# taz.de -- Fußball und Nationalsozialismus: Beim Club im Keller | |
> Mit Gespür für die Biografien verbannter jüdischer Vereinsmitglieder | |
> arbeitet Bernd Siegler die Geschichte des 1. FC Nürnberg im NS-Regime | |
> auf. | |
Bild: Club-Fans erinnern an den jüdischen Trainer Jenö Konrad, den die Nazis … | |
Es sind 15 verstaubte Kartons. Sie sind der Ursprung des dicken Buches, das | |
der langjährige taz-Redakteur Bernd Siegler soeben unter dem Titel „Heulen | |
mit den Wölfen“ veröffentlicht hat. Jahrzehntelang hatten sie in einem | |
abgelegenen Kellerraum des Vereinsgeländes gelegen. Dann fand sie der | |
Hausmeister, der prompt Siegler anrief – ein Glücksfall, der bei vielen | |
Profivereinen nie eintrat, wo zum Teil komplette Vereinsarchive bei Umzügen | |
weggeworfen wurden, sodass vielerorts noch heute die Vereinsgeschichte in | |
der [1][NS-Zeit] weitgehend unerforscht ist. | |
Das war bis vor Kurzem auch in [2][Nürnberg] so. Doch in den Kartons am | |
Valznerweiher fand Siegler die Mitgliederkartei der Jahre von 1928 bis | |
1955, darunter auch diejenigen der 142 jüdischen Vereinsangehörigen, die | |
der FCN 1933 [3][ausschloss]. Mit seinem Buch setzt Siegler das Vorhaben | |
um, „den bislang namenlosen und unbekannten jüdischen Mitgliedern des Clubs | |
eine Geschichte und ein Gesicht zu geben“. Die Einzelporträts machen dabei | |
den Hauptteil aus, doch sie sind dankenswerterweise in ihren historischen | |
Kontext eingebettet, dem etwa ein Viertel des Buches gewidmet ist. Auch für | |
Leser ohne profundere Vorkenntnisse ist das Buch daher lohnend. | |
Der FCN jedenfalls machte sich bereits drei Monate nach der sogenannten | |
Machtergreifung daran, die jüdischen Mitglieder hinauszuwerfen. Am 27. | |
April 1933 wurde deren Ausschluss beschlossen, drei Tage später war er | |
vollzogen – offenbar mit tatkräftiger Unterstützung aus dem Rathaus, das | |
die nötigen Daten geliefert haben muss. Schließlich war die Religion der | |
Mitglieder auf den Karteikarten nicht verzeichnet. | |
In einigen Fällen beschränken sich die Geschichten der 142 Jüdinnen und | |
Juden auf einen grobkörnigen Lebenslauf, in weitaus mehr Fällen bekommt man | |
beim Lesen ein Gefühl für die Person und damit für die Tragödien, die der | |
NS-Rassenwahn schuf. Anrührend ist die Geschichte von Werner Gruber, Sohn | |
eines evangelischen Vaters und einer jüdischen Mutter, der, wie er selbst | |
sagt, „als Junge keine Ahnung hatte, wer ein Jude war und wer nicht“, als | |
16-Jähriger von Hamburg aus nach New York geschickt wurde und zeitlebens | |
nicht verstand, was nicht zu verstehen ist: „Es war so schockierend für | |
mich, ich war so jung, so unschuldig.“ Das war auch Walter Seefried | |
Rothschild, der als Frontsoldat 1944 auf Heimaturlaub verhaftet und nach | |
Buchenwald deportiert wurde. Er kehrte nach Franken zurück, enthielt für | |
jeden Tag im KZ fünf Euro Haftentschädigung und verfolgte nach 1945 die | |
Spiele seines Lieblingsvereins. „Nach den Heimspielen kam er vollkommen | |
heiser nach Hause“, erinnert sich seine Tochter. | |
Als eine von 32 Frauen wird Gerda Schloss vorgestellt, die an jenem 30. | |
April als Schülerin aus der Schwimmabteilung geworfen wurde, später nach | |
Palästina emigrierte und sich dort am Aufbau eines sozialistischen | |
jüdischen Staates beteiligen wollte. Schloss, die nun Chaya Arbel hieß, | |
starb 2006 als eine der berühmtesten Komponistinnen Israels. | |
Bis sich der Fußball endlich mit seiner Vergangenheit zu beschäftigen | |
begann, dauerte es gut zwanzig Jahre länger als in anderen | |
gesellschaftlichen Bereichen. Insofern ist es ebenso selbstverständlich wie | |
erfreulich, wie eindeutig und stringent sich FCN-Geschäftsführer Niels | |
Rossow heute zur Vergangenheit des Vereins äußert: Der Club habe | |
„Schreckliches getan und Schuld auf sich geladen“, sagt er. Das Buch treffe | |
den Verein „im Innersten“. | |
Alle damals ausgeschlossenen jüdischen Vereinsmitglieder sind mittlerweile | |
gestorben. Der FCN, der bei Sieglers Buch als Herausgeber fungiert, hat sie | |
nun posthum wieder aufgenommen. | |
5 Feb 2023 | |
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## AUTOREN | |
Christoph Ruf | |
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