# taz.de -- Klimawandel begünstigt Boko Haram: Zwischen Öko-Desaster und Terr… | |
> Der Tschadsee ist fast tot, und die Terrormiliz herrscht. Den | |
> Zusammenhang bemerkt die Welt erst jetzt. | |
Bild: Der Tschadsee wird kleiner. Das schadet den Fischern und hilft Boko Haram | |
ABUJA/BONN/BERLIN taz | Eigentlich ist die A3 eine Nationalstraße zwischen | |
zwischen der nigerianischen Provinzhauptstadt Maiduguri und N'Djamena, | |
Hauptstadt des Tschad. In Wirklichkeit war sie schon vor einigen Jahren | |
eine Schlaglochpiste südlich des Tschadsees, selbst mit einem Geländewagen | |
nur mühsam zu bereisen. Rechts und links der Piste hellgelber Sand, ab und | |
zu eine Kamelherde oder ein paar Esel und Ziegen zwischen dornigen Büschen. | |
Die Straße hat sich wohl kaum verbessert, aber für eine Reise ist die | |
Gegend inzwischen zu gefährlich. Sie liegt im Kampfgebiet zwischen dem | |
Militär und der Terrorgruppe Boko Haram – einer Gegend, die viele Einwohner | |
wegen der explosiven Mischung aus Konflikten, Umweltproblemen, | |
Staatsversagen und Klimawandel verlassen. Was am Tschadsee und in ähnlichen | |
„Hospots“ von Konflikten, Umweltzerstörung und Migration passiert, hat die | |
Weltöffentlichkeit lange kaum interessiert. | |
Das hat sich inzwischen geändert. Am Beginn der kommenden Woche treffen | |
sich die UN-Staaten in Istanbul zum ersten „Weltgipfel für humanitäre | |
Hilfe“. Und auch bei der Klimakonferenz, die derzeit in Bonn stattfindet, | |
sind Umwelt- und Klimaflüchtlinge ein Thema (siehe Kasten). | |
Der Tschadsee leidet seit Jahrzehnten unter einer ökologische Katastrophe. | |
Noch in den 1960er Jahren war das Gewässer der sechstgrößte See der Erde, | |
inzwischen ist seine Fläche wegen falscher Nutzung und dem Klimawandel von | |
25.000 auf gut 1.300 Quadratkilometer geschrumpft. Aber gekippt ist nicht | |
nur das ökologische Gleichgewicht der Region. Zehntausende Menschen dürften | |
ihre Arbeit verloren haben, da sie ohne Wasser heute weder als Fischer noch | |
als Landwirte arbeiten können. Gesicherte Daten findet man allerdings kaum. | |
Auch über den Zusammenhang zwischen dem Niedergang der Region und der | |
Stärke der Terrormiliz Boko Haram „gibt es keine wissenschaftlichen | |
Studien“, bedauert Mariam Traore Chazanoel von der zwischenstaatlichen | |
„International Organization for Migration“ (IOM). „Aber es gibt viele | |
einzelne Berichte“: Die Region verliere Menschen und staatliche Strukturen. | |
Und überall ist Boko Haram präsent, im vergangenen Jahr Platz eins auf dem | |
Weltweiten Terrorismus Index (GTI). Auch wenn Nigerias Präsident Muhammadu | |
Buhari betont, die Gruppe kontrolliere heute keine einzige Großgemeinde | |
mehr, gilt diese Rückzugsregion der Islamisten als extrem unsicher. Im | |
Februar erst starben mindestens 60 Menschen bei einem Anschlag in Dikwa, | |
einer Kleinstadt an der A3. | |
„Der Terrorismus fällt nicht vom Himmel“, sagt Chazanoel, die auf den | |
Klimakonferenzen für die Rechte von Umweltflüchtlingen kämpft. Seit die | |
Flüchtlingskrise in den letzten Jahren auch Europa erreicht hat, „ist das | |
Interesse daran auf den Konferenzen explodiert.“ | |
