# taz.de -- Hertha BSC: Und ab gehts! | |
> Kein Konzept, keine Leidenschaft, keine Punkte: Obwohl mal wieder alles | |
> besser werden sollte, taumelt Hertha dem nächsten Abstieg entgegen. Für | |
> die Erste Liga spricht nichts mehr - außer einem Funken Hoffnung. | |
Blau-Weiß, wie lieb ick dir! Aber warum eigentlich? Es ist nicht leicht, | |
Hertha zu mögen. Oder gar zu lieben. Auf der Tribüne oder vor dem Fernseher | |
Leidenschaft aufzubringen, an der es auf dem Platz immer wieder mangelt. | |
Das Allerschlimmste aber ist, diese suspekte Hingabe dann auch noch anderen | |
begreiflich zu machen. Acht Anhänger probieren es trotzdem und erklären, | |
warum Hertha nicht absteigen darf. Und wieso sie dem Verein treu bleiben, | |
falls es doch passiert. | |
Auf und Ab gehört dazu | |
Hertha BSC darf nicht sterben, nicht absteigen, muss in der Ersten | |
Bundesliga bleiben. Die „Alte Dame“ gehört zu Berlin wie der Funkturm und | |
das Brandenburger Tor. Er ist ein Stück Berlin! Mit einer | |
Riesenvergangenheit: Namen wie Klötzer, Kronsbein, Gutendorf und Hanne | |
Sobeck sind Legende. Klar, im Moment haben die Jungs schlechte Karten. Aber | |
Aufs und Abs gehören zum Sport. Ich kenne das vom Boxring. Kein Grund, die | |
Ohren hängen zu lassen. ARTHUR ABRAHAM, BOXWELTMEISTER | |
Mein Schal für alle Klassen | |
Seit acht Jahren gehe ich gern ins Olympiastadion und schaue Hertha beim | |
Verlieren zu. Besser wäre es natürlich, sie würden gewinnen, das kommt aber | |
nicht oft vor. Deshalb bewundere ich inzwischen eine andere Seite an | |
Hertha: die Hartnäckigkeit, mit der sich die Mannschaft in den Keller | |
gespielt hat. Hertha ist ein gelungenes Beispiel dafür, sich Anforderungen | |
konsequent zu widersetzen. Die Spieler versichern vor den Spielen, hoch | |
motiviert zu sein und alles zu geben. Sie sind aber weder leistungsfixiert | |
noch ergebnisorientiert. Nur Ebert holt sich in jedem Spiel eine Karte vom | |
Schiedsrichter. Als Hertha-Fan besitze ich einen Schal mit dem Aufdruck | |
„Hauptstadtclub“. Als Optimistin glaube ich weiterhin an den Klassenerhalt. | |
Sollte das aber doch schiefgehen, kann ich den Schal weiter tragen, auch | |
wenn Hertha bis in die Regionalliga durchgereicht werden sollte. ISABEL | |
LOTT, TAZ-FOTO-REDAKTION | |
Hertha ist Emotion | |
Wohl wahr, das Spiel am vergangenen Wochenende war eine harte Prüfung. Die | |
Mannschaft hat sich gegen Kaiserslautern schlecht präsentiert. Aber noch | |
ist nichts besiegelt. Und natürlich halte ich Hertha die Treue, gerade | |
jetzt. In diese Saison ist der Verein mit viel Optimismus gestartet. Der | |
Wiederaufstieg, das war für uns alle doch der Durchbruch nach vorn. Aber | |
auch das kenne ich ja schon: Bei Hertha kamen Rückschläge oft genau in dem | |
Moment, als alle dachten, es gehe aufwärts. | |
Gerade jetzt, wenn – so oder so – wieder ein Neuaufbau mit Perspektive | |
nötig ist, braucht der Verein Unterstützung. In den vergangenen Jahren hat | |
sich da in Berlin etwas entwickelt. Das konnte man, so merkwürdig das | |
vielleicht klingt, sogar bei Niederlagen spüren: Die Fans waren zeitweise | |
zu Recht konsterniert, aber sie haben sich nicht abgewandt. Hertha und | |
Berlin, das ist ganz viel Emotion. | |
Berlin braucht einen Erstligaverein, das sehen sogar die Clubchefs | |
deutscher Spitzenvereine so. Gerade weil Hertha für die Stadt so wichtig | |
ist: Ich wünsche mir, dass in den letzten beiden Spielen nun endlich | |
deutlich wird, dass die Mannschaft kämpft und ihre Chancen nutzt. KLAUS | |
WOWEREIT (SPD), REGIERENDER BÜRGERMEISTER | |
Dit is Balin | |
Mit der Hertha von Dieter Hoeneß bin ich nicht warm geworden – die von | |
Michael Preetz hat mich da gepackt, wo der Fußballverstand aufhört: bei den | |
Emotionen in Blau-Weiß. Blöd nur, dass es statt Europa League gleich in die | |
Zweite Bundesliga ging. Und blöd auch, dass Preetz als Manager und | |
Trainerscout agiert wie einst als Stürmer: die meisten Chancen versieben | |
und hoffen, dass wenigstens einer passt. Ganz blöd ist das mit dem Image. | |
Da war man als Hertha-Fan nach dem Aufstieg mal nicht mehr der Depp vom | |
Dienst – und nun höhnen sie wieder, die Bayern und Dortmunder unter den | |
Kollegen. Ach ja, meine Heimbilanz 11/12 war auch nicht doll: Bei 13 | |
Spielen war ich im Olympiastadion, 2 Siege gab es, 3 Unentschieden und 8 | |
Niederlagen. So ist das eben mit der Hertha: Mit Großkotz Hoeneß war sie | |
