# taz.de -- Ausstellung über Arbeiterfußball: Wo nach Toren die Schalmei erkl… | |
> Als Arbeiterverein marschierte Sparta Lichtenberg 1911 einst in der | |
> „Front des Weltproletariats“. Eine Ausstellung zeigt seine 111-jährige | |
> Geschichte. | |
Bild: Es spielen die Fußballer auf ihrer Schalmei: Historische Aufnahme der Ka… | |
Der 29. August 1931 war ein [1][großer Tag im Berliner Fußball]. Die | |
Städteauswahl von Madrid mit ihrem Torwartweltstar Ricardo Zamora kam nach | |
Berlin, um gegen Tennis Borussia anzutreten. Am gleichen Tag spielte Sparta | |
1911 Lichtenberg gegen den Dresdner SV 1910 im Finale um die Deutsche | |
Meisterschaft im Arbeiterfußball. Zwei höchst attraktive Partien, doch nur | |
eine konnte im Radio übertragen werden. Die Redakteure von der Funkstunde | |
Berlin entschieden sich für den „sportlich viel interessanteren Kampf“ der | |
bürgerlichen Borussia. Das empörte die Spartaner so, dass sie eine passende | |
Antwort ankündigten „gegen diese Herren, die glauben, die Interessen der | |
werktätigen Bevölkerung missachten zu können“. | |
Es blieb dann zwar bei der Ankündigung, aber im Jahr 2022 kann man | |
feststellen: Die Funkstunde Berlin gibt es nicht mehr, Sparta Lichtenberg | |
hingegen immer noch. Das einstige Aushängeschild des Berliner | |
Arbeiterfußballs feiert gerade sein 111. Vereinsjubiläum. Als | |
sechstklassiger Berlin-Ligist ist er sportlich keine große Nummer mehr. | |
Dafür hat er eine bemerkenswerte Geschichte zu bieten, die gerade auch in | |
einer Ausstellung im Museum Lichtenberg erzählt wird. | |
Am Anfang steht ein verbürgter Gründungsmythos, wonach der Schriftsetzer | |
Wilhelm Wendt den Namen Sparta 1911 Lichtenberg am 4. Juni 1911 offiziell | |
bei den Behörden anmeldete. Mysteriöse Randnotiz in der Chronik: Neben | |
Vorständlern und Schriftführer war auch ein vierköpfiges Vergnügungskomitee | |
am Gründungsakt beteiligt. | |
Nach anfänglichen Freundschaftsspielen stiegen die Lichtenberger 1915 in | |
den Spielbetrieb ein, in dem sich [2][bürgerliche und proletarische | |
Vereine] organisatorisch voneinander abgrenzten. Die Spartaner gehörten | |
zunächst dem Verband Brandenburger Ballspielvereine an, wechselten aber | |
bald in die arbeiterklasseaffine Märkische Spielvereinigung. In Berlin und | |
im Umland gab es Dutzende proletarische Vereine, unter anderem in | |
Luckenwalde, Velten, Adlershof, Stralau und Köpenick. Sparta schaffte es in | |
kurzer Zeit, sich an der Spitze der Arbeiterfußballbewegung in Berlin zu | |
etablieren. | |
Den passenden Rahmen dafür bot das 1920 durch das Arbeiter-Sportkartell | |
eröffnete Lichtenberger Stadion mit 4.000 Steh- und 700 Sitzplätzen. | |
Während sich Sparta durch die lokale Meisterschaft kämpfte, machten die | |
Besten des Landes die Deutsche Arbeitermeisterschaft unter sich aus. Der | |
Zulauf von 100.000 Zuschauern zum Finale 1922 in Leipzig zeigte, dass die | |
Attraktivität des Wettbewerbs locker mit der des parallelen DFB-Wettbewerbs | |
mithalten konnte. | |
Einen Höhepunkt für das sport- und klassenbewusste Proletariat der | |
Reichshauptstadt gab es am 9. September 1923, als die Arbeiterfußballer zum | |
Städtespiel Berlin versus Moskau antraten. Die Berliner Genossen – denen | |
Wirtschaftskrise und Armut körperlich regelrecht anzumerken waren – hatten | |
gegen die gut genährten Vertreter aus der Hauptstadt des gelobten | |
Sowjetlands keine Chance. Sie verloren vor 10.000 Zuschauern 0:6. | |
Dem Run auf Sparta tat das keinen Abbruch. Es entstanden sogar neue | |
Vereinsabteilungen wie Handball und Hockey. Zudem formierte sich aus | |
Mitgliedern der Fußballabteilung eine Schalmeienkapelle. Sie trat bei | |
Aufmärschen und Demonstrationen unter dem Schutz einer Truppe des | |
Rotfrontkämpferbundes auf, aber auch zu vereinsinternen Bällen, wo sie | |
vermutlich nicht nur Arbeiterlieder spielte. | |
Ihre kommunistische Gesinnung trugen die Spartaner stets offensiv nach | |
außen. Zum Beispiel, als sie 1925 beim eigenen Verband beantragten, die | |
Spielserie künftig ohne Punktvergabe durchzuführen. „Dahinter dürfte die | |
Utopie einer klassenlosen Gesellschaft gesteckt haben“, so der 1973 in | |
Lichtenberg geborene Marco Bertram, Autor einer Fußballfibel über den | |
Verein. Ob die Übertragung auf den Fußball tatsächlich realisiert worden | |
ist, sei jedoch unklar. „Fakt ist dagegen, dass kein Spartaner Mitglied in | |