Das Problem von Umweltflüchtlingen ist nach Informationen von IOM und dem | |
„Potsdam Institut für Klimafolgenforschung“ (PIK) viel größer als allgem… | |
angenommen. 2015 waren demnach weltweit etwa 9 Millionen Menschen auf der | |
Flucht vor Konflikten, aber 19 Millionen verließen die Heimat wegen | |
Umweltproblemen wie Überschwemmungen, Stürmen oder Dürren. Mit dem | |
Klimawandel nehmen gerade diese „Extremwetter-Ereignisse“ deutlich zu. Die | |
meisten Flüchtlinge bleiben in ihrer Region und ihrem Land. Auch deshalb | |
könnte bis Ende des Jahrhunderts „jeder zehnte Erdbewohner in Hotspots | |
leben, wo mehrere Folgen des Klimawandels zusammenkommen“ – also etwa | |
abwechselnde Dürren und Überschwemmungen. | |
Ob diese Klimafolgen bereits zu Konflikten führen, wird unter | |
Wissenschaftlern und Militärs heiß diskutiert – etwa bei der Frage, ob der | |
Syrienkrieg auch Folge einer historischen Dürre im Land ist. Das | |
US-Verteidigungsministerium jedenfalls bezeichnet den Klimawandel als | |
„Risiko-Multiplikator“. | |
## Nicht nur religiöse Fanatiker sind Mitglied bei Boko Haram | |
Die Weltbank warnt, dass Armut in Verbindung mit dem Klimawandel die | |
Ernährungssicherheit ganzer Regionen bedrohen könnte. „Wenn die Klimafolgen | |
zu stark werden, wird auch Migration eine Art der Anpassung an den | |
Klimawandel sein“, folgern OIM und PIK. Auch deshalb haben die UN-Staaten | |
im Pariser Abkommen zugestimmt, dass im Klimaregime ab 2020 der sogenannte | |
„Warschau-Mechanismus“ verankert wird, um Klimaflüchtlingen zu helfen. Wie | |
das aussehen soll, ist offen. | |
Am Tschadsee selbst sehen viele Beobachter einen Zusammenhang zwischen | |
Öko-Katastrophe und islamistischem Terror. Der katholische Priester Maurice | |
Kwairanga, der im benachbarten Yola das Caritas-Komitees für Gerechtigkeit, | |
Entwicklung und Frieden (JDPC) leitet, meint: „Dieser Wandel treibt gerade | |
junge Männer auch in die Hände der Terrorgruppe Boko Haram“. Unter den | |
Mitgliedern fänden sich längst nicht nur religiöse Fanatiker. | |
Eine „doppelte Tragödie“ nennt Moutari Abdoul Madjid von der | |
Umweltorganisation DEMI-E aus Niger die Entwicklung. „Diese verzweifelten | |
jungen Männer schließen sich Boko Haram an, um den Unterhalt für ihre | |
Familien zu sichern. Aber damit verschlimmern sie die ohnehin schwierigen | |
Lebensbedingungen der Menschen in der Region.“ Und Hindou Oumarou Ibrahim | |
von der tschadischen Frauenrechtsorganisation AFPAT sagt: „Boko Haram | |
garantiert den Menschen vor Ort das Überleben, wo es die Regierung nicht | |
schafft. Der Klimawandel sorgt für mehr Ungleichheit, er wird hier im | |
Tschad aber gleichzeitig zu einem internationalen Sicherheitsproblem.“ | |
Hunderttausende Menschen sind aus der Region geflohen, wird geschätzt – | |
ausgerechnet nach Maiduguri. Das einst verschlafene Nest ist durch die | |
Flüchtlinge enorm gewachsen, die Infrastuktur allerdings nicht: ideale | |
Bedingungen für fanatische Gruppen, die Anhänger rekrutieren wollen. | |
Maiduguri ist nicht zufällig die Geburtsstadt von Boko Haram. | |
20 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
Andreas Sieber | |
Bernhard Pötter | |
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