# taz.de -- Debatte Frauke Petry und die AfD: Wir lassen uns nicht hetzen | |
> Petry zündelt in der Diskurslücke. Die demokratische Öffentlichkeit muss | |
> der Hetzlawine jetzt endlich Argumente und Taten entgegensetzen. | |
Bild: Noch hat sie jeden Vorwurf, der an die AfD gerichtet wurde, weggewischt m… | |
Seit Wochen ist mitanzusehen, wie Frau Petry sich glatt durch eine Talkshow | |
nach der anderen aalt. Ganz gleich, welche Vorwürfe, vorgebrachte und | |
Einspieler, sie zu hören oder zu sehen bekommt, Frau Petry schaut, wie sie | |
schaut, den Kopf leicht geneigt, als hätte das alles nichts mit ihr zu tun. | |
Kritische Fragen sind grundsätzlich „Blödsinn“. Den erkennt sie vermutlich | |
deshalb so schnell, weil sie so häufig mit ihm Umgang pflegt. | |
Frau Petry war nun in Mannheim, also bei mir um die Ecke, und hat sich im | |
Frau-Petry-Sein selbst übertroffen. Jeder Nationalspieler käme nach so | |
einem Auftritt vom Feld und würde verschwitzt in die Kameras sagen: „Ich | |
war heute wieder überragend.“ Frau Petry war so überragend, dass am | |
nächsten Tag, vom Stern über die Zeit bis zum Spiegel, von Twitter zu | |
Facebook und bis an den Cafétisch, alle über ihre Sätze reden. Sie hat in | |
der Asylpolitik Waffengewalt an den Grenzen ins Spiel gebracht, die ersten | |
Medien analysieren nun die Paragrafen, auf die sie sich bezieht, manche | |
sind bestrebt, zu widerlegen, wie man es eben so kennt beim Argumentieren. | |
Doch das hier, das sollte nicht übergehen zu „business as usual“. | |
Denn Frau Petry argumentiert nicht, sie zündelt und wendet sich unschuldig | |
ab, wenn das Feuer entfacht ist. Es ist schwierig, beim Reden über Frau | |
Petry nicht so zynisch zu werden, wie sie selbst es ist, weil man | |
fassungslos vor so viel Unverfrorenheit steht. Noch hat sie jeden Vorwurf, | |
der an sie oder die AfD gerichtet wurde, weggewischt mit „Einzelfall“, | |
„Blödsinn“ und „Das hab ich nie gesagt“. Alle hetzerischen Aussagen, d… | |
Höcke, Storch, Pretzell oder andere von sich geben, sind laut Petry | |
Falschdarstellungen oder Einzelfälle. Wenn etwas unwiderlegbar ist, dann | |
räumt sie ein, man habe die Sache richtiggestellt. Sie, die ständig von | |
Verdrehung der Wahrheit spricht, muss sich bald wegen Meineids vor Gericht | |
verantworten, doch auch das wird sie als Einzelfall oder Missverständnis | |
abtun. | |
Was sie jedoch mit ihren Spielchen erreicht hat: Mit jedem rhetorischen | |
Einzelfall wurde ein neues Tabu gebrochen, mit jedem Einzelfall trug die | |
AfD dazu bei, den Diskurs von der Debatte einer pluralistischen | |
freiheitlichen Demokratie wegzubewegen zu einem homogenen deutschen | |
Traumstaat à la AfD. In dem sollte am besten jede Frau, die mindestens bis | |
in die 6. Generation keine ausländischen Vorfahren hat, wenigstens drei | |
deutsche Kinder in die Welt setzen, damit auch wirklich genug loyale | |
Blutsdeutsche da sind. | |
Es gibt derzeit eine große Lücke im Diskurs, die von der CSU stets per | |
Flanke an die AfD gespielt wird. Diese Diskurslücke ist, dass nicht über | |
Lösungsmöglichkeiten und die Transparenz der bereits stattfindenden | |
zahlreichen Maßnahmen geredet wird. Statt Vertrauen zu bilden, spaltet ein | |
Edmund Stoiber, indem er Merkel Spaltung vorwirft. Deutschland hat letztes | |
Jahr Europa vor einer humanitären Katastrophe bewahrt, indem es die | |
Menschen aufgenommen hat. Es muss Transparenz darüber hergestellt werden, | |