der reaktionären Reichswehr sein durfte.“ | |
Nachdem es 1928 zur Spaltung des Arbeiter-Turn-und Sportbunds (ATSB) | |
gekommen war, sammelten sich die ausgeschlossenen kommunistennahen | |
Mitglieder und Vereine in einer „Kampfgemeinschaft für rote Sporteinheit“. | |
Auch Sparta 1911 wurde Mitglied im „Rotsport“ und feierte sportliche | |
Erfolge wie den Finaleinzug gegen Dresden im Spiel um die Deutsche | |
Meisterschaft im Arbeiterfußball 1931, den das Radio wie erwähnt | |
ignorierte. Umso mehr zeigte man sich im selben Jahr in der eigenen | |
Festschrift zum Vereinsjubiläum stolz über „20 Jahre ununterbrochenen | |
Klassenkampf, 20 Jahre Marschieren in der revolutionären Front des | |
Weltproletariats“. | |
Mit der Machtergreifung der Nazis war damit jedoch Schluss. Die | |
Arbeitervereine wurden verboten. Im schnell als Nachfolger gegründeten SC | |
Empor sammelten sich nicht wenige kommunistische Widerstandskämpfer, | |
darunter Werner Seelenbinder, Hans Zoschke und Felix Tucholla, die allesamt | |
nach Volksgerichtshofurteilen hingerichtet wurden. | |
Nach dem Krieg und der Neuordnung des Ost-Sports nach Sowjetvorbild begann | |
für die Lichtenberger ein ausdauerndes Namenswechselspiel. Immerhin blieb | |
das Wort Sparta stets erhalten. Interessant ist, dass der | |
Arbeiter-und-Bauern-Staat DDR ausgerechnet dem Arbeitertraditionsverein | |
keinen Produktions-VEB als Trägerbetrieb vermittelte. Das wurde 1973 der | |
Rundfunk der DDR. Der Support des Radiokombinats aus Oberschöneweide für | |
seine Betriebssportgemeinschaft Sparta Berlin fiel allerdings klein aus. | |
Einen bescheidenen Aufschwung des Vereins beförderte er freilich: Mehr | |
Mitglieder, mehr finanzielle Unterstützung und auch mehr sportlicher | |
Erfolg. Der Aufstieg in die Bezirksliga, damals immerhin die dritthöchste | |
Spielklasse im Spielbetrieb der DDR, wurde nur knapp verfehlt. | |
Die Wende 1989 sorgte neben dem jähen Absturz des Rundfunks der DDR auch | |
für einen rumpeligen Neustart seines langjährigen Partnervereins. Der | |
neugegründete SV Sparta Lichtenberg 1911 fiel 1990/91 ganz tief, sprich in | |
die Kreisliga A. Von dort schafft er es erst 1996 etwas höher in die | |
Bezirksliga. | |
Für den nächsten großen Einschnitt für den Verein sorgte der Umbau des | |
Ostkreuzes, weswegen er vom Sportplatz Kynaststraße nach Rummelsburg | |
umziehen musste. Wenn bei den Spielen im neuen Stadion an der Fischerstraße | |
heutzutage ein Tor fällt, hört man sogar immer eine Schalmei, die ein | |
Sparta-Fan jedes Mal mitbringt und anschließend wieder im Vereinsbüro | |
einschließt, erzählt Marco Gross, der seit gut einem Jahr im Vorstand an | |
der Fortführung der Sparta-Historie beteiligt ist. | |
## Sozialstruktur: queerbeet | |
Beruflich ist Gross ein Vertriebsmann, kein klassischer Malocher. Aber die | |
gibt es ohnehin kaum noch im Verein, sagt Gross: „Die Sozialstruktur | |
unserer Mitglieder ist querbeet, worauf wir auch stolz sind. Wir haben | |
Leute, denen es gut und nicht so gut geht, auch ehemalige Flüchtlinge. | |
Heute sind wir sozusagen ein Verein für alle Werktätigen, ganz nach dem | |
Motto: Mein Kiez, mein Verein.“ | |
Die Sparta-Geschichte würde man auch an die Jüngeren vermitteln, | |
beispielsweise über die Ausstellung. Man wolle schon den Blick für | |
Identifikation schärfen: Wir sind Sparta! Deshalb auch der Schlachtruf vor | |
einem Spiel „Sparta Ahu“. Der sei allerdings keine frühe Erfindung von | |
Arbeitern, sondern eine unbürokratische Übernahme aus dem 2006 in die Kinos | |
gekommenen amerikanischen Historienfilm „300“, der die Geschichte eines | |
Spartaners erzählt. | |
Mit der Popkultur haben sie es in Lichtenberg. 2015 hatte Technostar Paul | |
Kalkbrenner – der wie der Techno-DJ K-Paul Mitglied bei Sparta ist – im | |
Rummelsburger Stadion ein großes Konzert organisiert. Zuvor hatte er noch | |
dank seiner guten Beziehungen dafür gesorgt, dass ein DFB-Truck mit dem | |
WM-Pokal von 2014 in Rummelsburg Station machte. | |
Eine Attraktion war das für alle Fußballfans, (nicht nur) von Sparta. Dabei | |
gibt es nicht nur die. Denn zum Verein gehören auch andere Sektionen. Unter | |
anderem übrigens so spezielle Sportarten wie Tauchen. | |
25 Oct 2022 | |
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## AUTOREN | |
Gunnar Leue | |
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