ein bisschen wie Diepgens Westberlin. In der Zweiten Liga war sie beliebt | |
wie Prenzlauer Berg. Und nun geht’s runter wie im Wedding. Und alles | |
zusammen ist – Berlin. UWE RADA, TAZ BERLIN | |
Die pure Freude erleben | |
Beim ersten Stadionbesuch war ich vielleicht acht, es war nasskalt, Herbst | |
wahrscheinlich. Durchs Stadion wehte ein rauer Wind. 5.000 Zuschauer, mehr | |
werden es nicht gewesen sein, den Gegner weiß ich nicht mehr. War sicher so | |
grau wie das Wetter und mein Heimatverein zu jener Zeit. | |
Meine Liebe wurde erst Jahre später entfacht, als limitierte Fußballer mit | |
Einsatzwillen über sich hinauswuchsen. Mehr will man ja gar nicht als | |
Anhänger. Als Lohn folgten der Aufstieg, Gabor Kiraly, Kultpotenzial und | |
Identifikation. Vor den Heimspielen hab ich Mitglieder geworben, auf | |
Provisionsbasis. Die Kohle war mir egal, nach Anpfiff war Feierabend, und | |
wir hatten Zugang zu den Spielen, kostenlos. Bundesliga, dann sogar | |
Champions League. Beim 1:0 gegen die Weltklassekicker aus Milan – Leonardo, | |
Schewtschenko, Maldini – lagen wir fremden Menschen in den Armen, volle | |
Hütte, 75.000 – die pure Freude. So schön kann Hertha sein. Das will ich | |
wieder erleben. Von mir aus auch in Liga zwei. Wenn nur der Einsatz stimmt. | |
TORSTEN LANDSBERG, TAZ BERLIN | |
Volksnah statt Elite | |
Bei den ausverkauften Heimspielen herrscht eine ergreifende Stimmung – so | |
ähnlich wie früher auf der Loveparade in Berlin. Da bekomme ich Gänsehaut | |
im Stadion. Wer in Berlin lebt, muss einfach das Team seiner Stadt | |
unterstützen. Mit meinem Sohn sitze ich gerne bei Hertha in der | |
Familienkurve. Seit 2007 bin ich Ehrenmitglied, deshalb darf ich im Winter, | |
wenn es kalt ist, in die VIP-Lounge. Wie es in letzter Zeit für die | |
Mannschaft gelaufen ist, finde ich traurig. Aber wenn Hertha wirklich | |
absteigt, werde ich erst recht zu den Jungs stehen. Gerade wenn eine | |
Mannschaft am Boden liegt, dürfen wir als Fans sie nicht verlassen. Und | |
eine Mannschaft wie Hertha, die sich immer wieder hochkämpfen muss, ist dem | |
normalen Volk sowieso viel näher als ein Eliteverein. MARUSHA, TECHNO-DJANE | |
Hertha ist einmalig – kalt | |
Hertha darf nicht absteigen, denn Hertha ist einmalig. Es gibt keinen | |
Verein, bei dem es so schwerfällt, ihn zu lieben. Andere Clubs schließe ich | |
schon beim ersten Stadionbesuch ins Herz. Da diskutiert man mit den Fans in | |
der S-Bahn und scherzt mit dem Rentner am Bierstand. Nicht so bei Hertha, | |
denn Hertha ist kalt. | |
Eine Lautsprecherstimme aus dem Off heißt die Fans vor dem Olympiastadion | |
willkommen. Wie so vieles bei Hertha soll das wohl professionell wirken, es | |
ist aber vor allem eines: unpersönlich. Vergangene Saison hatte ich | |
gehofft, der Verein nutzt seine Chance in der Zweiten Liga und fängt noch | |
mal ganz von vorne an. Hertha startete eine Tour durch die Einkaufscenter | |
im Berliner Umland. Gekommen sind viele unangenehme Gestalten, die | |
eigentlich längst aus der Ostkurve verschwunden waren. Allein deshalb, | |
hoffe ich, bleibt uns ein erneuter Abstieg erspart. PETER DITTMANN, | |
TAZ-PRAKTIKANT | |
Hertha gibt Struktur | |
Als Fan entscheidet man sich für ein Team, und es muss schon sehr viel | |
passieren, damit man diesem Team die Zuneigung versagt. Rein sportlich | |
betrachtet, macht es einem die Hertha gerade nicht leicht, aber ich gehe | |
nicht dahin, um nur Sport zu sehen, sondern auch weil man Freunde trifft. | |
Das gemeinsame Leiden gehört genauso dazu wie die kollektive Freude. Und | |
das Gute bei einem Abstieg in die Zweite Liga wäre, dass man dann wieder | |
mehr Heimspiele gewinnt. So viele Heimniederlagen wie jetzt hintereinander | |
sind natürlich starker Tobak, aber das waren wir aus der letzten | |
Erstligasaison schon gewohnt. Da war’s ja fast noch schlimmer mit 16 | |
Spielen zu Hause ohne Sieg. Klar, das macht nicht viel Spaß. Aber wie | |
gesagt, in der Ostkurve treffe ich viele Freunde. Und das Wochenende | |
bekommt eine gewisse Struktur durch die Termine bei Hertha. JONAS GABLER, | |
AUTOR DES BUCHES "FUSSBALLFANS UND FUSSBALLKULTUREN IN DEUTSCHLAND" | |
28 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Arthur Abraham | |
ISABEL LOTT | |
Klaus Wowereit | |
Uwe Rada | |
Torsten Landsberg | |
Peter Dittmann | |
Jonas Gabler | |
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