# taz.de -- Judenhass im Fußball vor 1933: Vorspiel zur Schoa | |
> Schon bevor Hitler an die Macht kam, war im Fußball der Antisemitismus | |
> verbreitet. Und es gab jüdische Selbstbehauptung. | |
Bild: Nürnberger Fans erinnern an Jenö Konrad | |
„Als der Artikel im Stürmer erschien, haben meine Eltern sofort | |
beschlossen, Nürnberg zu verlassen.“ Evelyn Konrad, heute 87 Jahre alt, ist | |
die Tochter von Jenö Konrad, im Jahr 1932 der Cheftrainer des Club. „Der 1. | |
Fußballklub Nürnberg geht am Juden zu Grunde“, hatte das Hetzblatt der | |
Nazipartei geschrieben. | |
Zwei Jahre lang trainierte der aus Ungarn stammende Jenö Konrad, früherer | |
Weltklassespieler bei MTK Budapest und dem Wiener Amateur SV, das spätere | |
Austria, die Nürnberger. Als sein Team gegen Bayern München 0:2 verlor – | |
ein Klub, den sein Bruder Kálmán von 1928 bis 1930 trainiert hatte, schrieb | |
der Stürmer: „Konrad kann wohl seinen Riesengehalt einstecken, aber den | |
Klub zum Siege führen, das bringt der Jude nicht fertig.“ | |
Die Drohung kam an, die Familie Konrad verließ Deutschland. „Mein Vater | |
schrieb noch einen eleganten Brief an den 1. FC Nürnberg, in dem stand, | |
dass er den Club nicht durch seine Anwesenheit schaden möchte“, erinnert | |
sich seine Tochter. Am nächsten Morgen kamen einige Vorstandsmitglieder zum | |
Bahnhof, um den Trainer zu verabschieden, ein Strauss Rosen wurde | |
überreicht. Der Stürmer titelte: „Jud Konrad ist abgedampft“, und warf dem | |
Club noch vor, den „Abzug seines beschnittenen ‚Trainers‘“ genehmigt zu | |
haben. Nie zuvor war in der Nürnberger Presse die Rede davon gewesen, dass | |
Konrad Jude war, auch im Stürmer nicht. | |
## Nürnberg, 1932 | |
Bernd Siegler, Clubhistoriker und Kurator des FCN-Museums, hat die | |
Meldekartei der Stadt Nürnberg durchgeschaut, wo Jenö Konrad als „isr“, | |
seine Frau Grete als „mos“ geführt wurden – israelitisch beziehungsweise | |
mosaisch. „Da könnten die Nazis einen Tipp bekommen haben“, sagt Siegler. | |
Den einzigen Hinweis, den es in der Sportpresse gab, dass Jenö Jude ist, | |
fand Siegler in der österreichischen Presse, durchaus mit antisemitischen | |
Untertönen. Einmal, 1924, wurden etwa Konrads „Nebenverdienste in der | |
Börse“ angegriffen. | |
Der Holocaust hatte eine Vorgeschichte im Sport. Allerdings fand | |
Antisemitismus nur bei Skandalen, wie den Angriffen auf Jenö Konrad, | |
Erwähnung. „Bis in die letzten Jahre der Republik hinein stießen Juden, die | |
sich in deutschen Sportvereinen betätigten, nur auf wenige Hindernisse“, | |
schreibt der Historiker Jabob Borut. „Diese Hindernisse gab es jedoch, und | |
persönliche Zeugnisse geben Grund zu der Annahme, dass Antisemitismus | |
weiter verbreitet war, als die schriftlichen Quellen annehmen lassen.“ | |
In der Geschichte des Berliner Vereins Tennis Borussia etwa, der sich nicht | |
konfessionell verstand, in dem aber etliche Juden aktiv waren, finden sich | |
immer wieder Hinweise auf antisemitische Angriffe. Im September 1924 wird | |
in der Vereinszeitung von einem „bisher in Berlin noch nicht gehörten | |
Sportsruf auf unsere Mannschaft“ berichtet, wie der Historiker Jan Buschbom | |
herausgefunden hat. Mit ziemlicher Sicherheit ein Hinweis auf Judenhass. | |
## Berlin, 1924 | |
Fähnchen hatte Hertha BSC verteilt, an diesem Samstag. Die Zuschauer, die | |
