# taz.de -- Klassiker des schwulen Kinos: Nicht nur Sexszenen | |
> Der Berliner Filmverleih Salzgeber präsentiert Frank Ripplohs „Taxi zum | |
> Klo“ in einer restaurierten Fassung in seinem neuen digitalen Salzgeber | |
> Club. | |
Bild: Frank Ripploh spielt Frank Ripploh | |
Während die Kamera die Fotowand abfährt, stellt sich Frank, der Protagonist | |
von Frank Ripplohs „[1][Taxi zum Klo]“, gespielt von Frank Ripploh, vor: | |
„Sie müssen nämlich wissen, ich mag Männer. Ich bin 30 Jahre alt, von Beruf | |
Lehrer. Ansonsten bin ich genauso normal, alltagsmüde, neurotisch und | |
polymorph pervers wie meine Kollegen in der Schule.“ Dann klingelt der | |
Wecker und der Protagonist windet sich, den Hintern zuerst, aus der | |
Bettdecke. | |
Als er seiner Nachbarin routiniert den Tagesspiegel klaut, fällt die | |
Wohnungstür hinter ihm ins Schloss und Frank steht splitternackt im | |
Treppenhaus. Der Berliner Filmverleih Salzgeber präsentiert den Film in | |
einer restaurierten Fassung ab Donnerstag in seinem [2][neuen digitalen | |
Salzgeber Club]. Salzgeber Club ergänzt das bisherige | |
Video-on-Demand-Angebot des Verleihs und präsentiert jede Woche eine | |
Video-on-Demand-Premiere. Die Filme sind jeweils zu einem recht günstigen | |
Leihpreis zum Streamen verfügbar. | |
Frank Ripplohs Klassiker des schwulen Kinos ist ein ausgesprochen | |
körperlicher Film – nicht nur in den Sexszenen, sondern auch bei den | |
Toilettengängen oder beim Arztbesuch. Die Dialoge sind dafür nicht immer | |
die flüssigsten. Zur Entstehungszeit stellte Ripploh zwei Welten | |
nebeneinander: das Leben seines alter egos als Lehrer an einer Schule und | |
sein Privatleben in der Berliner Schwulenszene. | |
Im Rückblick ist der Film zudem eine Zeitreise in die Wohn- und | |
Lebenswelten Westberlins der 1980er Jahre. Das betrifft den Kaffee durch | |
den man durchgucken kann ebenso wie Wohnverhältnisse, in denen eine | |
Toilette auf dem Treppenabsatz nicht ungewöhnlich war. Im Yorck-Kino lernt | |
Frank Bernd kennen. Die gemeinsame Autofahrt endet in Franks Bett. Die | |
beiden werden ein Paar. Doch während Frank die Subkultur der Großstadt in | |
vollen Zügen genießt, träumt Bernd von einem Bauernhof im niedersächsischen | |
Hitzacker. | |
Die Konflikte mehren sich, vor allem als Frank weiterhin Sex mit anderen | |
Männern hat und immer weniger mit Bernds Häuslichkeit anfangen kann. Die | |
expliziten Sexszenen verstörten eine ganze Reihe Kritiker bei Erscheinen | |
des Films und auch heute wirken sie noch überraschend deutlich für einen | |
Film, der sonst unterdessen etwas autorenfilmiger geworden ist. Auch zur | |
Entstehungszeit verhinderten die Sexszenen jedoch nicht, dass der Film beim | |
[3][Max-Ophüls-Festival] in Saarbrücken mit dem Hauptpreis ausgezeichnet | |
wurde. | |
Vermutlich ist auch der präzise beobachtete, ernüchternde Blick auf die | |
heterosexuelle Gesellschaft der Zeit in dem Film im Laufe der Jahre noch | |
beeindruckender geworden. Der Film greift eine breite Palette von | |
gesellschaftlichen Themen auf. Ob das die junge Frau ist, die eines nachts | |
vor Franks Tür steht und von einem Mann verprügelt wurde und von Frank und | |
Bernd an das noch recht neue Frauenhaus in Berlin vermittelt wird oder das | |
Fernsehgespräch mit einem jungen Neonazi, der von Umerziehungslagern | |
phantasiert. | |
Auch das Grauen des feucht-fröhlichen Kegelabends mit den Kollegen aus der | |
Schule ist wenig ansprechend. Der Film schneidet die Szenen des | |
Alkoholgelages unter Kollegen mit Erotikfilmen der Stummfilmzeit gegen und | |
macht so die überzeitlichen Referenzen deutlich. Das ist eine Technik, der | |
sich Ripploh wiederholt bedient. | |
Im Kontrast mit dem Gebahren der Lehrerkolleg_innen sind die Klappen und | |
Cruisingräume der Schwulenkultur deutlich weniger verlogen. Charmant führt | |
der Film Franks Welten immer mal wieder zusammen. In einer Szene sitzt | |
Frank auf einer öffentlichen Toilette, sein Notizbuch auf den Knien bei der | |
Nachbereitung des Unterrichts, als sich durch ein Loch in der Wand ein | |
Schwanz schiebt und Frank die Nachbereitung für kurzen, anonymen Sex | |
unterbricht. | |
Die präzise Beobachtung der Welten macht von heute aus einen großen Teil | |
der Faszination aus, die von „Taxi zum Klo“ noch immer ausgeht. Ripploh | |
verarbeitet in dem Film teils eigene Erfahrungen aus seiner Zeit als offen | |
schwuler Lehrer an einer Berliner Hauptschule. | |
Bevor Ripploh noch während seiner Zeit als Beamter auf Probe sein | |
Regiedebüt gab, hatte er als Schauspieler und Regieassistent an Filmen von | |
Rosa von Praunheim und Ulrike Ottinger mitgewirkt. Mit Ripplohs „Taxi zum | |
Klo“ bietet [4][Salzgeber Club in dieser Woche] einen veritablen Klassiker | |
des schwulen Kinos zum Wiederentdecken an. | |
16 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://salzgeber.de/taxizumklo | |
[2] https://vimeo.com/salzgeber/vod_pages | |
[3] /40-Filmfestival-Max-Ophuels-Preis/!5566688/ | |
[4] https://vimeo.com/ondemand/taxizumklo2 | |
## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
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