurz vor der Wende, wurde in Ost- wie in Westberlin mit den
Paradigmen der Moderne gebrochen und die historische Form kehrte in die
Stadt zurück, sei es an den Vorhangfassaden des Ostberliner Gendarmenmarkts
oder mit einem zwischen konservativ und gewitzt changierenden Wohnungsbau
der Internationalen Bauausstellung 1987.
Vereinzelt dringt aus den hörbaren Architekturführungen hervor, dass es an
den Baustellen in den späten Jahren des geteilten Berlins um mehr als nur
um Formen ging: um Hausbesetzungen, Wohnraum, um öffentlichen Raum, um die
Stadtgesellschaft, um Politik. Wie schwer sich der Immobilienmarkt dabei
mit ungewöhnlicher Architektur tat, zeigt das Beispiel von John Hejduks
Ensemble am Besselpark mit dem schmalen Atelierturm, der damals auch Raum
für Künstler:innen geben sollte: Der US-amerikanische Architekt begriff
seine Häuser als Wesen. Balkone sehen aus wie Schnäbel, Sonnenschutze wie
Wimpern. Fast hätte man der Architektur Hejduks ihre Wesenhaftigkeit
wegsaniert, hätte es nicht internationalen Protest gegeben.
17 Feb 2021
## LINKS
[1] /Ausstellung-zur-Toedlichen-Doris/!5659762
[2] https://lage-egal.net/
[3] http://Nazipelz
[4] https://berlinischegalerie.de/digital/anything-goes/
## AUTOREN
Sophie Jung
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