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# taz.de -- Künstliche Intelligenz: Denken oder Denken lassen?
> Wenn künstliche Intelligenz sich um den Ämterquatsch kümmert, könnte man
> mal wieder Zeit haben, einen vernünftigen Gedanken zu fassen.
Bild: Gedanken zu Ende denken
Sind Sie sicher, dass ich Ihnen diese Woche hier schreibe – und nicht eine
[1][künstliche Intelligenz]? Und was wäre Ihnen lieber? Letztlich versuchen
wir beide, ich und ChatGPT, ja dasselbe: die Schwarmintelligenz
zusammenzubündeln zu, in diesem Fall, ein, zwei, drei Themen zu einer
befriedigenden Antwort auf die Frage: Was war los diese Woche? Wer hat was
gesagt, gedacht, verpatzt? Gut, meistens versuche ich, das
Zusammengesammelte in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Oder was mein
Bewusstsein eben so für zusammenhängend hält. Und weil ich nicht anders
kann, weil ich emotional werde, wenn mir etwas ethisch elend erscheint,
kriegen Sie meine Meinung gratis obendrauf.
Was ich mich aber jetzt frage: Hat das irgendeinen Mehrwert für Sie? Sie
haben eh Ihren eigenen ethischen inneren Kompass, wozu brauchen Sie meine
Einschätzung? Und könnte eine gute KI die nicht auch simulieren? Welchen
Unterschied würde das für Sie machen?
Für mich natürlich einen großen – ich wäre meinen Job los, den ich wirkli…
sehr gerne mag. Andererseits hätte ich plötzlich sehr viel von dem, was mir
am meisten fehlt: Zeit. Etwa, um mit meiner Tochter Schlittenfahren zu
gehen. An fast allen der etwa drei Schneetage diesen Winter musste ich
arbeiten. Vielleicht, habe ich gedacht, sind das quasi die letzten
Schneetage vor der endgültigen, unumkehrbaren Erderhitzung. Hätte ich die
nicht besser nutzen müssen?
Es ist also, da bin ich mir sicher, kein Zufall, dass ich bei allem, was
ich hektischer denn je abseits meiner Lohnarbeit erledige, derzeit den
Unendlichen Podcast der Zeit höre. „Alles gesagt?“ heißt dieser eigentlic…
aber es wird unendlich lange geredet, theoretisch. Meistens so sechs,
sieben Stunden. Mit einer Person. Fantastisch. Ich höre ihn beim Kochen,
Duschen, Zähneputzen, Einkaufen – wahrscheinlich weil mein Unterbewusstsein
auf einen Mitnahme-Effekt hofft. Wenn ich schon nicht den allerkleinsten
Gedanken zu Ende denken kann – weil Kind, Kollegen oder Kopfschmerzen etwas
von mir wollen – will ich wenigstens anderen beim Zu-Ende-Denken zuhören.
Die eigene Manipulierbarkeit
Aber ist denken lassen so gut wie selber denken? Was mich beim Denkenlassen
– ob von mehr oder weniger schlauen Leuten oder einer KI – ein bisschen
gruselt, ist meine eigene Manipulierbarkeit. Dass KIs überzeugend sein
können, habe ich bisher nur gehört, bei Menschen aber oft genug erfahren:
Je länger ich jemandem zuhöre, der nicht gerade predigt, lügt oder
versucht, mich von etwas zu überzeugen (und der selbstverständlich kein
Nazi, Coronaleugner oder Menschenfeind ist), desto sympathischer wird
mensch mir. Wahrscheinlich könnte ich nach 8 Stunden Christian Lindner im
Ohr auch beinahe nachvollziehen, warum mehr [2][Geld für arme Kinder] (dass
es die gibt, und wie elend und beschämend und herzzerreißend das ist, weiß
jeder, der schon mal mit offenen Augen durch beispielsweise Neukölln
gelaufen ist) wenig Sinn macht. Aber nur beinahe.
Aber dabei fällt mir ein, wer wirklich von ChatGPT und Co profitieren
könnte: all die alleinerziehenden, Bürgergeld beziehenden oder
ausgebeuteten Eltern, die für jede Pups-„Vergünstigung“ nervenaufreibende
[3][Kommunikation mit den Ämtern führen] müssen. Die Berechnung, wer jetzt
die acht Euro Differenz zwischen den „Leistungen für Bildung und Teilhabe“
und dem Sportvereinsbeitrag zahlt und wie das am schnellsten abgewickelt
werden kann – das sollen bitte ab sofort Algorithmen übernehmen. Die Eltern
brauchen die wenige Zeit, die ihnen beim ganzen Hustle bleibt, wirklich für
was Besseres: ihre Kinder.
Überhaupt ist ja die Frage, ob die Auslagerung einer großen Menge Arbeit an
künstliche Intelligenzen nicht auch Vorteile hätte (über die Nachteile und
Gefahren reden wir beim nächsten Mal, einverstanden?). Wenn Maschinen einen
Teil des Bruttoinlandsproduktes erwirtschaften, sind zwar die richtig
harten Jobs noch immer da. Aber eine ganze Menge menschliches Bewusstsein
würde doch plötzlich von den Bildschirmen aufblicken – und vielleicht mal
wieder zwei zusammenhängende Gedanken fassen können.
9 Apr 2023
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## AUTOREN
Ariane Lemme
## TAGS
Kolumne Der rote Faden
Schwerpunkt Künstliche Intelligenz
Eltern
Kindergrundsicherung
Bürokratie
Christian Lindner
Zukunft
Kinderarmut
Kindergrundsicherung
künstliche Intelligenz
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