# taz.de -- Der Erfolg der AfD: Geronnener Hass, verlorene Freiheit | |
> Die AfD beginnt sich zu etablieren. Schon vor ihrem Einzug in die | |
> Parlamente verschiebt sie die Debatte nach rechts. Fünf Thesen. | |
Bild: Gebietsansprüche inklusive? Die Fahne Niederschlesiens auf einer Afd-Kun… | |
Seit dem Sonntag wissen wir, was die AfD-Vizechefin Beatrix von Storch am | |
liebsten mit verzweifelten Familien machen würde, die die deutsche Grenze | |
überschreiten möchten: sie erschießen lassen. Storch hat diese Drohung | |
wenig später nicht etwa zurückgenommen, sondern präzisiert: Flüchtende | |
Eltern würde sie mit Waffengewalt stoppen lassen, aber nicht die Kinder. | |
Wie rücksichtsvoll. | |
Was ist das für eine Partei, deren Mitglieder einen Schießbefehl | |
befürworten? Ob trotz oder gerade wegen solcher Verbalradikalität: Die | |
Alternative für Deutschland etabliert sich gerade als rechtspopulistische | |
Kraft in Deutschland. Sie hat einen gewalttätigen Kern und arbeitet mit | |
einer perfiden Strategie. Der Alternative für Deutschland ist es schon | |
jetzt gelungen, den Diskurs nach rechts zu drehen. Und sie zerstört | |
Möglichkeiten für bisherige Koalitionen. | |
## 1. Die AfD ist gekommen, um zu bleiben | |
Lange schien die Bundesrepublik, geprägt von Nazi-Diktatur und Holocaust, | |
immun gegen Rechtspopulisten. Die NPD roch zu sehr nach Bomberjacke und | |
Hitlerverehrung. Wer sich zu ihr bekannte, musste mit gesellschaftlicher | |
Ächtung rechnen – von einigen Landstrichen in Ostdeutschland abgesehen. Die | |
Schill-Partei in Hamburg war eine Eintagsfliege. Stimmt, die Republikaner | |
saßen mal in Berlin und Baden-Württemberg im Parlament, lange her. | |
Die AfD ist jetzt schon erfolgreicher als alle Rechtspopulisten vor ihr. | |
Sie stellt ihren Fremdenhass nicht offen zur Schau, ihr Programm bleibt | |
diffus. So gibt sie die ideale Projektionsfläche für viele ab, die sich | |
eine andere Politik wünschen. Sie setzt auf weit verbreitete Europaskepsis | |
und wendet sich an all jene, denen Merkels sozialdemokratisierte CDU keine | |
Heimat mehr bietet. | |
Gleichzeitig versammelt die AfD die Verbitterten hinter sich, die | |
Pegidisten der Republik. Dass sie wie eine Eintagsfliege verschwindet, ist | |
unwahrscheinlich: Die AfD hat mit den Flüchtlingen das ideale | |
Mobilisierungsthema gefunden, es spült ihr auf nicht absehbare Zeit die | |
Verängstigten zu. Zudem kann sie sich aus der seit Jahren wachsenden Zahl | |
der Nichtwähler bedienen. In Sachsen, Brandenburg, Thüringen, Hamburg und | |
Bremen sitzt die AfD schon in den Parlamenten. Bei den Landtagswahlen im | |
März wird sie es mit Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt | |
in drei weitere Landtage schaffen, wahrscheinlich zweistellig. Das bedeutet | |
mehr Geld, mehr Mitarbeiter, professionellere Strukturen. Auch in den | |
Bundestag könnte die AfD nach jetzigem Stand 2017 einziehen – als erste | |
rechtspopulistische Partei seit Gründung der Bundesrepublik. | |
## 2. Die AfD hat einen gewalttätigen Kern | |
Der Tabubruch der AfD-Spitzenfrauen Frauke Petry und Storch mit ihren | |
Schusswaffensätzen war kein Zufall, sondern kühl kalkuliert. Die | |
