| # taz.de -- Kommunalrecht vor Gericht: Die Minderheiten wehren sich | |
| > Das schleswig-holsteinische Landesverfassungsgericht befasst sich mit | |
| > Bürgerbegehren und Kommunalparlamenten. Es geht um Minderheitenrechte. | |
| Bild: Nicht mehr so leicht zu stoppen: Bagger auf einer Baustelle | |
| Schleswig taz | Mehr Mitsprache für kleine Parteien und für Bürger*innen | |
| fordern die FDP und die Minderheitenpartei SSW: Sie [1][klagen vor dem | |
| Landesverfassungsgericht in Schleswig gegen Änderungen des Kommunalrechts], | |
| die die Regierungsmehrheit von CDU und Grünen im Juni beschlossen hat. | |
| Seitdem müssen sich drei statt bis dato zwei Gemeindevertreter | |
| zusammenfinden, um eine Fraktion bilden zu können. Außerdem sind | |
| [2][Bürgerbegehren gegen Bauleitpläne verboten, wenn zwei Drittel der | |
| Gemeindevertretung dafür waren]. Letzteres findet Lars Harms, Fraktionschef | |
| des SSW im Landtag, unlogisch: „Warum sind zwei Drittel der | |
| Gemeindevertretung mehr wert als zwei Drittel der Bevölkerung?“ | |
| Der Vorsitzende Richter Christoph Brüning erinnerte daran, dass die | |
| Landesverfassung Bürgerbegehren nicht vorschreibe. Mit den Beschlüssen vom | |
| Juni drehe das Land drehe nur „an kleinen Stellschrauben“. Aus Sicht von | |
| Gruppen wie dem Verein „Mehr Demokratie“ machen dieses jedoch einen großen | |
| Unterschied. | |
| Es gibt zwar keinen Anspruch auf Bürgerbegehren, aber wenn der Gesetzgeber | |
| sich entschließe, diese zuzulassen, „dann muss das auch den | |
| verfassungsrechtlichen Grundsätzen genügen“, sagte Anwalt Moritz von | |
| Rochow, der die klagenden Oppositionsfraktionen vertritt. | |
| ## „Zirkelschluss besonderer Art“ | |
| Marcus Arndt als Anwalt des Landtags widersprach. Der Gesetzgeber habe die | |
| direkte Demokratie gleichzeitig gestärkt: Bereits mit dem Beginn eines | |
| Bürgerbegehrens werde das Bebauungsplanverfahren gestoppt. Um | |
| „offensichtlichen Quatsch“ zu verhindern, müssten dafür andere Regeln | |
| verschärft werden. | |
| Ausführlich beriet das Gericht die Frage der Fraktionen in größeren | |
| Gemeinde- und Kreisparlamenten. So braucht es zurzeit mindestens drei | |
| Personen, um eine Fraktion zu bilden, vorher reichten zwei. Landtag und | |
| Landesregierung begründen das mit der zersplitterten Parteienlandschaft – | |
| die Debatten dauerten länger, je mehr Fraktionen mitredeten. | |
| Das sei ein „Zirkelschluss der besonderen Art“, sagte Bernd Buchholz (FDP). | |
| Erstens sei die Störung nur „behauptet“, zweitens „löst die Maßnahme s… | |
| nicht, sondern verschärft sie“. Denn statt einer Fraktion würden viele | |
| „Einzelkämpfer kreiert“, was Debatten noch verlängere. | |
| Was die Regel konkret bedeutet, schilderte Lars Harms das Beispiel der | |
| Kleinstadt Husum: „Die zwei SSW-Vertreter durften als Fraktion bisher in | |
| den Ausschüssen mitarbeiten und sie durften bürgerliche Mitglieder | |
| entsenden. Beides geht nicht mehr.“ Das schwäche die Mitwirkung und | |
| frustriere Ehrenamtliche. | |
| ## Fatales Zeichen | |
| Gerade mit Blick über die Grenze sei das ein Problem: „Deutschland stellt | |
| die dänische Minderheit schlechter als Dänemark die deutsche Minderheit.“ | |
| Das sei ein fatales Zeichen und sogar ein Verstoß gegen die | |
| [3][Bonn-Kopenhagener Vereinbarung], die gleiche Rechte für die | |
| Minderheiten garantiert. | |
| Marcus Arndt, der Anwalt des Landtages, argumentierte dagegen: „Zwei | |
| Gemeindevertreter sind keine Volksgruppe.“ Wichtig sei, dass der [4][SSW, | |
| der neben der dänischen auch die friesische Minderheit vertritt], im | |
| Parlament repräsentiert sei. | |
| Die Einzelrechte der Abgeordneten dürfe der Gesetzgeber bestimmen. „Würde | |
| man das jeder Kommune allein überlassen, könnten wenig sachliche | |
| Entscheidungen herauskommen“, sagte Arndt. „Der Gesetzgeber hat angenommen, | |
| dass er für alle zusammen die sachlichere Entscheidung treffen kann.“ | |
| Das Gericht verkündet seine Entscheidung Anfang Februar. Richter Brüning | |
| ließ aber durchblicken, dass vielleicht eher die Politik als die Justiz | |
| zuständig sei. Lars Harms hofft auf einen Sieg: „Ich denke, wir haben das | |
| Gericht zum Nachdenken gebracht.“ | |
| 17 Nov 2023 | |
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| [1] /Eingeschraenkte-Buergerbegehren/!5928657 | |
| [2] /Direkte-Demokratie-in-Schleswig-Holstein/!5886839 | |
| [3] https://www.bundestag.de/resource/blob/801726/c92c3ab0d4fc3f81fb18758236ee7… | |
| [4] /Kommunalwahl-in-Schleswig-Holstein/!5931871 | |
| ## AUTOREN | |
| Esther Geißlinger | |
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