| # taz.de -- Geplantes Ski-Paradies im Harz: Schneekanonen für Schierke | |
| > Weil die Touristen ausbleiben, plant Schierke im Harz eine 25 Millionen | |
| > Euro teure Skipiste. Wegen des Klimawandels gibt es aber zu wenig Schnee. | |
| Bild: Derzeit ist weit und breit kein Schnee zu sehen in und um Schierke. | |
| SCHIERKE/wernigerode taz | In Schierke, wo vor 100 Jahren noch der Kaiser, | |
| später Großnazis und wohlhabendere Trendsportler Schneefreuden genossen, | |
| sieht man in diesen Weihnachtstagen kaum einen Menschen auf der lang | |
| gezogenen Dorfstraße. Das riesige Parkhaus am Winterbergtor steht leer. Es | |
| grünt so grünlich oder schottergrau auf dem Platz davor, der als | |
| Loipeneinstieg ausgeschildert ist. Ein einsames Paar begibt sich trotzig zu | |
| Fuß auf Wanderschaft zum 906 Meter hohen Winterberg. Hoffen auf die nächste | |
| Eiszeit, der man als Mensch aber ein bisschen nachhelfen kann. | |
| Geht es nach den Plänen des Rathauses in Wernigerode und des Investors | |
| Gerhard Bürger, so soll schon in zwei Jahren hier auf 620 Metern Höhe eine | |
| 25 Millionen Euro teure sogenannte Skiarena beginnen. 20 Hektar Wald | |
| müssten dafür gerodet werden. | |
| „Wir wollen den Ort überlebensfähig machen“, erklärt Stadtsprecher Andre… | |
| Meling, anzutreffen im vielleicht schönsten deutschen Rathaus, auf das die | |
| Fachwerkstadt Wernigerode stolz ist. Obwohl ein Dutzend Kilometer entfernt, | |
| wurde Schierke 2009 nach Wernigerode eingemeindet. Aus eigener Kraft kann | |
| der Ort am Fuße des Brockens, dessen Einwohnerzahl seit dem Ende der DDR | |
| von 1.200 auf 580 gesunken ist, keine touristische Infrastruktur mehr | |
| entwickeln. Und von der ist Schierke fast vollständig abhängig. | |
| Immerhin 250.000 Übernachtungen hat der Ort – und das, obwohl die großen | |
| und noblen Hotels aus der Zeit, als Schierke noch das „St. Moritz des | |
| Nordens“ genannt wurde, kaum noch existieren. Das „Fürst zu Stolberg“ | |
| beispielsweise, in der DDR in „Heinrich Heine“ umbenannt, bietet ein Bild | |
| des Jammers und steht vor dem Abriss. | |
| „Wir brauchen neue touristische Angebote“, folgern der parteilose | |
| Oberbürgermeister Peter Gaffert, der früher den Nationalpark Harz leitete, | |
| und mit ihm eine große Mehrheit des Stadtrates. Aus dem unmittelbar am | |
| Ortsrand beginnenden Nationalpark waren schon in den 1990er Jahren | |
| vorsorglich 70 Hektar ausgegliedert worden, die mit 3.000 Hektar Zuwachs an | |
| anderer Stelle kompensiert wurden. | |
| ## Erlebniswelt, Streichelzoo, Monsterroller | |
| 2010 erstellte das Berliner Büro Eisentraut ein erstes | |
| Ortsentwicklungskonzept. Es ging und geht nicht nur um Wintersport, sondern | |
| angesichts der prekärer werdenden klimatischen Bedingungen um einen | |
| „Ganzjahreserlebnisbereich“. Stadtsprecher Meling sieht die künftige | |
| Seilbahn auch im Sommer in Betrieb. Der benachbarte Wurmberg bei Braunlage | |
| dient als Vorbild. Oben könnte dann das übliche Programm locken: | |
| Erlebniswelt, Streichelzoo, „Monsterroller“ zur Talfahrt. | |
| Grundlage für konkrete Planungen und die Mitte Dezember erfolgte | |
| überwältigende Zustimmung des Stadtrates ist das Konzept | |
| „Natürlich.Schierke“ der Firma „input“ aus Salzburg. Künstliche Besch… | |
| soll eine sieben Kilometer neue Piste am Großen Winterberg ermöglichen, auf | |
| den hinauf eine neue Seilbahn gebaut werden soll. Wie früher sollen dann | |
| die Tagesskifahrer aus Berlin oder Hannover, denen ein Alpenwochenende zu | |
| aufwändig ist, dann gen Schierke strömen. | |
| Nicht erst in diesem Nicht-Winter schüttelt man über das Vorhaben den Kopf. | |
| Auf dem Weihnachtsmarkt vor dem Wernigeroder Rathaus sprechen Besucher beim | |
| Glühwein von einer „Totgeburt“. Ein Nationalparkwächter, der gerade vom | |
| Winterberg kommt, kann über die geplante Wasserentnahme aus der Kalten Bode | |
| und über den Dauerlärm der Schneekanonen nur lachen. „Warum müssen wir, was | |
| noch da ist, auch noch kaputtmachen?“, fragt er dann ernster mit Blick auf | |
| den Wald und die betroffenen Schutzgebiete. | |
| ## Warnung vor „Verballermannisierung“ | |
| „Die Natur ist das wichtigste Kapital des Harzes“, warnt auch Friedhart | |
| Knolle vor der „Verballermannisierung“ des Erholungsgebietes. Der | |
| promovierte Geologe sitzt zwar in der Nationalparkverwaltung, spricht aber | |
| in diesem Fall für die Naturschutzorganisation BUND. Auch die „verzweifelte | |
| Reaktion“ der Stadt auf die Tourismusprobleme dürfe nicht zu einer | |
| Entwertung der Natur führen. Knolle sieht in dem Vorhaben einen | |
