# taz.de -- Kinder und Diversität: Der Ranz aus alten Büchern | |
> Kinder lernen durch Beobachtung. Reproduzieren wir vor ihnen | |
> irgendwelchen Mist, prägt sich das ein und ist schwer wieder zu | |
> korrigieren. | |
Bild: In vielen Kinderbüchern bedeutet Vielfältigkeit Anderssein | |
Wenn ich dem Zweijährigen das schöne Buch „Die Raupe Nimmersatt“ vorlese, | |
zögere ich oft an der Stelle, an der steht, dass die Raupe sich ein Haus | |
baut, das man Kokon nennt. Denn ich habe mal in einem Interview gelesen, | |
dass das so nicht ganz stimmt. Dass sich Schmetterlinge, vor allem | |
Tagfalter, in der Regel keinen Kokon spinnen, sondern sich verpuppen. Ich | |
meine, es war im Interview nicht klar, auf welches Buch man sich bezog, | |
aber sinnerfassend hieß es, dass wegen eines Kinderbuchs Millionen Menschen | |
glaubten, alle Schmetterlinge würden sich einen Kokon spinnen. Ich stocke | |
also, weil ich will, dass mein Kind klüger wird als ich. Ich will ihm keine | |
Dinge beibringen, die es später nur schwer verlernen kann. Ich lese nur | |
vor, dass sich die Raupe ein Haus baut. Mehr nicht. | |
Wir haben da noch ein ganz anderes Buch, das ich arglos gebraucht gekauft | |
habe und das ich verschwinden lassen möchte. Das Buch heißt „Feuerwehr und | |
Regenauto“ von Janosch und darin gibt es eine rassistische Stelle über | |
Müllmänner und Gastarbeiter_innen, die ich nie vorlese. Frauen haben darin | |
außerdem kurze Röcke und große Brüste. Das Kind verliert zum Glück das | |
Interesse daran. | |
Man sollte keinen Mist vor Kindern reproduzieren, denn sie imitieren uns – | |
das weiß jeder, der schon mal vor einem Kleinkind laut „Scheiße“ gesagt | |
hat. Sie übernehmen aber nicht nur Wörter, sondern auch Gefühle. Schon ab | |
[1][dem Lauflernalter sind sie in der Lage, die Emotionen ihrer | |
Bindungspersonen] gegenüber Dritten zu lesen – positive und negative. Im | |
Alter zwischen zwei und fünf Jahren können sie Unterschiede erkennen. Sie | |
stellen Fragen zu körperlichen Merkmalen, zu Sprache und Essgewohnheiten. | |
Sie begreifen unterschiedliche Lebensstile und Geschlechterrollen. Also | |
sollte man ihnen so viele Normalitäten wie möglich zeigen. | |
Es ist wohl gesünder, sich nicht mit dem Ranz in alten Kinderbüchern | |
abzumühen, sondern sich neue Bücher zu suchen. Doch auch die meisten neuen | |
deutschen Kinderbücher sind voller stereotyper Figuren. Kinder aus | |
Minderheiten finden sich kaum wieder und Perspektivenwechsel sind für | |
Kinder aus der Mehrheitsgesellschaft kaum möglich. Die Hauptcharaktere sind | |
oft weiß, männlich, dünn, ohne Behinderung, christlich, cis, hetero, aus | |
der Mittelschicht, die Eltern leben zusammen. | |
Wer sucht, findet heute zwar Bücher, in denen in Nebenrollen Vielfalt | |
abgebildet wird oder die sich explizit mit dem Thema beschäftigen, | |
allerdings mit dem ewigen Nachteil, dass Personen als „anders“ dargestellt | |
werden. Selten sind Bücher, [2][in denen Vielfalt als normal abgebildet | |
wird]. Wir haben nun eine gute Auswahl an solchen Kinderbüchern daheim. | |
Damit ist es aber offenbar nicht getan, denn vorhin haben wir uns ein Video | |
angeschaut, von einem Kinderlied, in dem Frauen ihre Kleider nach den | |
Farben des Berufes ihrer Männer auswählen. Man möchte schreien. | |
18 May 2020 | |
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[1] https://www.situationsansatz.de/files/texte%20ista/fachstelle_kinderwelten/… | |
[2] https://kimi-siegel.de/ | |
## AUTOREN | |
Saskia Hödl | |
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