| # taz.de -- Kanzler Scholz zur Sicherheitslage: Zwischen Empathie und Härte | |
| > Kanzler Scholz fordert, islamistische Gewalttäter und deren Anhänger nach | |
| > Afghanistan und Syrien abzuschieben – und warnt vor Generalverdacht. | |
| Bild: Kanzler Olaf Scholz am 6. Juni bei seiner Regierungserklärung im Bundest… | |
| Berlin taz | Der Bogen war weit gespannt: In seiner Regierungserklärung zur | |
| Sicherheitslage im Bundestag am Donnerstagmorgen ging Bundeskanzler Olaf | |
| Scholz auf gleich drei Bedrohungen ein, die das Land gerade akut oder | |
| latent beschäftigen: [1][den tödlichen Messerangriff in Mannheim], das | |
| [2][Hochwasser in Süddeutschland] und den Krieg in der Ukraine. Ein Spagat, | |
| das sei vorweg gesagt, den Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) in dieser | |
| Breite nicht meisterte. | |
| Das tödliche Messerattentat am vergangenen Freitag in Mannheim, das ein | |
| junger Polizist nicht überlebte, bezeichnete Scholz als „Terror“. Und | |
| kündigte an, dass Straftäter und [3][Gefährder künftig auch nach | |
| Afghanistan] und Syrien abgeschoben werden sollen. „Es empört mich, wenn | |
| jemand schwerste Straftaten begeht, der hier bei uns Schutz gesucht hat“, | |
| so Scholz. „Solche Straftäter gehören abgeschoben – auch wenn sie aus | |
| Syrien oder Afghanistan stammen.“ | |
| Bislang sind Abschiebungen ausgesetzt, aufgrund der Sicherheitslage in | |
| beiden Ländern und wegen fehlender Kontakte und Abkommen mit dem | |
| Assad-Regime in Syrien und den Taliban in Afghanistan. Scholz sagte daher, | |
| man prüfe eine Zusammenarbeit mit Nachbarstaaten. | |
| Aber auch Menschen, die Terror verherrlichen, sollen künftig ausgewiesen | |
| werden können, kündigte Scholz an. Mehrere Videos rund um die Ereignisse in | |
| Mannheim werden aktuell breit im Netz geteilt und zum Teil gefeiert. Scholz | |
| gab sich entschlossen: „Wer Terrorismus verherrlicht, wendet sich gegen | |
| alle unsere Werte – und gehört abgeschoben.“ | |
| ## Umgang mit Islamisten? | |
| Das allerdings wird nur bei Menschen gehen, die nicht die deutsche | |
| Staatsbürgerschaft besitzen. Wie man härter mit deutschen Islamisten | |
| umgehen und islamistische Indoktrinierung stoppen und ihr besser vorbeugen | |
| will, dazu sagte Scholz nichts. | |
| Gleichzeitig nannte der Bundeskanzler es abwegig, die 20 Millionen | |
| Bürger:innen mit Einwanderungsgeschichte, die in Deutschland leben, | |
| „unter Generalverdacht“ zu stellen. Auch sie seien entsetzt über die | |
| Bluttat von Mannheim und würden nicht selten Opfer von Hetze und Gewalt. | |
| Im vergangen Jahr hat sich die Zahl der religiös motivierten Straftaten, | |
| das sind im Wesentlichen islamistische, auf 1.500 verdreifacht. Viel höher | |
| ist die Anzahl der rechtsextremen Straftaten, die auf rund 23.500 anstieg. | |
| Scholz lobte den Zusammenhalt und die [4][Solidarität im Kampf gegen die | |
| Fluten in Süddeutschland:] „Unser Land funktioniert“ – und zog eine dire… | |
| Verbindung zum Klimawandel. „Wenn solche extremen Wetterereignisse häufiger | |
| passieren – dann ist das nicht mehr nur ein Unglück – dann ist das ein | |
| Ergebnis des Klimawandels“, so Scholz. Der menschengemachte Klimawandel sei | |
| die größte globale Herausforderung, vor der man stehe. Es sind Sätze, die | |
| die [5][Hungerstreikenden vor dem Kanzleramt] aufhorchen lassen dürften. | |
| Aus den Bänken der AfD-Abgeordneten erntete er dagegen Gelächter und | |
| Zwischenrufe: „Als ob es da einen Zusammenhang gibt.“ Die AfD leugnet den | |
| menschlichen Einfluss auf Klimawandel. | |
| Die Schäden allein für die aktuelle Flutkatastrophe dürften erneut in die | |
| Milliardenhöhe gehen. Scholz versprach staatliche Hilfen, ließ aber offen, | |
| ob diese aus dem Haushalt kommen oder ob man unter Umgehung der | |
| Schuldenbremse einen Sondertopf einrichtet, wie 2021 nach der Flut im | |
| Ahrtal. Die Ampelregierung ist gerade in internen Haushaltsverhandlungen. | |
| Die Grünen fordern, die Schuldenbremse erneut zu lockern. | |
| Als er auf die dritte Großkrise einging, den russischem Krieg in der | |
| Ukraine, versuchte sich der Kanzler im Balanceakt. Einerseits wandte er | |
| sich an die Kritiker von Waffenlieferungen – „sich Sorgen zu machen, daran | |
