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# taz.de -- Katharina Nocun über AfD-Programme: „Preußentum und Rassismus“
> Die Netzaktivistin Katharina Nocun hat die Wahlprogramme der AfD
> analysiert. Im Interview verrät sie, warum ihr die Partei Angst macht.
Bild: Welche Strophe der Nationalhymne singt wohl der AfD-Parteivorstand?
taz: Katharina Nocun, Sie haben in Ihrer Freizeit die Wahlprogramme der AfD
gelesen. Wieso tut man sich das an?
Nocun: Ich stand vor einem Problem. Die AfD ist im Weltbild ihrer Wähler
schwer angreifbar: Kritisiert man sie, gehört man zur Lügenpresse. Erwähnt
man die AfD nicht, ist die Rede vom Schweigekartell. Nur positive Berichte
gelten als neutral. Das ist eine universelle Teflon-Strategie zur
Kritikabwehr.
Also was tun?
Diese Abwehrstrategie kann nicht bei Screenshots aus dem eigenen
Wahlprogramm funktionieren. Über die AfD wird fast nur im Kontext von
Flüchtlingspolitik geschrieben. Was die Partei sonst noch fordert, ist kaum
bekannt. Also habe ich mir die Wahlprogramme der AfD heruntergeladen und
gelesen. Einige „what-the-fuck“-Momente später habe ich mich dazu
entschlossen, daraus einen [1][Blogeintrag] zu machen.
Welche Programme haben Sie gelesen?
Ich habe mir die Parteiprogramme der AfD-Landesverbände angeschaut, die
demnächst wählen: Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg.
Das sind die aktuellsten Programme. Sie zeigen sehr gut, wie die Partei
momentan tickt, da die Mitglieder dem Programm zustimmen müssen.
Was war ihr erster Eindruck beim Lesen?
Was ist das denn für eine Resterampe? Wo bin ich denn hier gelandet?
Verklärung preußischer Zustände, religiös-fundamentalistische Weltsichten,
offener Rassismus, Klimawandelleugnung, marktradikale Konzepte aus der
Mottenkiste. Alles dabei.
AfD-Erfolge in Umfragen speisen sich auch aus Abstiegsängsten. Aber wie
sozial ist die Partei?
Überhaupt nicht. Die AfD ist eine marktradikale Partei, die keine Lehren
aus den Finanzkrisen der letzten Jahre gezogen hat. Hartz IV stellt sie
nicht in Frage: Ein Transferempfänger soll sich laut Programm sogar
„solidarisch zeigen, um die Belastung der Gemeinschaft so niedrig wie
möglich zu halten.“
Was heißt das konkret?
In Baden-Württemberg schlägt die AfD ein Projekt zur Bürgerarbeit für
Langzeitarbeitslose vor. Dabei interessant: Das gab es schon 2010 unter
Ursula von der Leyen, damals ist das Modellprojekt aufgrund geringer
Vermittlungsraten und hoher Kosten grandios gescheitert.
Klingt nicht sehr sozial.
Es geht noch weiter: Die AfD befürwortet zum Beispiel Paul Kirchhofs
Steuermodell. Das bedeutet ein klares Nein zur progressiven Besteuerung:
Alle sollen einen pauschalen Steuersatz von circa 25 Prozent zahlen.
Millionäre würden jubeln. Normale Arbeitnehmer eher nicht. Das
Mindestlohn-Gesetz entspringt laut Frauke Petry sogar einer
„neosozialistischen Ideologie“. Die AfD setzt sich in keinster Weise für
Arbeitnehmer ein.
Vertritt die AfD am Ende gar nicht die Interessen des sprichwörtlichen
„kleinen Mannes“, wie sie proklamiert?
Im Gegenteil. Die AfD vertritt ganz klar die Interessen eines kruden
Sammelsuriums von Interessengruppen: Großverdiener sollen weniger Steuern
zahlen, radikale christliche Sekten bekommen Geschenke wie „Home
Schooling“, das Infragestellen des menschlich verursachten Klimawandels
begünstigt Umweltverschmutzer und Rechtsradikale finden sich im Rassismus
wieder.
Wie steht die AfD zur Familienpolitik?
Sie ist erzkonservativ bis ins Mark. Die stellvertretende Vorsitzende
Beatrix von Storch holt die Diskussion zurück in die sechziger Jahre. Sie
fordert als Abtreibungsgegnerin ernsthaft die Kriminalisierung von
Schwangerschaftsabbrüchen. Arbeitenden Frauen stärkt die AfD auch nicht
gerade den Rücken.
AfD-Politiker fabulieren gerne von der „Lügenpresse“. Wie stehen sie denn
laut Wahlprogramm zur Pressefreiheit?
Die Positionen dazu klingen ironisch, sind es aber leider nicht: In
Baden-Württemberg will die AfD „auf die öffentlich-rechtlichen
Rundfunkanstalten einwirken und auch im Bildungsbereich Anstrengungen
unternehmen, damit Ehe und Familie positiv dargestellt werden.“ Was denn
nun? Meinungsfreiheit, Pressefreiheit oder staatliche Beeinflussung der
Medien?