sich im Stadion an der Millionenbrücke am Bahnhof Gesundbrunnen im Wedding | |
ein Freundschaftsspiel des Berliner Clubs anschauen wollten, nahmen das | |
Geschenk gerne an. Gegner war Hakoah Wien, „eine ausgezeichnete | |
Kombinationsmannschaft, die auch gutes Schussvermögen besitzt“, wie der | |
Berliner Lokal-Anzeiger ankündigte. | |
Die Berliner, die sich auf mehreren Positionen verstärkt hatten, gewannen | |
überraschend 4:3. „Hertha kann sich rühmen, die sehr spielstarke Elf von | |
Hakoah besiegt zu haben“, lobte die Berliner Morgenpost am nächsten Tag. | |
„Das Spiel wurde in einem Höllentempo durchgeführt.“ Ein Foulelfmeter kurz | |
vor Schluss sorgte für den Berliner Sieg. | |
Sechs Wochen zuvor war der jüdische Weltklasseverein aus Österreich schon | |
mal in Berlin gewesen. Da hatten sie gegen Tennis Borussia gespielt, ein | |
für TeBe sensationelles 3:3 war der Endstand. Die Morgenpost lobte die | |
Wiener Gäste: „Sie zeigten uns nach langer Zeit wirklich mal wieder | |
erstklassigen Fußballsport, der bei uns schon selten geworden ist.“ Und die | |
B.Z. am Mittag urteilte: „Man muss es der Leitung von Tennis Borussia hoch | |
anrechnen, dass sie uns gestern mit der Verpflichtung der sympathischen | |
Wiener Elf einen solchen Genuss bereitete.“ | |
Einer der jugendlichen Fans, die sich Hakoah in Berlin auf keinen Fall | |
entgehen lassen wollten, war Eric Gumpert. „Als die Hakoahner mit dem Magen | |
David auf der Brust auf den Sportplatz liefen, hüpfte mein Herz vor Freude | |
und Stolz, ein Jude zu sein“, schreibt Gumpert in einem Erinnerungsaufsatz. | |
Der Auftritt der Wiener Spitzenkicker führte zur Gründung von Hakoah | |
Berlin. „Sie kamen von überall, besonders von den jüdischen Schulen,“ | |
schrieb Gumpert. „In vier Wochen hatten wir etwa 400 Mitglieder.“ Der | |
Bedarf war groß. | |
Im Oktober 1924 hatte Hakoah Berlin schon vier Männerteams, zwei Junioren-, | |
eine Jugend- und eine Schülermannschaft. „Wir brauchten auch starke | |
Männer“, heißt es bei Gumpert, „wenn wir in den kleineren Ortschaften | |
spielten, und oft mit Erfolg, wurden wir von Antisemiten angegriffen“. | |
Jüdische Vereine, die sich gegen judenfeindliche Tendenzen im übrigen Sport | |
gegründet hatten, mussten um ihre Anerkennung kämpfen. „Die ersten Klubs, | |
die sich vor oder kurz nach dem Ersten Weltkrieg gründeten, wurden | |
anscheinend noch problemlos in die Regionalorganisationen des DFB | |
aufgenommen“, schreiben die Sporthistoriker Lorenz Peiffer und Henry | |
Wahlig. | |
Anfang der zwanziger Jahre hatte der DFB allerdings bestimmt, dass seine | |
Mitgliedsvereine offen für Angehörige aller Konfessionen sein müssen. | |
„Dadurch waren jüdische Klubs wie BK Leipzig oder Schild Frankfurt fortan | |
gezwungen, ihre Statuten entsprechend zu ändern bzw. die Fußballabteilungen | |
in eigene Vereine mit separaten Satzungen auszugliedern.“ Immer weniger | |
jüdische Vereine wurden in den DFB aufgenommen. Die meisten Teams schlossen | |
sich der Arbeitersportbewegung an, die seit 1919 eigene | |
Fußballmeisterschaften austrug. | |
## Berlin, 2015 | |
„Ich stech' dich ab“, mussten sich die Spieler von TuS Makkabi Berlin | |
anhören. Mit 2:0 führten sie auf eigenem Platz. Es ist die dritte | |
Mannschaft des jüdischen Sportvereins Makkabi, sie spielt in der | |
Kreisklasse C, Berlins niedrigster Liga. Gegner ist der 1. FC Neukölln, ein | |