AfD-Strategen testen seit Langem die Grenzen des demokratischen Diskurses | |
aus. Schon vor Monaten hatte Marcus Pretzell, AfD-Chef in | |
Nordrhein-Westfalen und Lebensgefährte Petrys, die Verteidigung der Grenzen | |
mit Waffengewalt als Ultima Ratio, als „Selbstverständlichkeit“ bezeichnet. | |
Aus Sicht der Partei waren auch Petrys und Storchs Sätze erfolgreich, weil | |
sie ein Maximum an Aufmerksamkeit produzierten. Die Öffentlichkeit geht auf | |
ihre Thesen ein, egal wie radikal diese sind. Wie verrückt ist das | |
eigentlich, wenn plötzlich seriöse Journalisten lange Texte recherchieren, | |
in denen steht, dass es juristisch so einfach dann doch nicht ist mit dem | |
Erschießen von Flüchtlingen? Wie angemessen ist es, wenn sich | |
Spitzenpolitiker aller Parteien an einer Gewaltfantasie rechter | |
Provokateure abarbeiten? So wird das, was nicht gesagt werden sollte, | |
plötzlich sagbar. Wenn man so will, tappt auch dieser Text in die | |
AfD-Falle. | |
Es gibt seit Längerem Belege dafür, dass Teile der AfD nach Gewalt lechzen. | |
Wer das nicht glauben will, sollte sich einige der Videos auf Youtube | |
anschauen, auf denen Thüringens AfD-Chef Björn Höcke vor aufgebrachten | |
Demonstranten in Erfurt spricht. Höcke, hell angestrahlt und von schräg | |
unten gefilmt, steht vor dem Nachthimmel, flankiert von Mitstreitern mit | |
harten Gesichtern und Deutschlandfahnen. Mal spricht er von 1.000 Jahren | |
Deutschland und einer „Invasion“ der Flüchtlinge, mal von „verbrauchten | |
Altparteien“, die dem Ansturm nichts entgegensetzten. Und er stellt sich | |
genüsslich vor, wie die Bundeskanzlerin vor ein ordentliches Gericht | |
gestellt wird. | |
Die Symbolik, die Rhetorik, all das sind wenig subtile Anspielungen auf den | |
Nationalsozialismus und seine Symbolik. AfD-Landeschef Höcke spielt dieses | |
Spiel bewusst. | |
Den Zuhörern steht der Hass ins Gesicht geschrieben, die Atmosphäre ist | |
gewaltgeladen – immer wieder sind bei diesen Veranstaltungen Journalisten | |
oder Gegendemonstranten körperlich angegriffen worden. Volksverräter, | |
Volksverräter, das skandieren die AfD-Demonstranten am liebsten. Aber was | |
hieße das, nähme man es ernst? Schließlich markiert dieses gebrüllte Wort | |
eine Grenze: Hier stehen wir, das Volk, das von Fremden bedroht wird. Da | |
stehen die Verräter, Angela Merkel vorneweg, aber auch alle anderen | |
demokratisch gewählten Politiker und ja, auch wir, ihre Wähler. | |
Volksverräter, das ist rechtsradikales Denken. Es erhebt einige wenige über | |
den Rest. Man fühlt sich verfolgt und bedroht, man ist entschlossen, sich | |
zu wehren. Was würden AfDler wie Höcke tun, wenn sie an der Macht wären? | |
Man weiß es nicht, zum Glück. Vielleicht die Opposition abschaffen, die | |
Lügenpresse mundtot machen, Volksverräter brandmarken. Die Frankfurter | |
Allgemeine Sonntagszeitung schrieb schon im November, rund um Pegida und | |
AfD habe sich „der Nukleus einer Bürgerkriegspartei gebildet“. Für diese | |
These spricht viel, leider. | |
## 3. Die AfD fährt eine perfide Strategie | |
Selbstverständlich ist die Höcke-AfD etwas ganz anderes als die Petry-AfD. | |