Klingt nach Gleichschaltung.
In Sachsen-Anhalt findet sich noch etwas Interessantes zur Freiheit der
Kunst: „Museen, Orchester und Theater sind in der Pflicht, einen positiven
Bezug zur eigenen Heimat zu fördern. Die Bühnen des Landes Sachsen-Anhalt
sollten neben den großen klassischen internationalen Werken stets auch
klassische deutsche Stücke spielen und sie so inszenieren, dass sie zur
Identifikation mit unserem Land anregen.“ Was für eine Partei möchte
Theatern vorschreiben, welche Stücke sie zu inszenieren haben? Das kennen
wir nur aus repressiven Regimen.
Was sagt ein solches Wahlprogramm über die Partei aus?
Es ist ein Spiegel des Wachstums der letzten Jahre. Die AfD ist eine
Plattform für alle möglichen Leute, die vielleicht nach einer Partei
gesucht haben und diese nicht im demokratischen Spektrum gefunden haben.
Das sieht man nicht zuletzt im Spitzenpersonal der AfD.
Wen haben Sie da im Blick?
Die Liste ist lang: Die stellvertretende Vorsitzende Beatrix von Storch ist
bestens vernetzt mit religiösen Sekten. Sie nennt Stammzellenforschung
allen Ernstes „Kinderleichenhandel“. Gleichzeitig will sie Kinder an
Grenzen erschießen lassen. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. In
Rheinland-Pfalz schickt die AfD mit Uwe Junge ein ehemaliges Mitglied der
rechtsradikalen Partei „Die Freiheit“ ins Rennen. Der Parteichefin Frauke
Petry droht eine Strafanzeige wegen Meineids.
Wie sieht es mit der Parteibasis aus?
Der Kern der AfD ist noch viel radikaler als das, was in den Programmen
steht. Mir macht es Sorgen, dass im nächsten Jahr jemand wie Björn Höcke an
der Parteispitze stehen könnte. Dann haben wir noch ganz andere Sachen in
der Öffentlichkeit als einen Schießbefehl.
In Umfragen legte die AfD vor allem „nach Köln“ zu. Die Debatte ist seitdem
weit nach rechts offen. Helfen da rationale Argumente?
Ja. Es ist wichtig, sachlich zu bleiben. Mein Ziel ist es, potenzielle
Wähler, die sich in Angst und Vorurteile hineinsteigern, mit den Statements
aus den Wahlprogrammen wachzurütteln. Die AfD ist eine Partei der einfachen
Lösungen: Wir kennen das Sündenbock-Phänomen aus unserer Geschichte zu
Genüge. An diesem Punkt gegen Flüchtlinge vorzugehen, löst überhaupt keine
Probleme, im Gegenteil: Es wird der Art und Weise unseres Zusammenlebens
nachhaltigen Schaden zufügen. Ich als Migrantin betrachte diese Entwicklung
mit persönlicher Sorge, ich möchte gerne hier wohnen bleiben.
Gab es eine offizielle Reaktion seitens der AfD auf ihre Analyse?
Auf der offiziellen AfD-Seite Baden-Württemberg wird ein Blogger zitiert,
der meine Analyse kommentiert hat: „Ihren polnischen Hintergrund, mit dem
sie gerne kokettiert und den sie auch gegen die AfD anbringt, erwähne ich
wegen Bedeutungslosigkeit nicht.“ Dass meiner Analyse erst einmal
vorangestellt werden muss, in welchem Land ich geboren wurde, spricht
Bände.
Was gab es sonst für Feedback auf Ihre Recherche?
Einige Leute, sowohl Wähler als auch Mitglieder der AfD, wollten teilweise
überhaupt nicht glauben, dass die Zitate tatsächlich aus AfD-Programmen
stammen. Ich habe Mails von Mitgliedern und Wählern bekommen, die gesagt
haben: „Das wusste ich nicht, ich wähle jetzt doch nicht die AfD.“
Gab es keinen Gegenwind?
Doch: Mir wurde vorgeworfen, dass die Screenshots ein „Fake“ seien.
Beschimpfungen gab es gratis dazu: von einem liebevollen „Verpiss dich“ bis
zum neckischen „viel Spaß in der Hölle“ war alles dabei.
Wie gehen Sie mit solchen Hassmails um?
Heute während ich mir Tortellini zu Mittag gemacht habe, hat mich jemand
auf Twitter gefragt, ob ich schon mal einen Kopfschuss gehabt hätte. Meine
Reaktion war, noch ein bisschen Parmesan auf die Sauce zu machen. Mich
lässt das relativ kalt. Ich finde es sogar gut, wenn unter meinen
Blogbeiträgen krude Kommentare erscheinen. Dann sieht man, was für eine
Suppe hinter der AfD herschwimmt. Ich versuche auch, mir meinen Humor zu
bewahren: Ich gebe gerne zu, einen Lügenpresse-Ausweis zu haben. Den hat
mir eine Freundin zum Karneval mit Photoshop gemacht.
12 Feb 2016
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## AUTOREN
Gareth Joswig
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