| ist nichts Verwerfliches“. Andererseits verteidigte er die Entscheidung, | |
| man könnte es auch Kehrtwende nennen, [6][dass die Ukraine mit deutschen | |
| Waffen nun auch Ziele in Russland zerstören] dürfe. Russland greife etwa | |
| die Stadt Charkiw aus Stellungen im direkt angrenzenden russischen | |
| Grenzgebiet an, begründete Scholz seine Freigabe. „Um sich gegen solche | |
| Angriffe zu verteidigen, kann die Ukraine auch die von uns und unseren | |
| Verbündeten gelieferten Waffen einsetzen.“ | |
| Es war eine Rede zwischen Härte und Empathie, die wenig Angriffsfläche bot. | |
| ## Lob von Merz | |
| Dem Oppositionsführer und CDU-Fraktionschef Friedrich Merz, der auf Scholz | |
| antwortete, blieb zunächst nichts anderes übrig, als diesen zu loben: | |
| Scholz habe für die Trauer über den in Mannheim getöteten Polizisten die | |
| richtigen Worte gefunden. Im Übrigen konzentrierte sich Merz auf | |
| Detailkritik. Um Abschiebungen nach Afghanistan zu ermöglichen, müssten | |
| „technische Kontakte“ nach Afghanistan genutzt werden. Was nichts anderes | |
| bedeuten würde, als dass die Bundesregierung in diesem Punkt mit den | |
| Taliban kooperieren solle. | |
| In Deutschland drängte Merz auf ein noch schärferes Vorgehen gegen | |
| Islamismus, forderte etwa die die umgehende Schließung des Islamischen | |
| Zentrums in Hamburg, das er als „Brutstätte des Islamismus“ bezeichnete. | |
| Internetplattformen wie Tiktok müssten strenger kontrolliert, die | |
| Zusammenarbeit von Polizei und Nachrichtendiensten ausgebaut und | |
| IP-Adressen auf Vorrat gespeichert werden können. Letzteres quittierte | |
| SPD-Innenministerin Nancy Faeser auf der Regierungsbank mit deutlichem | |
| Nicken. Merz bot der Regierung in Sicherheitsfragen Zusammenarbeit an. | |
| Das Hochwasser in Süddeutschland, wo mittlerweile 6 Menschen gestorben | |
| sind, erwähnte Merz mit keinem Wort – was die Fraktionsvorsitzende der | |
| Grünen Britta Haßelmann auch scharf kritisierte. | |
| Haßelmann zeigte sich ebenfalls offen für die Abschiebung von Straftätern | |
| und Gefährdern. „Islamismus ist der Feind der Demokratie, er muss | |
| entschieden bekämpft werden“, so die Grünen-Politikerin. Menschen, die | |
| schwere Straftaten begehen, müssten nach Verbüßung der Strafe abgeschoben | |
| werden. | |
| Allerdings merkte sie an, dass Abschiebungen nach Afghanistan oder Syrien | |
| wohl nicht so einfach würden. Wie sollten Gespräche mit terroristischen | |
| Regimen laufen und welche Drittländer sollten sich bereit erklären, | |
| abgeschobene Gewalttäter aus Deutschland aufzunehmen? Berechtigte Fragen, | |
| auf die weder der Bundeskanzler noch sein zukünftiger Herausforderer | |
| Antworten lieferten. | |
| Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg (Grüne), | |
| warnt vor einer Zusammenarbeit mit den Taliban. „Die Taliban haben in | |
| Afghanistan seit 2021 ein menschenverachtendes Regime errichtet, unter dem | |
| besonders Frauen und Kinder leiden“, so Amtsberg zur taz. Es gebe keine | |
| Rechtsstaatlichkeit, die humanitäre Lage bleibe prekär. „Jede Ausweisung | |
| und jede Abschiebung nach Afghanistan erfordert eine Zusammenarbeit mit | |
| diesem islamistischen Terrorregime und damit quasi eine Anerkennung der | |
| Taliban. Die wäre aus meiner Sicht ein großer Fehler.“ | |
| Der Grüne Bundestagsabgeordnete Julian Pahlke bezeichnete Scholz’ Vorstoß | |
| als „realitätsfremd“ und juristisch nicht umsetzbar. Seehofer habe | |
| Abschiebungen nach Afghanistan mit der Begründung ausgesetzt, es sei dort | |
| weder für die Abzuschiebenden noch für die begleitende Bundespolizei | |
| sicher. „Das hat er nicht aus Humanismus gemacht, sondern weil Gerichte die | |
| Abschiebungen gekippt hätten“, so Pahlke zur taz. „So würde es jetzt wied… | |
| kommen.“ Der Umweg über Pakistan mache rechtlich keinen Unterschied, da es | |
| sich um eine Kettenabschiebung handle. „Es ist äußerst zweifelhaft, ob das | |
| nach deutschem Recht zulässig wäre.“ Pahlke sieht in den Abschiebeplänen | |
| vor allem eins: Wahlkampf. | |
| 6 Jun 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anna Lehmann | |
| Dinah Riese | |
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