# taz.de -- Solidarität nach dem Anschlag in Hanau: Abgenutztes Ritual | |
> Ein paar warme Worte vielleicht, sonst einfach weitermachen wie bisher. | |
> Das geht nur für jene, die den Luxus haben, nicht bedroht zu sein. | |
Bild: Große Betroffenheit in Hanau, aber die NSU-Akten bleiben weiter unter Ve… | |
Seit Tagen frage ich mich, wie sich das wohl anfühlt, wenn man [1][nach | |
Hanau einfach weitermachen kann, als wäre nichts passiert]? Wenn das | |
Einzige, was die Karnevalsfeier bedroht, das schlechte Wetter ist? | |
Und wie fühlt es sich an, wenn ein warmes „Wir sind mehr“ reicht, um die | |
Welt wieder geradezurücken? Was soll dieses Beschwören der Überzahl | |
bewirken – und vor allem für wen? Klar, Solidarität, Beistand, die Hand | |
halten. Das ist wichtig, aber auch ein zunehmend abgenutztes Ritual. Wer | |
hält hier wem die Hand? Und was bedeutet die Überzahl heute noch – das ist | |
ja kein Fußballmatch. Es werden hier Menschen von Rassisten und Antisemiten | |
bedroht und ermordet. Obwohl wir in der Überzahl sind. | |
Wir sind mehr. Aber was heißt das? Heißt das, dass mir zwei Leute | |
mitfühlend die Hand halten, während mir ein anderer die Waffe an den Kopf | |
hält? Der Gedanke, in der Überzahl zu sein, hilft vor allem denjenigen, die | |
ihr Gewissen beruhigen wollen. Denen, die noch glauben wollen, dass das | |
nicht das Land ist, in dem wir leben. Denen, die nach so einer Tat nicht | |
nachts wachliegen und sich fragen, ob sie sich in Gefahr begeben, allein | |
weil sie hier leben und für ihre Rechte einstehen. | |
[2][„Rassismus ist ein Gift“, sagt Angela Merkel]. „Und dieses Gift | |
existiert in unserer Gesellschaft und es ist schuld an schon viel zu vielen | |
Verbrechen.“ Doch das stimmt nicht. Der Rassismus ist nichts, was nur von | |
außen kommt. Nichts, das gerade eingeimpft wurde durch ein paar | |
Rechtsextreme und Rechtspopulisten. Es ist fahrlässig, sich einzureden, | |
dass der tief verwurzelte gesellschaftliche, strukturelle, internalisierte | |
Rassismus in Deutschland nichts mit der Schoah und dem Kolonialismus zu tun | |
hat. Dass er nichts mit einem selbst zu tun hat, nichts mit Freunden und | |
Familie. | |
„Diese Tat richtete sich gegen uns alle“, sagte Christian Lindner zu Hanau, | |
und falscher wird es nur noch, wenn Julia Klöckner twittert, dass „wahllos | |
Gäste einer Shishabar erschossen“ wurden. Lindner und Klöckner versuchen | |
hier ganz bewusst den Eindruck zu erwecken, dass es jeden hätte treffen | |
können. Um sich nicht damit befassen zu müssen, was das alles mit der | |
Nachlässigkeit und der Arroganz ihrer Parteien zu tun hat. Und nein, Hanau | |
war auch kein Versuch, die Gesellschaft zu spalten. Es war ein Versuch, | |
Teile dieser Gesellschaft zu ermorden. | |
„Wir lassen uns nicht einschüchtern“, sagt Frank-Walter Steinmeier in | |
Hanau. Das lässt sich bestimmt leicht sagen, wenn man für einen Moment | |
vergessen kann, dass [3][nur eine Holztür eine Bluttat in Halle verhindert | |
hat]. Oder dass wir seit verdammten 15 Jahren darauf warten, dass [4][Oury | |
Jalloh und seiner Familie Gerechtigkeit widerfährt]. Oder, wenn man selbst | |
auch gut damit leben kann, dass die NSU-Akten unter Verschluss gehalten | |
werden, während weiter Menschen ermordet werden. | |
Hinweis: Dieser Text wurde am Sonntag, 23. Februar 2020 geschrieben – bevor | |
am Montag ein Auto in einen Rosenmontagszug in Volkmarsen gefahren ist und | |
mehrere Menschen verletzt hat. Daraufhin wurden alle Fastnachtsumzüge in | |
Hessen abgebrochen. | |
24 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Nach-dem-rassistischen-Attentat-in-Hanau/!5663132 | |
[2] /Merkel-zu-Anschlag-in-Hanau/!5665261 | |
[3] /Juedisches-Leben-nach-Anschlag-von-Halle/!5632050 | |
[4] /Vor-15-Jahren-starb-Oury-Jalloh/!5650368 | |
## AUTOREN | |
Saskia Hödl | |
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