# taz.de -- Sportplätze als NS-Zwangsarbeitslager: Ort des Jubels und des Unre… | |
> In Osnabrück geht ein neues Forschungsprojekt an den Start: Es soll über | |
> Zwangsarbeitslager auf Fußball- und Sportplätzen informieren. | |
Bild: Großer Zuschauerandrang: Fußballspiel in Osnabrück Anfang der 1920er | |
OSNABRÜCK taz | Wer sich eine Luftaufnahme von Osnabrück ansieht, findet | |
das Werksgelände von KME ziemlich schnell. Es ist riesig, fast ein eigener | |
Stadtteil. Halle reiht sich an Halle, auf über 50 Hektar. Kupfer und | |
Kupferlegierungen produziert das Unternehmen, im Weltmaßstab. | |
Das NS-Zwangsarbeitslager „Gartlage“, das sich ab 1942 hier befand, sieht | |
man hingegen nicht. Bis zu 1.300 Menschen aus der Sowjetunion wurden hier | |
gefangen gehalten, Männer, Frauen und Kinder. Sie lebten in 16 | |
Holzbaracken. Vor einiger Zeit hat KME die letzte dieser Baracken | |
abgerissen. [1][Eine Gedenktafel] sucht man vergebens. | |
Auch in der Rubrik „Historie“ auf seiner Webseite schweigt sich KME über | |
die NS-Zeit aus. Nichts über die Menschen, die hier zu Zählappellen | |
antreten mussten, an verdorbenen Lebensmitteln starben. Nichts über die | |
drangvolle Enge, über das Antreten im Morgengrauen, über die | |
Zwölf-Stunden-Schichten. Nichts über die einstige Topografie des Terrors | |
mit ihrem Stacheldraht, ihren Wachen. | |
Aber das ändert sich jetzt. Und das hat mit dem Sport zu tun. Genauer | |
gesagt: [2][mit dem Fußball.] Denn das Lager „Gartlage“ ist die | |
Initialzündung des mehrjährigen Forschungs- und Bildungsprojekts „Von einem | |
Ort des Jubels zu einem Ort des Unrechts. Zwangsarbeitslager auf Fußball- | |
und Sportplätzen“ des Osnabrücker Gedenkstätten-Ensembles „Gestapokeller… | |
und „Augustaschacht“. | |
## Wissenschaftlich bisher kaum bearbeitet | |
Ein fünfköpfiges Projektteam nimmt dafür ganz Deutschland in den Blick, | |
dazu Österreich. „Es gab viele Orte, an denen Sportplätze zu | |
Zwangsarbeitslagern wurden“, sagt Michael Gander, Leiter von | |
„Gestapokeller“ und „Augustaschacht“. „Das ist ein Feld, das | |
wissenschaftlich bisher kaum bearbeitet ist.“ | |
Sportplatz-Umnutzungen waren keine Einzelfälle im System der | |
NS-Zwangsarbeit. „Das war ein bedeutender Teil“, sagt Gander. Jetzt geht | |
sein Team daran, „regionales Lernen“ zu initiieren, ein Bewusstsein zu | |
schaffen für das Vergessene und Verdrängte. Gander baut dafür auf | |
Partizipation, auf lokale Rechercheure aus der Fanszene, aus | |
Bürgervereinen, die „Wissen zusammentragen“. | |
Sportler:in muss man dazu nicht unbedingt sein, auch kein | |
Vereinsmitglied, aber Affinität zum Sport, speziell zum Fußball, hilft | |
natürlich. Das Ziel beschreibt Gander so: „Wir setzen bleibende Zeichen der | |
Erinnerung, im digitalen Raum und an den Lagerstandorten selbst.“ | |
Eine Webseite soll entstehen, mit einer interaktiven Karte, über die | |
Zeitzeugeninterviews abgerufen werden können, Fotos, Dokumente. | |
Gedenktafeln vor Ort sollen errichtet werden, zudem entsteht | |
Bildungsmaterial. Es ist ein Projekt, das fast eine halbe Million Euro | |
Fördergelder im Rücken hat, getragen von der Berliner Stiftung Erinnerung, | |
Verantwortung und Zukunft (EVZ) und dem Bundesministerium der Finanzen. | |
## Klare Kante gegen Rechte | |
„Unsichtbares wird dadurch sichtbar“, sagt EVZ-Vorstand Jakob Meyer. Dass | |
