# taz.de -- Fankultur: Das war die goldene Hertha-Ära | |
> Von Schlachtenbummlern auf Holztribünen: Christian Wolter hat die | |
> Geschichte des Berliner Fußballs aufgeschrieben. | |
Bild: Hertha-Trainer Otto Rehhagel im Olympiastadion: Denkt er an die goldene �… | |
taz: Herr Wolter, auf dem Tempelhofer Feld wird wieder Fußball gespielt – | |
dort, wo alles begann. | |
Christian Wolter: Ja, ich habe davon gehört. Ein Bekannter erzählte mir, | |
dass sie dort sogar wieder mit Torstangen aufs Feld gehen. Das hat mich | |
natürlich gefreut, denn genau so sahen vor 130 Jahren die Anfänge des | |
Berliner Fußballs aus. Dort auf dem Tempelhofer Feld fanden die ersten | |
Spiele statt, mit herbeigeschleppten Torstangen. | |
Ihr Buch bildet das gesamte Berliner Fußballgeschehen von 1880 bis heute | |
ab. Haben Sie in den letzten Jahren noch etwas anderes gemacht, außer für | |
Ihr Stadionbuch in Archiven zu kramen? | |
Nein, denn das Buch sollte ja auch mal irgendwann fertig werden. Dieses | |
Buch gab es aber noch nicht – also musste ich es wohl selbst schreiben. | |
Wie kam das Projekt zustande? | |
Angefangen hat es als reines Freizeitvergnügen. Später war ich dann beim | |
Berliner Fan-Projekt angestellt. | |
Wie geht man bei der Suche nach Quellen vor, gerade bei Stadien oder | |
Plätzen, die es schon seit Jahrzehnten nicht mehr gibt? | |
Ich habe erst mal alle Vereine mit interessanten Archiven, alle Berliner | |
Heimatmuseen und die Zeitungsarchive abgeklappert. Wichtige Quellen waren | |
frühe Sportblätter wie Sport und Spiel, Rasensport und natürlich die | |
Fußball-Woche, die es seit 1923 gibt. Anfang der 1920er Jahre hatte Berlin | |
drei Fußball-Wochenzeitungen, alle waren enorm hilfreich für mich. | |
War es schwer, an alte Dokumente heranzukommen? | |
Schwierig war es manchmal mit den Vereinsarchiven: Nicht allzu viele | |
Vereine haben eins. Zum Glück haben mir auch Privatpersonen, Sammler, | |
ehemalige Spieler und Fans geholfen, an Informationen zu kommen. | |
Wie kamen Sie ausgerechnet zu Ihrem Interesse für Stadien? | |
Mich haben Stadien und die dortige Atmosphäre schon immer fasziniert. Über | |
die Stadien in Berlin wollte ich forschen, weil hier die meisten Plätze | |
sind. Außerdem hatte ich von manchen Stadien – etwa dem Preussenstadion auf | |
dem Tempelhofer Feld oder dem Avus-Stadion – nur Vages gehört und wollte | |
mehr darüber wissen. Vor fünf Jahren bin ich dann nach Berlin gekommen, in | |
den letzten zweieinhalb Jahren konnte ich die Stadionchronik realisieren | |
und mir damit einen Traum erfüllen. | |
Die Stadionsammlung folgt der Fußballgeschichte chronologisch? | |
Ja, die Plätze sind nach ihrer Eröffnung geordnet. Am Anfang des Bandes | |
gibt es noch hauptsächlich Fotos aus der Kaiserzeit, im Mittelteil aus der | |
Zwischenkriegszeit und zum Ende die verhältnismäßig wenigen Stadien, die | |
nach 1945 erbaut wurden. Ein Großteil der im Buch vorgestellten Plätze, | |
nämlich 22, entstand zu Kaiserzeiten, und 27 in der Weimarer Zeit. | |
Wie viele Stadien sind es insgesamt im Buch? | |
Die wichtigsten 66 Plätze haben eigene Kapitel, darunter etliche bereits | |
verblichene Spielstätten. Erwähnung fanden noch ein paar mehr, und im | |
Anhang sind alle Fußballplätze aufgeführt, die es derzeit in Berlin gibt – | |
über 200. | |
Was war die spannendste Geschichte, auf die Sie während der Recherche | |
gestoßen sind? | |