| Präzedenzfall, ob tatsächlich auf 20 Hektar mehrere Naturschutzgebiete | |
| umgangen oder herausgenommen werden können. Und er hält das Projekt für | |
| „ökologischen und betriebswirtschaftlichen Nonsens“. | |
| Doch Wernigerode hat im Frühjahr sogar einen Investor gefunden. Der | |
| 77-jährige Gerhard Bürger aus Hildesheim hätte am liebsten sofort | |
| losgelegt, ohne sich groß um Baurecht zu kümmern. So, wie er in den wilden | |
| Jahren nach 1990 mit der Errichtung von Baumärkten im Osten schnell | |
| Millionen verdiente. | |
| Projektmanager wie die Österreicher Klenkhart & Partner oder die Gutachter | |
| von Montenius Consult haben ihm bescheinigt, dass die 15 Millionen Euro | |
| nicht in den schneefreien Boden gesetzt wären. Angeblich gibt es beste | |
| Bedingungen in Schierke im Vergleich mit dem Sauerland oder Braunlage | |
| nebenan. Nordhang, mindestens 50 Beschneiungstage, mehr als 100 Tage | |
| Wintersaison. Und Braunlage hatte im letzten Winter bei spätem Beginn der | |
| Saison ein Rekordjahr von 111 Skitagen! | |
| ## Die Stadt geht kein Risiko ein | |
| Naturschutzverbände und die Grünen haben den Blick für die erforderlichen | |
| Umweltverträglichkeitsprüfungen bei der Planfeststellung geschärft. Ein | |
| erster sogenannter Scoping-Termin fand bereits Ende November statt. „Wir | |
| wollen rechtssichere Verfahren“, bekräftigt auch Meling. Vor einer | |
| abschließenden Klärung werde „nicht ein Baum gefällt“. Die Prüfung wird… | |
| ganze kommende Jahr benötigen. | |
| Ein „Null-Ergebnis“ erwartet die Stadt dabei nicht. Ein Risiko geht sie in | |
| keinem Fall ein. Investor Bürger trägt es, die zehn Millionen | |
| Erschließungskosten werden zu 90 Prozent vom Land gefördert. Das hat | |
| Wirtschaftsminister Hartmut Möllring (CDU) schriftlich zugesichert, ein | |
| Tennispartner von Investor Bürger. | |
| Aber auch an anderer Stelle ist für die Skiarena vorgearbeitet worden. | |
| „Beschneiungsanlagen werden für Sachsen-Anhalt nicht befürwortet“, stand | |
| noch 2010 in der Klimawandel-Anpassungsstrategie für Sachsen-Anhalt. In der | |
| Aktualisierung von 2013 ist dieser Satz nicht mehr zu finden, wie aus dem | |
| Umweltministerium zu erfahren ist. | |
| Die Schierke-Arena wäre nicht das erste fragwürdige Großprojekt, für das | |
| Sachsen-Anhalt großzügig Fördermittel spendete. In den Flughafen Cochstedt, | |
| der lange keinen Nutzer fand, flossen 45 Millionen Euro. Das Spaßbad in | |
| Suderode oder der Ausbau des Saalehafens Halle, den kaum noch ein Schiff | |
| erreicht, gelten als ähnliche Pleitenummern. Auch bei der insolventen | |
| Solarfirma Q-Cells flossen Millionen ins Leere. | |
| Naturschützer Knolle glaubt angesichts der Klimatrends auch an ein | |
| Scheitern der Skiarena: „Ich befürchte den Rückbau der Anlagen schon in | |
| wenigen Jahren!“ | |
| 28 Dec 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Bartsch | |
| ## TAGS | |
| Harz | |
| Tourismus | |
| Umweltschutz | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Klima | |
| Sachsen-Anhalt | |
| Ski | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Wintersport | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Klimawandel im Harz: Bis nur noch eine Pfütze bleibt | |
| Der Harz wird immer trockener. Früher folgten auf Dürresommer nasse Winter | |
| – nun fällt das ganze Jahr über zu wenig Wasser. | |
| Zukunft des Wintertourismus: „Schifahren muss leistbar werden“ | |
| Der klassische Schisport bleibt weiterhin attraktiv. Aber Regionen mit | |
| unterschiedlichen Angeboten für den Winter sind besser aufgestellt. | |
| Vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt: Der Wecker klingelt etwas später | |
| Schwierige Startbedingungen, Imageprobleme und auffallend viele Skandale: | |
| Frühaufsteherkampagnen retten Sachsen-Anhalt auch nicht. | |
| Skiförderung mit Schneekanonen: Am Riedberger Horn kracht es | |
| In Zeiten von Klimawandel, Erderwärmung und fehlendem Schnee setzen die | |
| Allgäu-Gemeinden auf mehr Pisten und Schneekanonen. | |
| Harzer rüsten Skigebiete auf: Quellwasser wird zu Kunstschnee | |
| Gemeinden im Harz bauen ihre Skigebiete aus. Das hat gravierende Folgen für | |
| die Natur. Außerdem werden die Winter immer wärmer. | |
| Wintersport in Deutschland: Weiße Träume | |
| Der Harz als deutsches St. Moritz – davon träumen Lokalpolitiker und | |
| Investoren. Doch was, wenn das Wetter nicht mitspielt? Dann rieselt | |
| Kunstschnee. | |
| Skitourismus-Offensive im Harz: Erlösung durch Kunstschnee | |
| Seit Jahren verliert die niedersächsische Seite des Harzes Touristen. Die | |
| Wende sollen neue Kunstschnee-Pisten auf dem Wurmberg bringen. |