# taz.de -- Visumstreit und Rücknahmeabkommen: Flüchtlingsdeal auf der Kippe | |
> Merkel hat Erdogan klargemacht, dass es mit der EU-Visumfreiheit zum 1. | |
> Juli nichts mehr wird. Nun folgt die Retourkutsche des türkischen | |
> Staatschefs. | |
Bild: Visumfreiheit für Türken: Erdogan will die Bedingungen nicht erfüllen | |
Istanbul dpa | Der mühsam ausgehandelte Flüchtlingspakt zwischen der EU und | |
der Türkei steht auf der Kippe. Ohne Fortschritte bei den Verhandlungen zur | |
EU-Visumfreiheit will der türkische Staatspräsident das Abkommen zur | |
Rücknahme von Flüchtlingen nicht in Kraft treten lassen. Sollten die | |
Visagespräche keine Fortschritte bringen, werde das türkische Parlament das | |
Rücknahmeabkommen mit der EU nicht ratifizieren, warnte Präsident Recep | |
Tayyip Erdogan zum Abschluss des UN-Nothilfegipfels am Dienstag in | |
Istanbul. | |
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte am Montag nach einem Gespräch mit | |
Erdogan in Istanbul deutlich gemacht, dass der angestrebte Termin für die | |
Visumfreiheit zum 1. Juli nicht mehr haltbar ist. Hintergrund ist die | |
Weigerung Erdogans, die Anti-Terror-Gesetze der Türkei zu reformieren. Das | |
ist aber eine Voraussetzung der EU, um die Visumpflicht für Türken bei | |
Reisen in den Schengen-Raum aufzuheben. Merkel hatte weitere Gespräche mit | |
der Türkei angekündigt. | |
Erdogan sagte am Dienstag, unter anderem der türkische Außenminister werde | |
die Verhandlungen mit der EU nun weiterführen. Sollten diese Gespräche | |
keine Resultate bringen, dann werde vom Parlament in Ankara „kein Beschluss | |
und kein Gesetz bezüglich des Rücknahmeabkommens und des | |
Implementierungsprozesses verabschiedet werden“. | |
Erdogan warf der EU erneut vor, die Reform der Anti-Terror-Gesetze erst | |
nachträglich gefordert zu haben. Exakt diese Forderung ist allerdings | |
bereits Teil des Abkommens zur Rücknahme von Flüchtlingen und zur | |
Visaliberalisierung gewesen, das Erdogans Regierung Ende 2013 mit der EU | |
abgeschlossen hatte. Erdogan hatte das Abkommen – damals noch als | |
Ministerpräsident – einen „Meilenstein“ genannt. | |
## 72 Bedingungen | |
Der Staatschef sagte am Dienstag mit Blick auf die EU: „Sie sollen uns | |
nicht ständig Kriterien aufzwingen. Das hier ist die Türkei.“ Er warnte: | |
„Das kann man bis zu einem gewissen Punkt tolerieren und bis zu einem | |
gewissen Punkt aushalten. Aber nachdem sie es bis zu einem gewissen Punkt | |
ausgehalten hat, fasst die Türkei einen endgültigen Entschluss. Und nachdem | |
sie den Entschluss gefasst hat, dann, nichts für ungut, sagen wir: Denkt | |
doch Ihr jetzt nach.“ | |
Merkel hatte am Montag gesagt, sie habe Erdogan deutlich gemacht, dass der | |
Weg zur Visumfreiheit auf 72 Bedingungen beruhe, die bereits Ende 2013 | |
verabredet gewesen seien. Ankara müsse alle Punkte erfüllen. Im Zuge der | |
Verhandlungen über ihren Flüchtlingspakt hatten die EU und die Türkei | |
verabredet, die für Oktober geplante Visafreiheit auf den 1. Juli | |
vorzuziehen. Die 72 Bedingungen würden allerdings auch für den späteren | |
Oktober-Termin gelten. | |
Die Rücknahme von illegalen Migranten durch die Türkei erfolgt derzeit | |
nicht im Rahmen des Ende 2013 vereinbarten Abkommens. Sie ist im | |
EU-Flüchtlingspakt im März verabredet worden und läuft auf Grundlage eines | |
Abkommens zwischen der Türkei und Griechenland, das sich aber nur auf die | |
griechischen Ägäis-Inseln erstreckt. Vom 1. Juni an sollten Flüchtlinge aus | |
Drittstaaten auf der Basis des Rücknahmeabkommens zwischen der EU und der | |
Türkei von Ende 2013 zurückgeschickt werden können. | |
24 May 2016 | |
## TAGS | |
Flüchtlinge | |
Schwerpunkt Angela Merkel | |
Recep Tayyip Erdoğan | |
Schwerpunkt Flucht | |
Idomeni | |
Schwerpunkt Türkei | |
Uno | |
Schwerpunkt Angela Merkel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kommentar Flüchtlingsabkommen: Rechtsstaatliche Skrupellosigkeit | |
Die Türkei fühlt sich in der Frage der Visumfreiheit zu Recht von der EU | |
betrogen und legt das Abkommen auf Eis. Das ermöglicht eine neue Chance. | |
Kommentar UN-Nothilfegipfel in Istanbul: Wer über Flüchtlingsleichen geht | |
In Istanbul wird über humanitäre Hilfe beraten, während Idomeni geräumt | |
wird. Eine Tragödie? Sophokles hätte es nicht besser erfinden können. | |
Neue Regierung in der Türkei vorgestellt: Der Präsidialstaat kann kommen | |
Der neue türkische Ministerpräsident Yildirim stellt sein Kabinett vor. Den | |
Umbau zum Präsidialsystem will der Erdogan-Vertraute vorantreiben. | |
Humanitärer Weltgipfel in Istanbul: Für mehr „Menschlichkeit“ | |
Das Treffen beginnt mit hehren Reden und Appellen. Angela Merkel fordert | |
ein besseres Zusammenspiel von Nothilfe und Entwicklungspolitik. | |
Kanzlerin trifft Erdoğan: Merkel zweifelt an Visafreiheit | |
Angela Merkel sagt, dass es die Reisefreiheit für türkische Bürger zum 1. | |
Juli nicht geben wird. Was heißt das für den EU-Türkei-Deal? |