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# taz.de -- Abschiebungen nach Afghanistan: Drum prüfe, wer abschieben will
> Die Debatte um Abschiebungen geht weiter. CDU-Innenminister fordert
> „Lagebild“ der Regierung. Aber was ist rechtlich überhaupt möglich?
Bild: Talibankämpfer bewachen Ende 2023 ein Flüchtlingslager an der pakistani…
Nach der [1][Messerattacke eines afghanischen Mannes in Mannheim vor zehn
Tagen], bei der ein Polizist starb, hält die politische Debatte um
Abschiebungen von straffällig geworden Asylbewerber*innen weiter an.
Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte am Sonntag, die Bundesregierung müsse
„Verhandlungen selbst mit den Taliban versuchen, um Abschiebungen nach
Afghanistan gerichtsfest zu machen“, wie er in einem Gastbeitrag in der
Bild am Sonntag schrieb. Die AfD hatte zuvor Ähnliches geforderte.
Aus der Union kamen indes Forderungen, Geflüchteten aus Afghanistan und
Syrien nicht mehr automatisch einen Schutzstatus zu gewähren. „Das Problem
ist, dass viele Menschen aus Afghanistan, aus Syrien kommen, gar kein
individuelles Asylverfahren mehr bekommen, sondern es gibt eine Art
Blankoscheck. Den sogenannten subsidiären Schutz“, sagte CSU-Chef Markus
Söder.
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) indes wies am Sonntag im Deutschlandfunk
die Forderungen zurück, mit dem afghanischen Taliban-Regime direkt über
Abschiebungen zu verhandeln. Stattdessen könne man „manches Bestehende
nutzen“. Faeser spielte damit auf Abschiebungen zunächst in afghanische
Nachbarländer wie Usbekistan oder Pakistan an.
Die Abschiebedebatte hatte an Fahrt aufgenommen, nachdem [2][Bundeskanzler
Olaf Scholz (SPD) am Donnerstag in einer Regierungserklärung] gesagt hatte:
„In solchen Fällen wiegt das Sicherheitsinteresse Deutschlands schwerer als
das Schutzinteresse des Täters.“ Aber was ist von dieser Ankündigung zu
halten und wie muss man die Rufe nach mehr Härte realpolitisch einordnen?
Für Syrer gab es ab 2012 einen generellen Abschiebestopp, der jährlich von
der Innenministerkonferenz verlängert wurde. Ende 2020 lief er aus. Für
Afghanen gab es nicht einmal nach der Machtübernahme der Taliban einen
generellen Abschiebestopp. Der damalige Innenminister Horst Seehofer (CSU)
hat 2021 nur die Unterstützung der Bundespolizei für Abschiebungen der
Länder nach Afghanistan aus Sicherheitsgründen „ausgesetzt“. Gerichte
müssen im Einzelfall prüfen, ob den Betroffenen in Afghanistan Tod, Folter
oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen.
Seitdem die Taliban den afghanischen Bürgerkrieg im August 2021 beendet
haben, hat sich die Sicherheitslage unter ihnen verbessert. Ein Problem ist
allerdings der Zusammenbruch der Wirtschaft. Wer in Afghanistan keine
persönlichen Netzwerke hat, droht zu verelenden, was die Menschenwürde
verletzt.
Die Gerichte orientieren sich bei ihren Abwägungen auch an
Lageeinschätzungen des Auswärtigen Amts von Außenministerin Annalena
Baerbock (Grüne). Die Landesinnenminister drängen sie schon seit Monaten,
Entwarnung für Abschiebungen nach Afghanistan zu geben. Bisher verweist das
Auswärtige Amt aber auf drastische Menschenrechtsverletzungen unter den
Taliban, außerdem sei etwa die Hälfte der 41 Millionen Einwohner
Afghanistans auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) sagte am Wochenende,
er erwarte von der Bundesregierung bis zur nächsten Innenministerkonferenz
ein Lagebild über mögliche sichere Gebiete in Afghanistan und Syrien. Die
nächste Innenministerkonferenz findet vom 19. bis zum 21. Juni in Berlin
statt.
„Wer bei uns islamistische Straftaten begeht, bedarf keines Schutzes vor
islamistischen Regimen“, sagte FDP-Fraktionsvize Johannes Dürr im
Bundestag. Fakt ist aber: Anhänger des „Islamischen Staats“ (IS), der in
Afghanistan in Konkurrenz zu den Taliban steht, haben dort mit Haft und
Folter zu rechnen, ergab eine Analyse der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Ausgerechnet gefährliche Islamisten sind also, mit Blick auf Afghanistan,
besonders vor Abschiebung geschützt.
## Keine Landegenehmigungen in Kabul
Der wichtigste Grund, warum derzeit nicht nach Afghanistan abgeschoben
wird, sind die praktischen Probleme: Für Abschiebeflüge sind
Landegenehmigungen erforderlich. Die gibt es nicht, da Deutschland, wie
fast alle Staaten, die Taliban nicht als rechtmäßige Regierung anerkennt.
Würde Deutschland direkt mit den Taliban über Abschiebungen verhandeln –
was diese sicher propagandistisch zu nutzen wüssten –, würde sich
Deutschland außenpolitisch isolieren.
Kanzler Scholz verwies daher auf einen anderen Weg, den Innenministerin
Faeser schon seit Monaten zu realisieren versucht. Afghanische Straftäter
sollen in Nachbarländer Afghanistans ausgeflogen und von dort nach
Afghanistan verbracht werden. Diese Verhandlungen sind allerdings
traditionell schwierig. Vor Gericht müsste Faeser außerdem darlegen, wie
auf diesem Weg der Schutz der Abzuschiebenden vor Tod, Folter und
Verelendung gewährleistet werden kann.
Sofort abgeschoben würde ein verurteilter Straftäter ohnehin nicht.
Mindestens die Hälfte der Strafe muss in der Regel verbüßt werden. Der
Mann, der in Mannheim den Polizisten erstach, kam als minderjähriger
Flüchtling nach Deutschland. Er hat ein Aufenthaltsrecht bis 2026, weil er
2019 eine deutsche Staatsangehörige heiratete, mit der er zwei Kinder hat.
Im Fall einer Verurteilung dürfte sein Aufenthaltstitel nicht verlängert
werden. (mit dpa)
9 Jun 2024
## LINKS
[1] /Toedliche-Attacke-in-Mannheim/!6012980
[2] /Kanzler-Scholz-zur-Sicherheitslage/!6015599
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Schwerpunkt Afghanistan
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