der Fußball eine tragende Rolle spielt, findet er hilfreich: „Fußball ist | |
für viele Menschen anschlussfähig. Wir spielen damit den Ball in Richtung | |
einer neuen Zielgruppe.“ | |
Während er das so sagt, schaut er auf die Exponate des Museums des VfL | |
Osnabrück. Hier, oberhalb der Nordtribüne des Stadions „Bremer Brücke“, | |
fand jüngst die Präsentation von „Von einem Ort des Jubels zu einem Ort des | |
Unrechts“ statt. | |
Auch der legendäre 3:0-Sieg gegen den Deutschen Meister Hannover 96 – | |
Anfang 1939 war das, vor 18.000 Zuschauer:innen – ist hier noch | |
dokumentiert. Das Spiel fand auf einem Sportplatz statt, den die KME, die | |
damals noch „Osnabrücker Kupfer- und Drahtwerk“ (OKD) hieß, ein paar Jahre | |
später vom VfL übernahm – und für das Lager „Gartlage“ nutzte. | |
Der VfL, der dafür bekannt ist, gegen Rechte klare Kante zu zeigen, | |
arbeitet in Ganders Projekt also auch seine eigene Vergangenheit auf. Sein | |
Verein sei „wirklich stolz“, den Auftakt des Projekts zu bilden, sagt | |
Holger Elixmann, Präsident des VfL. „Wir unterstützen das, wo immer wir | |
können.“ Das Zwangsarbeiterlager „Gartlage“ nennt der VfL zu Recht ein | |
„heißes Eisen der Stadt“. Rund 100 solcher Lager gab es in NS-Zeiten in | |
Osnabrück. Die „Bremer Brücke“ ist vom einstigen Lager nur ein paar | |
Gehminuten entfernt. Bei dessen Erforschung hilft heute das VfL-interne | |
Bündnis „Tradition lebt von Erinnerung“. | |
## Entwürdigende „Entschädigung“ | |
Antonina Vasilijewna Sidoruk, eine Überlebende des Lagers, ist bei der | |
Präsentation des Projekts aus der Ukraine zugeschaltet, per Zoom. 1942 | |
wurde sie nach Osnabrück gebracht, 14 Jahre alt war sie damals. Drei Jahre | |
hat sie im Lager gelebt. | |
Sie erzählt von langen Märschen zu den Teuto-Metallwerken am Osnabrücker | |
Limberg, wo OKD Munition für die Wehrmacht produzierte. Sie erzählt von | |
Bombenangriffen, von Bränden im Lager, von Menschen, die an Nässe und | |
Unterkühlung starben, von Menschen, die erschlagen wurden, weil sie morgens | |
nicht rechtzeitig wach wurden. Sie erzählt von Essenspaketen aus der | |
Heimat. Sie erzählt von den entwürdigenden 260 D-Mark „Entschädigung“, d… | |
sie für all das Leid bekommen hat. | |
Dass ihr Lager auf dem [3][Gelände eines Sportplatzes] lag, war Sidoruk | |
nicht bewusst. „Von einem Ort des Jubels zu einem Ort des Unrechts“ | |
unterstützt sie nun als Zeitzeugin. „Die Menschen müssen begreifen, wie | |
wichtig es ist, in Frieden zu leben“, sagt sie, während um sie herum wieder | |
Krieg herrscht. „Wir müssen aus der Geschichte lernen!“ | |
Das Projekt, obwohl gerade erst gestartet, hat schon Erfolge: „Wir haben | |
dadurch von vielen Orten erfahren“, sagt Julian Krings, im Team zuständig | |
für den Bereich Recherche. „Das zieht sich von Köln bis Wien.“ | |
Vielleicht lernt ja auch KME was. „Wichtig wäre, dort Grabungen | |
durchzuführen, wo einst das Lager stand“, sagt Gander. „Vielleicht finden | |
sich ja noch Relikte.“ Für die Projektgedenktafel zieht er aber einen | |
Standort außerhalb des heutigen Werksgeländes vor: „Die da drinnen zu | |
verstecken, nützt ja niemandem. Sie muss draußen aufgestellt werden, damit | |
jeder sie sehen kann.“ KME zeige sich „gesprächsbereit“, sagt Gander. | |
13 Feb 2023 | |
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## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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