# taz.de -- Humanitärer Weltgipfel in Istanbul: Für mehr „Menschlichkeit“ | |
> Das Treffen beginnt mit hehren Reden und Appellen. Angela Merkel fordert | |
> ein besseres Zusammenspiel von Nothilfe und Entwicklungspolitik. | |
Bild: Humanitäre Weltelite beim Gipfeln | |
Istanbul taz | Unter Beteiligung von Vertretern aus 177 Ländern und rund | |
600 Nichtregierungsorganisationen hat am Montag in Istanbul der „humanitäre | |
Weltgipfel“ der Vereinten Nationen begonnen. Der Eröffnungstag war von | |
hochtrabenden Reden geprägt, in denen hochfliegende Ziele verkündet und | |
scharfe Kritik geäußert wurden. | |
„Wir stehen vor einer einmaligen Chance zusammenzustehen“, sagte | |
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zur Eröffnung, „und die Botschaft zu | |
verkünden, dass wir die Erosion der Menschlichkeit nicht hinnehmen werden, | |
die wir heute in der Welt sehen. Wir dürfen die vielen Millionen Männer, | |
Frauen und Kinder in Not nicht im Stich lassen.“ | |
Eine der ersten Rednerinnen war Bundeskanzlerin Angela Merkel, die direkt | |
nach dem gastgebenden türkischen Präsidenten Tayyip Erdoğan ans Rednerpult | |
trat. Das man überhaupt über die Notwendigkeit sprechen müsse, das | |
Völkerrecht einzuhalten, sei schon ein Desaster, sagte die Deutsche unter | |
Bezug auf die Lage in Syrien, wo „systematisch Krankenhäuser bombardiert | |
und Gesundheitszentren zerstört“ würden. | |
Merkel forderte ein „in sich geschlossenen System“ der globalen Nothilfe, | |
anstatt wie bisher „von Katastrophe zu Katastrophe“ zu eilen. Zu viele | |
Zusagen würden gemacht und das Geld komme nicht an – „das muss sich | |
ändern“. Der zentrale Nothilfefonds der UNO (CERF) müsse auf eine Milliarde | |
Dollar im Jahr aufgestockt werden; Deutschland sei bereit, dazu | |
beizutragen. Nötig sei auch eine bessere Verzahnung zwischen humanitärer | |
Hilfe, entwicklungspolitischer Zusammenarbeit und Bekämpfung des | |
Klimawandels: Die Instrumente müssten „ineinandergreifen“, so Merkel. | |
„Jeder Mensch hat ein Leben, und jeder Mensch hat das Recht, dieses Leben | |
nachhaltig und sinnvoll zu verleben.“ | |
Deutliche, aber allgemein gehaltene Kritik – das war der Tenor der meisten | |
Reden. Erdoğan sagte, die Türkei beherberge mehr Flüchtlinge als jedes | |
andere Land auf der Welt, habe aber nur 455 Millionen US-Dollar Hilfe bei | |
einem Jahresbedarf von 10 Milliarden erhalten. „Jeder sollte ab jetzt die | |
Last schultern“, so der Türke an die vielen anderen Staatschefs im Saal | |
gerichtet. | |
Der wankende Flüchtlingsdeal zwischen der Türkei und der EU wurde zwar | |
nicht von Erdoğan angesprochen, dafür aber von anderen. Luxemburgs | |
Premierminister Xavier Bettel sagte, der Deal sollte eigentlich „eine | |
Win-win-Situation“ sein, aber in Wahrheit sei er in Gefahr | |
auseinanderzubrechen, weil Erdoğan sich den EU-Forderungen widersetze, die | |
türkischen Antiterrorgesetze EU-kompatibel zu gestalten, als eines der | |
Kriterien für die in dem Deal festgehaltene Visafreiheit für Türken in der | |
EU. Die Türkei müsse alle Punkte des Deals erfüllen, so der Luxemburger. | |
„Wir können nicht für ein Land die Bedingungen verändern.“ | |
Scharfe Worte in einer ganz anderen Richtung kamen von Pierre Krähenbühl, | |
Generalkommissar des UN-Hilfswerks für die Palästinenser, UNRWA. Von den | |
700 UNRWA-Schulen in den besetzten palästinensischen Gebieten sowie | |
Jordanien, Libanon und Syrien seien in den letzten fünf Jahren 302 von | |
Kämpfen betroffen gewesen, so der Schweizer UN-Diplomat. Er mahnte an, | |
Regierungen sowie Führer bewaffneter Gruppen müssten die | |
„Unverletzlichkeit“ ziviler Fazilitäten achten. UN-Einrichtungen „sollten | |
eigentlich unangreifbar sein“, so Krähenbühl. | |
Zum Höhepunkt der Kämpfe im Umland von Damaskus im vergangenen Jahr, | |
berichtete der Schweizer, hätten 120 palästinensische Oberschüler das | |
schwer umkämpfte Flüchtlingslager Jarmuk trotz des Beschusses unter | |
Lebensgefahr verlassen, um in einem ruhigeren Viertel der syrischen | |
Hauptstadt ihre Abschlussprüfungen zu absolvieren. | |
23 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Jasper Mortimer | |
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