Am Spannendsten finde ich die Geschichte des einstigen Hertha-Platzes an | |
der „Plumpe“. Dort konnte man nach der Erhöhung der Tribünen auch auf das | |
benachbarte Spielfeld von Norden-Nordwest blicken. So sah man für sein Geld | |
manchmal gleich zwei Spiele. Am 29. August 1931 gab es zwei besondere | |
Matches: Auf dem Hertha-Platz spielte Tennis Borussia gegen Real Madrid, | |
das ging 2:4 aus. Es hatte schon fast den Eventcharakter von heute, bei | |
Real spielte Ricardo Zamora, der damals berühmteste Torwart der Welt. Etwa | |
30.000 Zuschauer waren bei diesem Spiel, während ein paar Meter weiter, | |
gleich auf der anderen Straßenseite, die Arbeiterfußballer vom Dresdner SV | |
und Sparta Lichtenberg (3:2) um die kommunistische Fußballmeisterschaft | |
spielten. Die 15.000 Zuschauer dort sangen vor dem Anpfiff die | |
Internationale und lauschten politischen Reden, in denen natürlich auch die | |
Auswüchse des kapitalistischen Sports angeprangert wurden. Faszinierende | |
Gegensätze. | |
Und von der Architektur her? Welches Stadion war da am interessantesten? | |
Auch hier war die „Plumpe“ mit ihren pyramidenartigen Zuschauerbergen für | |
mich am Eindrucksvollsten. Die ersten Berliner Vereinsplätze mit Tribünen | |
aus Holz fand ich auch toll, ebenso die antiken Radrennbahnen, in deren | |
Innenräumen um die Jahrhundertwende Fußball gespielt wurde. Die Zuschauer | |
strömten damals in Massen zum Radsport und ermöglichten so den Bau der | |
Zementovale. Manche hatten im Innenraum auch ein Fußballfeld, wie der 1897 | |
eröffnete Sportpark Friedenau, der damit das erste Berliner Fußballstadion | |
war. Davon abgesehen fanden die meisten Spiele in Berlin damals aber noch | |
auf Exerzierplätzen statt. | |
Welche Momente waren aus Ihrer Sicht prägend für die Berliner | |
Fußballgeschichte? | |
Da kann ich keine einzelnen Momente aufzählen, es gab zu viele. Die goldene | |
Ära der Hertha um 1930 war großartig, und die Derbys mit Tennis Borussia | |
natürlich. Insgesamt finde ich die Zeit vor der Einführung der Bundesliga | |
spannender. Da war die Berliner Oberliga noch die höchste Spielklasse, und | |
es konnten auch mal Außenseiter Meister werden – etwa Vorwärts 90 und | |
Alemannia 90 mit dem späteren Hertha-Star Hanne Sobek. Außerdem gefällt mir | |
an den alten Fußballzeiten, dass sich das Zuschaueraufkommen noch auf viele | |
Vereine verteilte. Aber die meisten gingen natürlich auch damals schon zu | |
Hertha. | |
Haben Sie viel über die Geschichte der Fankulturen erfahren? | |
Ja, etwa, dass es Fankultur schon so lange wie Fußball und Zuschauer gibt. | |
Nur statt „Fan“ sagte man früher Anhänger oder Schlachtenbummler. Immerhin | |
gab es hierzulande schon in den frühen 1920er Jahren Sonderzüge zu | |
Fußballspielen. Es gab auch schon Stofffahnen in den Vereinsfarben und mit | |
Emblem drauf, wie man auch auf alten Aufnahmen von DFB-Endspielen sehen | |
kann. | |
Welchen Teil der Sportgeschichte erforschen Sie als Nächstes? | |
Ich forsche gerade zum Arbeiterfußball in Berlin. Ebenfalls ein lohnendes | |
Thema, zu dem noch nicht viel veröffentlicht wurde. | |
Gibt es dazu ein Buch? | |
Ich hoffe doch – dieses Thema ist genauso spannend wie die Geschichte der | |
Berliner Fußballplätze! | |
24 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
Jens Uthoff | |
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Fußballvereine | |
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