# taz.de -- Vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt: Der Wecker klingelt etwas s… | |
> Schwierige Startbedingungen, Imageprobleme und auffallend viele Skandale: | |
> Frühaufsteherkampagnen retten Sachsen-Anhalt auch nicht. | |
Bild: Am Flughafen „Magdeburg Berlin International“ finden derzeit nur aero… | |
Wenn man den Einwohnern Sachsen-Anhalts eine kollektive Identität verpassen | |
will, dann am ehesten die, gemeinsam um eine solche zu ringen. Man trifft | |
zwischen Halle und Salzwedel meist angenehme Menschen mit leicht | |
preußelnder Aussprache und mit einem gewissen Hang zur Selbstironie. Aber | |
als Angehöriger einer Ethnie wird sich keiner verstehen. | |
Verglichen mit dem penetranten Patriotismus der Sachsen schauten die | |
Sachsen-Anhalter bei der Landeswiedergründung 1990 eher verlegen auf sich. | |
Ein gleichnamiges Bindestrichland hatte es zuvor nur in den Jahren 1947 bis | |
1952 gegeben, ein Patchwork von preußischen, anhaltischen, sächsischen und | |
Braunschweiger Fragmenten. | |
Die historischen Anknüpfungspunkte, die das nach Bayern am dichtesten mit | |
Unesco-Welterbestätten beschenkte Bundesland bietet, liegen halt ein rundes | |
Jahrtausend zurück. Magdeburg war eines der Zentren des Heiligen Römischen | |
Reiches Deutscher Nation. Erschwerend kommt ein Landesimage hinzu, das die | |
Entstehung eines „Nationalbewusstseins“ nach 1990 nicht gerade befördert | |
hat. | |
Ob es demografische Werte und Abwanderungsverluste, Schuldenstand, | |
Arbeitslosenquoten oder Wirtschaftswachstum angeht, das Land musste sich | |
stets mit dem Bild der „Roten Laterne“ plagen. Dann kamen auch noch | |
Spitzenplätze bei der halbseriösen „Angst-Skala“ gewisser Versicherungen | |
oder letzte Ränge bei Umfragen nach der Zufriedenheit hinzu. | |
## Ausgeschlafen und sexy | |
Wenig ins Gewicht fiel dagegen die vergleichsweise am besten ausgebaute | |
vorschulische Kinderbetreuung oder der Umstand, dass die beiden | |
Hochschulstandorte Magdeburg und Halle für westdeutsche Studierende sehr | |
attraktiv sind. „Ein Land im Herzen Deutschlands“ tröstete deshalb schon | |
2001 Pfarrer Friedrich Schorlemmer. Wie eine Kopie von | |
SED-Parteitagsaufgeboten aus DDR-Zeiten mutete 2005 die bundesweite | |
Imagekampagne „Wir stehen früher auf“ an, mit der ein Ruck durch | |
Sachsen-Anhalt gehen sollte. | |
Das Meinungsforschungsinstitut Forsa hatte herausgefunden, dass die | |
Landeskinder neun Minuten früher das Bett verlassen als der | |
Durchschnitts-Bundesbürger. Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD) fand | |
allerdings schon 2012 Ausschlafen „sexy“, und der Streit um den Sinn des | |
Programms mündete 2013 in einer stark reduzierten Variante. | |
Der Sachsen-Anhalt-Monitor von 2014 registrierte dann immerhin zwei Drittel | |
zufriedener Bürger im Land. Nur 19 Prozent fühlten sich allerdings dem | |
Bundesland verbunden, Tendenz sinkend. Beim Neujahrsempfang 2016 wollte | |
Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) allerdings eine Trendwende | |
erkennen. Angesichts erfreulicher Zuwanderungszahlen ist ein Ende des | |
Bevölkerungsschwunds in Sicht. Auch mit Blick auf die wirtschaftliche | |
Situation verbreitete der von seiner Union als „Landesvater“ titulierte | |
Spitzenkandidat Optimismus. Tatsächlich ist zwar die Zahl der Unternehmen | |
gesunken, die lebensfähigen aber bieten mehr Jobs. Im Vergleich mit dem | |
Jahr 2005 stieg die absolute Zahl der Beschäftigten um knapp sieben | |
Prozent. | |
Gedämpft wird solche Zuversicht durch Prognosen der Landesbank | |
Baden-Württemberg aus dem Dezember, die Sachsen-Anhalt mit einem Prozent | |
Wachstum deutlich unter dem Bundesdurchschnitt sehen. Und der | |
Start-up-Monitor der Unternehmensberatung KPMG registriert statistisch nur | |
zwei von tausend Start-ups in Sachsen-Anhalt, das damit mit Abstand | |
Schlusslicht ist. Andere Wirtschaftsberater machen die mangelhafte | |