Die Chefin, die lächelnd in Talkshows sitzt und für die Drei-Kind-Familie | |
wirbt, will den Anschluss an die Mitte. Um dieses Ziel nicht zu gefährden, | |
hat sie sich in der Vergangenheit immer wieder von ihrem rechten | |
Parteifreund abgesetzt. Allein, es sind halbherzige Distanzierungen, denn | |
zu einem Parteiausschluss Höckes will sie sich dann doch nicht durchringen. | |
Die radikale AfD sammelt also mit ihrem 30er-Jahre-Jargon am rechten Rand | |
ein, was sie kann. Und die sanfte Petry-AfD tut gleichzeitig so, als | |
kümmere sie sich ausschließlich um die wahren Sorgen der Mitte. Wie gut | |
diese Ambivalenz funktioniert, zeigte sich bei der Wahl in Thüringen. Die | |
AfD gewann dort Nichtwähler für sich, aber auch viele Wähler der | |
etablierten Parteien, egal ob von CDU, SPD oder Linkspartei. | |
## 4. Die AfD vergiftet den Diskurs | |
Das Gift tröpfelt langsam aber sicher, die Schießbefehl-Fantasie war nur | |
ein besonders drastisches Beispiel. Die AfD setzt die anderen Parteien mit | |
ihren Provokationen unter Druck. Im Diskurs der Demokraten gibt es einen | |
neuen, bedrohlichen Unterton, der auf die Angst der Menschen zielt. | |
Der Diskurs in Deutschland bewegt sich in rasanter Geschwindigkeit nach | |
rechts. Die Bundeskanzlerin markiert inzwischen die linksliberale Position, | |
Grüne und SPD wagen es nicht mehr, progressivere Vorschläge zu machen. Die | |
Große Koalition hat in ihren Asylrechtsverschärfungen Dinge beschlossen, | |
die früher Petry, Höcke und Co. vorbehalten waren. Sie können ihren Wählern | |
inzwischen mit Recht sagen: AfD wirkt. | |
Die Nebenwirkungen des Gifts sind vielfältig. Um nur einige zu nennen: | |
Merkel fällt es immer schwerer, ihre Willkommenskultur zu verteidigen. Die | |
CSU wird sich weiter radikalisieren, weil sie um ihre Stammwähler fürchtet. | |
Optionen wie die einer schwarz-grünen Koalition 2017 verschwinden, weil die | |
Grünen nicht mit einer rechtsdrehenden CSU koalieren können. | |
## 5. Die AfD macht traditionelle Koalitionen unmöglich | |
Dieser Effekt ist ein rein mathematischer, er hat mit dem nationalistischen | |
Weltuntergangssound der AfD nur insofern zu tun, als dass keine andere | |
Partei zu einer Koalition mit ihr bereit ist. | |
Wenn eine neue Kraft mit rund zehn Prozentpunkten in Parlamente einzieht, | |
verhindert sie rechnerisch Zweierkoalitionen von einer Volkspartei mit | |
einem kleinen Partner. Die AfD in Parlamenten in Bund und Ländern, das | |
hieße kein Rot-Grün mehr. Auch Schwarz-Gelb, das Bündnis von Union und FDP, | |
wäre Vergangenheit. Stattdessen droht eine Verstetigung der Großen | |
Koalition. In einem Parlament mit sechs Playern – inklusive FDP und AfD – | |
hätte nur sie die nötige Mehrheit, wenn man von unwahrscheinlichen | |
Dreierbündnissen absieht. | |
So könnte die AfD unsere parlamentarische Demokratie in einer Weise | |
verändern, wie wir es uns noch nicht vorstellen können. Deshalb gehört sie | |
bekämpft, wo immer es geht. In den Parlamenten, mit Gegendemos auf der | |
Straße, mit allen Mitteln des Rechtsstaates. | |
3 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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