# taz.de -- Vor der Wahl in Sachsen-Anhalt: Abba-Songs und Totschweigen | |
> Wahlkampf in der Endrunde: Angela Merkel wird halb gefeiert, halb | |
> versteckt und der CDU-Landeschef wirbt um die SPD. | |
Bild: Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff ist kein Freund von Me… | |
Magdeburg taz | | Brav klatschten sie im Rhythmus und bemerkten den | |
Fettnapf nicht: Mit der Loser-Hymne „Waterloo“ eröffnete die mäßige | |
Playback-Band „Abba da capo“ die heiße Phase des CDU-Wahlkampfes in | |
Sachsen-Anhalt. Da half es auch nicht, dass der Moderator anschließend | |
bemerkte, ohne Waterloo säßen vielleicht die Franzosen noch hier. | |
Dabei braucht die seit 14 Jahren in wechselnden Koalitionen regierende CDU | |
dringend Selbstermutigungsveranstaltungen. Kein Zweifel, dass sie bei der | |
Landtagswahl am 13. März stärkste Partei bleiben und wieder den | |
Ministerpräsidenten stellen wird. Aber ihre Umfragewerte sind seit Sommer | |
2013 von 39 auf nunmehr 33 Prozent stetig gesunken. Die AfD legte indes zu. | |
Doch keiner erwähnte dieses [1][der Union im Nacken sitzende Gespenst] in | |
Magdeburg. Nur ein Seitenhieb von Ministerpräsident Reiner Haseloff gegen | |
die, „die außer Parolen nichts zu bieten haben“. Und rechts von der CDU | |
dürfe es keine demokratische Alternative geben, flehte er. | |
Dafür gaben er und Stargast Angela Merkel umso ausführlichere Begründungen | |
dafür, warum nur die Union eine stabile Demokratie garantieren und | |
anstehende Probleme lösen könne. Und forderte die Mitglieder eindringlich | |
auf, das „Gespräch auf der Straße“ mit dem Bürger zu suchen. | |
## Quasi eine Doppelspitze | |
Der mit Abba-Musik und afrikanischen Trommelklängen inszenierte Einzug der | |
Kanzlerin löste auch in Magdeburg den Zusammenraufreflex aus, den man von | |
Parteitagen kennt. Lange Ovationen. Doch offenbar wollte die Landesunion | |
nicht riskieren, die zurzeit viel gescholtenen Kanzlerin allzu öffentlich | |
zu empfangen. Erst zum Finale am 11. März wird Merkel in Halle wieder | |
erwartet. | |
Aus der Selbstbezogenheit brach gleich zu Beginn eigentlich nur der | |
CDU-Landesvorsitzende Thomas Webel aus. In Sachsen-Anhalt sind | |
Ministerpräsident und Parteivorsitzender nicht dieselbe Person, es gibt | |
quasi eine Doppelspitze. Webel ist ein bodenständiges Gewächs und | |
Parteisoldat. Auch als Minister für Landesentwicklung und Verkehr am | |
Kabinettstisch, wo er die Nordverlängerung der A14 forciert hat, aber auch | |
so umstrittene Projekte wie den Elbe-Saale-Kanal propagiert. | |
Webel warb vor der anstehenden „Richtungswahl“ ausdrücklich um den | |
bisherigen Koalitionspartner SPD. Denn zumindest deren Spitzenkandidatin | |
Katrin Budde liebäugelt mit einer rot-rot-grünen Koalition wie in | |
Thüringen. | |
Anders als die dortige Union um den Landesvorsitzenden Mike Mohring habe | |
man den Koalitionspartner SPD immer fair behandelt, buhlte Webel weiter. | |
Und warnte vor dem Schicksal der Thüringen-SPD, wo „eine stolze | |
Arbeiterpartei von der ehemaligen SED untergebuttert wird“. Die Jahre | |
1994-1998 und 2001/2002, als der Sozialdemokrat Reinhard Höppner in | |
Sachsen-Anhalt eine von der PDS tolerierte Minderheitsregierung führte, | |
gelten der CDU als schlimmster Sündenfall der Nachwendegeschichte. | |
## Obergrenzen-Pionier Haseloff | |
Ministerpräsident Reiner Haseloff schien sich eher um die Gunst der | |
Kanzlerin zu bemühen. Als promovierte Physiker deuteten beide den jüngsten | |
Nachweis von Gravitationswellen als Symbol für die Erreichbarkeit des | |
scheinbar Unmöglichen. Womit auch die Harmonie zwischen beiden gemeint | |
gewesen sein könnte, denn aus Sachsen-Anhalt kam bislang eher ein Störfeuer | |
gegen die Merkel’sche Flüchtlingspolitik. | |
Noch vor Seehofer wollte Haseloff eine Obergrenze von 12.000 Flüchtlingen | |
für sein Bundesland festlegen. Von ihm stammt auch der Vorschlag, den | |
Mindestlohn für arbeitssuchende Asylbewerber auszusetzen. | |
Haseloff ist katholisch sozialisiert, ansonsten aber wie die Kanzlerin | |
politisch ein typisches Kind des Aufbruchs in der DDR 1989. Was nicht | |
verhinderte, dass er als Wirtschaftsminister und späterer Regierungschef | |
von mehreren Fördermittel- und Korruptionsskandalen zumindest tangiert | |
wurde. Eine merkwürdige Unsicherheit haftet ihm nach wie vor an. Auch beim | |
großangelegten Wahlkampfauftakt schienen Mimik und Körpersprache immer | |
wieder sagen zu wollen: Entschuldigen Sie bitte, ich bin hier nur | |
Ministerpräsident! | |
## Angst vor Rot-Rot | |
Die Webel-Haseloff-Union fährt einen straff konservativen Kurs, Polizei und | |
Innere Sicherheit dominieren, getrieben vom Herausforderer AfD. In der | |
Familienpolitik taucht gar der alte [2][DDR-Ehekredit wieder auf], ein | |
zinsloses Darlehen an Jungvermählte, der „abgekindert“ werden kann, also | |
mit jedem Kind wird die Rückzahlung vermindert. Geradezu penetrant werden | |
Heimat und Identität beschworen, um die das junge Bindestrichland ringt. | |
Und Angela Merkel? „Das Land der Frühaufsteher kann es sich nicht leisten, | |
mit Rot-Rot die Zukunft zu verschlafen“, wurde sie kurz polemisch. Sonst | |
aber war wie schon bei ihren Vorrednern am aufschlussreichsten, was sie | |
nicht sagte. Die Kanzlerin referierte ausführlich bekannte Grundzüge ihrer | |
Flüchtlingspolitik, darunter die Türkei-Hilfen und die | |
Nato-Küstenüberwachung in der Ägäis. | |
Kein Wort jedoch zum offenkundig gewordenen Scheitern des Versuchs einer | |
solidarischen Verteilung der Flüchtlinge in Europa. Die „klaren | |
Verhältnisse“, die die CDU in Sachsen-Anhalt anstrebt, und der klare | |
sonnige Himmel ließen solche Trübungen nicht zu. | |
15 Feb 2016 | |
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## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
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