Gründungsförderung dafür verantwortlich, dass die Gründerszene „praktisch | |
tot“ sei. | |
## Geburtstag im leeren Flughafen | |
Wirtschaftsförderung ist ein heißes Thema in Sachsen-Anhalt. Wie andere | |
ostdeutsche Länder auch hat es in der Hoffnung auf den Aufschwung viel | |
versucht und manches in den Sand gesetzt. Wer beispielsweise 35 Kilometer | |
südlich von Magdeburg den ehemaligen Militärflughafen Cochstedt anfährt, | |
kann lange auf ein Flugzeug warten. Auf Raketen auch, die von hier einmal | |
solvente Kunden zu einem Weltraumtrip befördern sollten. | |
Nach mehreren fehlgeschlagenen Vermarktungsversuchen und Weiterverkäufen | |
wurde die letzte verbliebene Fluglinie von Ryanair mangels | |
Wirtschaftlichkeit 2013 eingestellt. Immerhin kann man im „Magdeburg Berlin | |
International“, so der hochstapelnde Flughafenname, jetzt Führungen buchen | |
und besondere Geburtstagspartys feiern. 60 Millionen direkter Fördermittel | |
hat Sachsen-Anhalt für das windige Experiment eingesetzt. | |
Die gleiche Summe kostete auch das berüchtigte Spaßbad in Bad Suderode. | |
„Nur“ die Hälfte an Geld verbrauchte der Ausbau des Hafens Halle, obschon | |
größere Schiffe auf der Saale gar nicht bis hierher gelangen können. Der | |
Hafen schreibt wachsende Verluste und macht seinen Umsatz zum geringsten | |
Teil mit Güterumschlag. Eher schon – siehe Cochstedt – mit Ausflugsfahrten. | |
Ein Argument für die Wirtschaft und ihre Lobby insbesondere in der CDU, auf | |
den ebenso blinden Bau eines Elbe-Saale-Kanals nahe der Mündung zu drängen, | |
um vielleicht mehr Schiffe nach Halle zu lotsen. | |
Ein Fehlschlag war auch die intensive Förderung des Solarzellenherstellers | |
Q-Cells, der 2012 pleite ging. Es ist noch nicht vorbei mit hanebüchenen | |
Großprojekten im Land der Aufholer. Im Harzer Wintersportort Schierke soll | |
auf 600 Metern Seehöhe eine 25 Millionen teure Skiarena dem Klimawandel | |
trotzen. | |
## Eigenartige Erfolgsgeschichte | |
Immer wieder ist es der Umgang mit Fördermitteln, der Vertrauen in die | |
Landesregierung und den mit ihr verbundenen Filz untergräbt. Zwei Jahre | |
lang hat sich ein Untersuchungsausschuss des Landtages mit Vorwürfen gegen | |
die landeseigene Beteiligungsgesellschaft IBG befasst. Seit 1996 sollte sie | |
Betriebe mit Risikokapital versorgen. Durch Intransparenz und fehlende | |
Kontrolle flossen Fördermillionen in falsche Kanäle, monierte auch der | |
Rechnungshof. | |
Als sicher gilt, dass Geschäftsführer Dinnies von der Osten jahrelang | |
geheime Privatgeschäfte mit Firmen machte, die er mit Steuermitteln | |
versorgte. Für den Ministerpräsidenten und ehemaligen Wirtschaftsminister | |
Haseloff ist das alles eine „Erfolgsgeschichte“. Der Koalitionspartner SPD | |
in Person der Fraktionsvorsitzenden Katrin Budde aber ging auf Distanz und | |
möchte die IBG auflösen. | |
Vor dem Landgericht Halle wird derzeit die sogenannte Dessauer | |
Fördermittelaffäre verhandelt. Es geht um einen Filz von Politikern und | |
privaten Bildungsträgern, die fiktive Unterrichtsstunden abgerechnet haben | |
sollen. Ins Bild passt auch, dass Finanzminister Bullerjahn im vorigen | |
Herbst für 10.000 Euro einen freundlichen Rundfunkbeitrag des Privatsenders | |
SAW bestellte. Wegen Steuerhinterziehugnsvorwürfen trat Landtagspräsident | |
Detlef Gürth Ende November 2015 zurück. Mit zahlreichen Affären hat | |
Sachsen-Anhalt den in der Biedenkopf- und Milbradt-Ära für seine Skandale | |
bekannten sächsischen Nachbarn längst überholt. | |
Auch diese Seiten gehören zu der Kulisse, vor der die Wähler zur | |
Landtagswahl am 13. März Entscheidungen treffen. Das kleine Land mit nur | |
2,2 Millionen Einwohnern hatte 1990 eine schwierige Startposition. Für sein | |
manchmal schon bemitleidenswert schlechtes Image aber tragen auch die | |
seither Regierenden eine Mitverantwortung. | |
11 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
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