# taz.de -- Künstliche Intelligenz: Wer hat Angst vor ChatGPT? | |
> Die Entwicklung von KI schreitet voran und menschliche Arbeit könnten | |
> bald von Maschinen übernommen werden. Warum das kein Albtraum sein muss. | |
Bild: Hoffnung oder Bedrohung? Ein Roboter auf einer KI-Konferenz in München | |
Die allermeisten Menschen würden gern weniger arbeiten müssen. Doch die | |
allerwenigsten Menschen würden gern ihren Job verlieren. Angesichts des | |
riesigen Sprungs, den wir gerade bei der Entwicklung künstlicher | |
Intelligenz erleben, stellt sich daher die Frage: Angenommen, Maschinen | |
könnten bald [1][unsere Jobs übernehmen] – sollten wir uns davor fürchten | |
oder darauf freuen? | |
Das Versprechen, Algorithmen könnten uns in unserem Alltag Arbeit abnehmen, | |
ist nicht neu. Doch wirklich an Fahrt gewonnen hat die Diskussion darüber | |
erst seit der Veröffentlichung von ChatGPT, dem Chatbot des | |
US-amerikanischen Unternehmens OpenAI, im letzten Herbst. Dafür gibt es | |
zwei einfache Gründe. Erstens: Die Maschinen sind besser geworden als noch | |
vor wenigen Jahren, viel besser. Zweitens: Das kann jede:r merken, denn | |
sie sprechen jetzt unsere Sprache. Das schafft eine Zugänglichkeit und | |
Alltagsrelevanz, die es vorher so noch nicht gab. | |
Sicher, sicher, ChatGPT ist nicht immer zuverlässig. Es kommt etwa vor, | |
dass das Programm Fakten und Quellen erfindet. Trotzdem: Das System hat | |
nicht nur Zugriff auf wahnsinnig viel Wissen. In den allermeisten Fällen | |
versteht es auch, was wir von ihm wollen. | |
## Demokratisierung von Wissen | |
Darin steckt, bei allen [2][berechtigten Befürchtungen], auch ein | |
emanzipatorisches Potenzial: Die Demokratisierung von Wissen. Stell dir | |
vor, du hast immer eine Ärztin an deiner Seite, die dir Begriffe in einem | |
Befund erklären kann. Oder einen Soziologen, der dir bei der | |
Klausurvorbereitung hilft. Die Antworten werden nicht unfehlbar sein, aber | |
sie sind überall, jederzeit und einfach verfügbar. Nur Menschen, die über | |
einen sehr großen, sehr akademischen und sehr hilfsbereiten Bekanntenkreis | |
verfügen, werden das nicht als Fortschritt empfinden. | |
Übertriebener Technikenthusiasmus, der davon ausgeht, dass bald alle | |
menschliche Arbeit überflüssig wird, ist trotzdem falsch. Denn erstens | |
braucht auch ein System wie GPT jede Menge menschliche Arbeit. Nicht nur | |
die von hochbezahlten KI-Spezialist:innen, sondern auch die von Tausenden | |
unterbezahlten Klickarbeiter:innen, über deren Arbeitsverhältnisse noch | |
viel zu wenig gesprochen wird. | |
Und zweitens sind die Maschinen gerade immer noch schlecht darin, mit der | |
physischen Umwelt zu interagieren. Selbstfahrende Autos, seit Jahrzehnten | |
ein beliebter Bestandteil von Zukunftsvisionen, sind immer noch weit davon | |
entfernt, wirklich zu funktionieren. Der Google-CEO Sundar Pichai hält die | |
Entwicklung künstlicher Intelligenz für einen ähnlich großen Fortschritt | |
wie die Entdeckung des Feuers, aber auf den Roboter, der unsere Wohnung | |
aufräumt, werden wir noch eine ganze Weile warten müssen. | |
Gerade bei Arbeiten im Care-Bereich sind wir weit davon entfernt, diese an | |
Maschinen abzugeben. Erzieher:innen etwa, von denen jede Menge fehlen. Es | |
wird an Pflegerobotern gearbeitet, aber niemand geht davon aus, dass diese | |
menschliche Pflege einmal ganz ersetzen können. Hier stößt | |
[3][Automatisierung an ihre Grenzen]. | |
Bei Tätigkeiten, für die wenig mit der physischen Welt interagiert werden | |
muss, ist es hingegen schon jetzt möglich, diese an | |
Machine-Learning-Systeme abzugeben. Wissenschaft, Journalismus, Jura, | |