Makkabi-Spieler wird mit einem Faustschlag angegriffen. Der Schiedsrichter | |
bricht in der Nachspielzeit die Partie ab. Die Makkabi-Kicker laufen in die | |
Kabine. Eine Zuschauerin informiert sie, dass sie besser darin bleiben | |
sollen. Die Neuköllner, von denen ein Spieler demonstrativ ein T-Shirt mit | |
dem Aufdruck „I love Palestine“ tragen soll, haben sich vor der Kabinentür | |
aufgebaut. Es dauert eine geraume Zeit, bis sich die Makkabi-Spieler hinaus | |
wagen können. Auf ihrem eigenen Platz, der Julius-Hirsch-Sportanlage im | |
Berliner Westend. | |
## Essen, 1924 | |
1923 hatte sich Hakoah Essen gegründet, im Ruhrgebiet der erste jüdische | |
Verein. Grund waren Schmähungen innerhalb der ohnehin antisemitisch | |
geprägten Deutschen Turnerschaft gewesen. Fußball wurde sofort gespielt, | |
aber es waren nur Freundschaftsspiele – gegen jüdische und gegen | |
nichtjüdische Vereine. | |
Im Juni 1924 beantragte Hakoah Essen die Aufnahme in den Westdeutschen | |
Spiel-Verband. Die Ablehnung war fadenscheinig, es war von | |
„augenblicklicher Überfüllung der Essener Spielklassen“ die Rede. Bei | |
Hakoah war man empört: „Man will uns keine Gelegenheit gegen, zu zeigen, | |
das wir ebenbürtiges zu leisten im Stande sind“, heißt es in der | |
Vereinzeitung. „Nur weil wir ein Verein mit Mitgliedern jüdischen Glaubens | |
sind, hat man uns abgelehnt.“ | |
Am 26. April 1925 wurde auf Initiative von Hakoah Essen VINTUS gegründet, | |
der „Verband jüdisch-neutraler Turn- und Sportvereine“. 18 Klubs gehören | |
ihm an, acht Vereine tun sich zu einer eigenen Fußballliga zusammen, der | |
ersten jüdischen Liga auf deutschem Boden. Das Projekt ist erfolgreich, es | |
gibt in der Saison 1926/27 schon zwei parallel laufende VINTUS-Ligen: | |
Ruhrkreis und Rheinkreis mit insgesamt zwölf Vereinen. Bis Anfang der | |
dreißiger Jahre trugen Klubs wie JTV Köln 02, Hakoah Bochum, JJV Buer, ITUS | |
Herne, Makkabi Düsseldorf oder RjF Krefeld Freundschaftsspiele gegen | |
nichtjüdische Vereine aus. | |
## Nürnberg, 1932 | |
Familie Konrad ging nach Wien, dann Rumänien, wieder Österreich, Italien, | |
Frankreich, Portugal, später emigrierten sie nach Amerika. Ein Angebot, | |
Trainer in Uruguay zu werden, lehnte die Familie ab, denn dafür hätten sie | |
zum Katholizismus konvertieren müssen. „Meine Mutter hat mich gelehrt, dass | |
es durchaus ehrbar ist, zu konvertieren – weil man etwas anderes glaubt | |
oder aus Liebe“, sagt Evelyn Konrad. „Aber doch nicht für ein Unternehmen | |
oder die Karriere!“ Sie schildert ihren Vater als einen „Mann des 19. | |
Jahrhunderts“, er sei sehr belesen gewesen, habe sich als Rationalist | |
verstanden, vertraut mit Kants Philosophie. | |
Nie habe sich Jenö Konrad vorstellen können, was nach seiner Abreise 1932 | |
in Deutschland passieren würde. „Es war meine Mutter, der das alles | |
verdächtig war und, wie sich herausstellte, waren ihre Befürchtungen | |
realistisch.“ Jenö Konrad blieb dem 1. FC Nürnberg verbunden, 1952 und 1955 | |
schrieb er aus den USA an seinen alten Verein, 1978 starb er. Am 9. Juni | |
wird am Staatstheater Nürnberg das Stück „Linker Läufer (Erster sein)“ �… | |
das Leben Jenö Konrads aufgeführt. Evelyn Konrad will anreisen. | |
21 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Martin Krauss | |
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