wie viele der derzeit ausgegeben Mittel letztlich zunächst einmal | |
Deutschland zugutekommen: Es ist erwiesenermaßen die deutsche Wirtschaft, | |
die durch die Ausgaben angekurbelt wird, es sind deutsche Stellen, die | |
Integrationskurse und Flüchtlingsunterkünfte schaffen. | |
## Den Schaden beheben | |
Wenn die Regierung nicht großzügig Mittel an privatwirtschaftliche Träger | |
vergeben würde, sondern mit staatlichen, mit kommunalen Maßnahmen aufwarten | |
könnte, gäbe es noch mehr Transparenz über die Effektivität, und mehr | |
Menschen wüssten, dass sie nun einer soliden Flüchtlingspolitik ihre Arbeit | |
verdanken. Die neuen Stellen in den Flüchtlingsunterkünften werden bislang | |
mit Einheimischen besetzt. Davon spricht kaum einer. Und während die | |
Staatsausgaben steigen, was die Wirtschaft ankurbelt, steigen gleichzeitig | |
die Privatausgaben im Wellnessbereich. Immer mehr Geld fließt in Massagen, | |
Yoga- und Entspannungskurse. So schlecht kann es allen nicht gehen, wenn | |
man, statt einfach zu schlafen, das ganze Entspannungstamtam auffahren | |
kann. | |
Merkel muss auch diese Menschen mobilisieren. Sie muss ihrem „Wir schaffen | |
das!“ endlich etwas folgen lassen. Der Flüchtlingsbeauftrage der Vereinten | |
Nationen erklärte bereits mehrfach, dass die Flüchtlinge sich auf den Weg | |
gemacht haben, weil internationale Mittel gekürzt wurden. Seit Dezember | |
2014 wurde die Lebensmittelhilfe des World Food Programme für mehr syrische | |
Flüchtlinge in den Nachbarländern drastisch gekürzt. Was die Situation dort | |
verschlimmert hat. Wenn die EU im Moment schon nicht für die Aufnahme der | |
Flüchtlinge zu gewinnen ist, müsste sie jetzt ein Maßnahmenpaket gemeinsam | |
mit den Vereinten Nationen schnüren. Und den Schaden, der durch die | |
Kürzungen entstanden ist, wieder beheben – womit man endlich auch die USA | |
mit am Tisch hätte. | |
Die Reduktion der Debatte auf die eigene kleine Grenze, die wir notfalls | |
mit Schüssen schützen können, muss verweigert werden. Von den | |
demokratischen Parteien ebenso wie von der Öffentlichkeit. So wie überhaupt | |
verhindert werden muss, dass die AfD die großen Themen setzen und bei jeder | |
menschenverachtenden Äußerung, mit der sie konfrontiert wird, sagen kann: | |
Das ist ein Einzelfall. | |
Wenn die AfD eine praktikable Lösung anbieten würde, wenn sie auch nur | |
einen liberalkonservativen Gedanken von sich geben würde! Aber das hier, | |
das ist die Verschiebung des öffentlichen Diskurses an den rechten Rand. | |
Und all jene, die sich an die Regeln des öffentlichen Diskurses, der | |
Argumentation und der Demokratie halten, sehen verdutzt zu und lassen diese | |
Hetzlawine ungestört über das Land ziehen. | |
Höcke ist kein Einzelfall. Storch, die bei Facebook schreibt, sie würde | |
auch auf Kinder schießen lassen, ist kein Einzelfall. Frau Petry, die immer | |
kalkuliert entlang der Grauzone des Missverständnisses kommuniziert und | |
dann mit der Empörung Politik macht, ist kein Einzelfall. Wir als | |
demokratische Gesellschaft müssten klüger sein. Viel klüger. Und diesen | |
Leuten klarmachen: Der Einzelfall, der uns interessiert, ist jener, der als | |
Asylantrag gestellt wird und nach geltendem Recht entschieden wird. Wir | |
lassen uns nicht hetzen. | |
1 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Jagoda Marinić | |
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