Grafikdesign, Marketing, Buchhaltung, Projektmanagement, Finanzberatung: | |
Die Liste der Branchen, bei denen KI schon mindestens einen Teil der Arbeit | |
machen kann, ist lang. | |
## Wird ChatGPT Programmierer ersetzen? | |
Das heißt: Anders als bei vorherigen technischen Innovationssprüngen, etwa | |
der Erfindung der Webmaschine oder des Digitaldrucks, sind es heute nicht | |
die Handarbeiter*innen, sondern die Kopfarbeiter*innen, deren Tätigkeit | |
[4][durch Maschinen überflüssig] wird. Ironischerweise gehört dazu auch und | |
ganz besonders die IT-Branche, also jene, in der sich meist männliche | |
Programmierer und Datenwissenschaftler in den letzten Jahren gerade wegen | |
des KI-Hypes über teils astronomische Gehälter freuen durften. | |
Dass KI-basierte Lösungen nicht nur besser, sondern auch zugänglicher | |
werden, muss man nicht nur schlecht finden. Die meisten von uns verbringen | |
einen Teil ihrer Zeit mit repetitiven, ermüdenden Aufgaben, bei denen wir | |
wenig Probleme damit hätten, diese an eine Maschine abzugeben. Ja, wer | |
etwas an eine Maschine abgibt, verpasst eine Erfahrung. Aber wer vermisst | |
es schon, seine Wäsche per Hand zu waschen, seit die Waschmaschine erfunden | |
wurde? | |
Auch für die Gesellschaft lässt sich diesen Entwicklungen etwas abgewinnen: | |
Stell dir vor, in ein paar Jahren wollen junge Männer nicht mehr Entwickler | |
werden, sondern Erzieher, weil sie da besser verdienen. Stell dir vor, die | |
KI übernimmt den Papierkram für die Ärztin, so dass diese selbst Zeit für | |
ein ausführliches Gespräch über deinen Befund hat. Stell dir vor, wir geben | |
so viel Arbeit an Maschinen ab, dass wir die Dreitagewoche für alle | |
einführen können. | |
Es fällt schwer, sich das vorzustellen? Und viel leichter, sich eine | |
Zukunft auszumalen, in der künstliche Intelligenz vor allem dafür | |
eingesetzt wird, Menschen zu überwachen und zu beeinflussen, in der | |
arbeitslos gewordene Programmierer vom Jobcenter drangsaliert werden und | |
Erzieher immer noch so schlecht verdienen wie heute? | |
## Eine Frage gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse | |
Auch solche Befürchtungen sind berechtigt. Wichtig ist: In welche Richtung | |
es gehen wird, hängt nicht von den Maschinen ab, sondern von uns. Als vor | |
200 Jahren Maschinen zu gewaltigen Produktivitätssteigerungen in der | |
Industrie führten, bekamen die Arbeiter:innen den [5][Achtstundentag] | |
trotzdem nicht geschenkt. Sie mussten ihn erkämpfen, genau wie jeder andere | |
gesellschaftliche Fortschritt immer erkämpft werden musste. | |
Daran hat sich nichts geändert, und daran wird auch künstliche Intelligenz | |
nichts ändern. Denn wie, wofür und mit welchen Konsequenzen Maschinen | |
eingesetzt werden, ist nicht nur eine Frage von technischer Entwicklung, | |
sondern immer auch von politischen und gesellschaftlichen | |
Aushandlungsprozessen. | |
Klingt nach einer großen Aufgabe? Ist es auch. Aber wir können klein | |
anfangen. Zum Beispiel, indem wir aufhören, uns von technischen | |
Entwicklungen Angst einjagen zu lassen. Man muss nicht bis ins letzte | |
Detail verstanden haben, wie GPT funktioniert, um darüber reden zu können. | |
So richtig haben das nicht mal die Entwickler:innen bei [6][OpenAI], | |
und selbst wenn, sind sie deswegen trotzdem noch keine Expert:innen für | |
unsere Zukunft. Die müssen wir selbst in die Hand nehmen. | |
Eine längere Version dieses Textes ist Teil des neuen taz-Newsletters „Team | |
Zukunft“, der immer donnerstags versandt wird: [7][taz.de/teamzukunft]. | |
16 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
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